Kommissar Escherich setzte zehn Leute an, die bei allen Buchmachern und Kneipiers im Norden und Osten Berlins Nachfrage nach Enno Kluge halten sollten. Und während Escherich das Ergebnis dieser Aktion abwartete, geschah ihm das zweite Merkwürdige: plötzlich schien es ihm nicht mehr ganz ausgeschlossen, dass dieser Enno Kluge doch etwas mit den Karten zu tun hatte. Zu merkwürdige Zusammenhänge geisterten um diesen Burschen: die beim Arzt gefundene Karte, und dann die Ehefrau, erst glühende Nazistin und dann plötzlich dieser Antrag, aus der Partei austreten zu dürfen, vermutlich, weil der Sohn in der SS etwas getan hatte, was der Mutter nicht gefiel. Alles um diesen kleinen Kerl endete irgendwie im Politschen, und Escherich hatte grade ihn für politisch völlig gleichgültig gehalten. Vielleicht war der Enno Kluge viel geriebener, als der Kommissar gedacht hatte, vielleicht hatte er auch anderen Dreck am Stecken als diese Karte, aber Dreck hatte er zu verscharren, das schien fast sicher.
Dies bestätigte auch der Assistent Schröder, mit dem der Kommissar zur Auffrischung seines Gedächtnisses den ganzen Fall noch einmal langsam durchsprach. Auch der Assistent Schröder hatte das Gefühl gehabt, mit dem Kluge stimmte was nicht, er verbarg etwas. Nun, man würde ja sehen, in dieser Sache würde bald etwas erfolgen. Der Kommissar hatte das im Gefühl, und in solchen Dingen täuschte ihn sein Gefühl nur selten.
Und dieses Mal täuschte es ihn wirklich nicht. Es geschah in diesen Tagen der Bedrohung und des Ärgers, dass dem Kommissar gemeldet wurde, ein gewisser Barkhausen bitte, ihn sprechen zu dürfen.
Barkhausen?, fragte sich Kommissar Escherich. Barkhausen? Was soll denn das für ein Barkhausen sein? Ach so, ich weiß schon, dieser kleine Spitzel, der für acht Groschen seine Mutter verraten würde.
Und laut: »Soll reinkommen!« Als der Barkhausen aber eintrat, sagte er zu ihm: »Wenn Sie mir aber nur was über die Persickes erzählen wollen, können Sie gleich wieder kehrtmachen!«
Der Barkhausen sah den Kommissar fest an und schwieg. Er tat so dar, dass er doch beabsichtigte, über die Persickes zu reden.
»Na also!«, sagte der Kommissar. »Warum machen Sie nicht kehrt, Barkhausen?«
»Der Persicke hat doch den Radio von der Rosenthal, Herr Kommissar«, sagte er vorwurfsvoll. »Ich weiß es jetzt genau, ich habe …«
»Die Rosenthal?«, fragte Escherich. »Das ist doch die olle Jüdsche, die in der Jablonskistraße aus dem Fenster gesprungen ist?«
»Das ist sie!«, bestätigte Barkhausen. »Und den Radio hat er ihr einfach geklaut, das heißt, da war sie schon tot, aber aus der Wohnung …«
»Nun will ich Ihnen mal was sagen, Barkhausen«, erklärte Escherich. »Ich habe mich mit dem Kommissar Rusch über den Fall besprochen. Wenn Sie damit nicht aufhören, gegen die Persickes ständig anzustänkern, so fahren wir hier mit Ihnen Schlitten. Wir wollen von dieser Geschichte kein Wort mehr hören – und von Ihnen schon gar nicht! Sie sind der Allerletzte, der in dieser Sache rumstochern dürfte. Ja, Sie, Barkhausen!«
»Aber er hat den Radio doch geklaut …«, fing Barkhausen mit jener sturen Hartnäckigkeit wieder an, die nur blinder Hass verleiht. »Wo ich es ihm doch direkt beweisen kann …«
»Jetzt nur noch raus, Barkhausen, oder ich lasse Sie abführen, hier bei uns in den Keller!«
»Dann gehe ich aufs Präsidium am Alex!«, erklärte Barkhausen tief gekränkt. »Was Recht ist, muss Recht bleiben, und geklaut ist geklaut …«
Aber Escherich war etwas anderes eingefallen, nämlich sein Fall Klabautermann, der fast ständig seine Gedanken beschäftigte. Er hörte gar nicht mehr auf den Idioten. »Sagen Sie mal, Barkhausen«, sagte er, »Sie kennen doch auch einen Haufen Leute und gehen viel in die Kneipen? Kennen Sie vielleicht einen gewissen Enno Kluge?«
Barkhausen, der ein Geschäft witterte, sagte noch verdrossen: »Einen gewissen Enno kenne ich. Ob er weiter Kluge heißt, so viel ist mir nicht bekannt. Ich hab eigentlich immer gedacht, Enno wäre sein Nachname.«
»Kleiner, schmächtiger Mann, blass, leise und schüchtern?«
»Das könnte auf meinen stimmen, Herr Kommissar.«
»Heller Paletot, großkarierte braune Sportmütze?«
»So kenne ich ihn.«
»Hat ewig Weibergeschichten?«
»Von Weibergeschichten ist mir bei meinem nichts bekannt. Wo ich den gesehen habe, da verkehren keine Weiber.«
»Kleiner Pferdewetter –«
»Stimmt, Herr Kommissar.«
»Lokale: ›Ferner liefen‹ und ›Vor dem Start‹?«
»Derselbe, Herr Kommissar. Ihr Enno Kluge, das ist mein Enno!«
»Den müssen Sie mir finden, Barkhausen! Hängen Sie den ganzen blöden Persicke-Rummel an den Nagel, der trägt Ihnen bloß noch KZ ein! Kriegen Sie mir lieber raus, wo der Enno Kluge steckt!«
»Aber das ist doch kein Fisch für Sie, Herr Kommissar!«, rief Barkhausen abwehrend. »Das ist doch ein ganz kleiner Pinkel! Ein reiner Nebbich ist das! Was wollen Sie denn mit solchem Idioten, Herr Kommissar?«
»Das lassen Sie nur meine Sache sein, Barkhausen! Wenn ich durch Sie den Enno Kluge kriege, sollen Sie fünfhundert Mark verdient haben!«
»Fünfhundert Mark, Herr Kommissar? Fünfhundert Mark sind zehn von meinen Ennos noch nicht wert! Da muss ein Irrtum vorliegen.«
»Vielleicht liegt da sogar wirklich ein Irrtum vor, aber das geht Sie nichts an, Barkhausen. Sie kriegen Ihre fünfhundert Eier – so und so!«
»Na denn! Wenn Sie’s sagen, Herr Kommissar, dann will ich mal sehen, dass ich den Enno fasse. Aber ich zeige Ihnen den Mann bloß, ich bringe ihn nicht her. Mit so einem rede ich ja gar nicht …«
»Was habt ihr beide denn miteinander gehabt? Sonst bist du doch nicht so empfindlich, Barkhausen! Sicher habt ihr irgendeinen Mist zusammen vergraben. Aber ich will nicht in eure zarten Geheimnisse dringen, schwimm ab, Barkhausen, und stell mir den Kluge!«
»Ich möchte noch um einen kleinen Vorschuss gebeten haben, Herr Kommissar. Nein, um keinen Vorschuss«, verbesserte er sich, »sondern um Geld für meine Spesen.«
»Was hast du denn für Spesen, Barkhausen? Das würde mich doch interessieren.«
»Ich muss doch mit der Bahn fahren, in allen möglichen Kneipen muss ich rumstehen, hier eine Molle, da eine Runde ausgeben, das läuft doch ins Geld, Herr Kommissar! Aber ich denke, fünfzig Mark werden genügen.«
»Ja, wenn der großmächtige Barkhausen ausgeht, da warten alle schon, dass er was ausgibt! Na, ich will dir zehn Mark geben, und nun hau wirklich ab. Glaubst du, ich habe nichts anderes zu tun, als mit dir rumzuquatschen?«
Barkhausen war tatsächlich der Ansicht, dass so ein Kommissar nichts anderes zu tun hatte, als den Leuten die Würmer aus der Nase zu ziehen und andere für sich arbeiten zu lassen. Aber er hütete sich wohl, das auszusprechen. Er ging nun wirklich zur Tür, wobei er sagte: »Aber wenn ich Ihnen den Kluge schaffe, müssen Sie mir auch bei den Persickes helfen. Die Brüder haben mich zu sehr in Rage gebracht …«
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