Und im ganzen Bau wurde ein Name verbreitet, sechzig Gefangene merkten sich den Namen von einem, der ein Verräter gewesen war, und diese Gefangenen würden mit der Zeit schon dafür sorgen, dass der Name des Verräters sich ausbreitete durch viele Gefängnisse. Überall würden sie ihn ansehen als einen gemeinen Verräter, denn selbst unter Verbrechern gibt es eine Art Ehre, und gegen die hatte der Mann verstoßen.
Für mich aber, der schließlich am wenigsten sich an diesem Spiel gegen Polakowski beteiligt hatte, sollten die Folgen vorerst die übelsten sein. Denn an einem Morgen, da ein Wachtmeister wohl ein wenig verschlafen war und nicht aufgepasst hatte, trug ich meinen Kübel ahnungslos über den Gang und achtete gar nicht darauf, dass gegen alle Gewohnheit die Tür von Polakowskis Zelle schon aufgemacht war; da stürzte der so Sanfte wie ein Tiger auf mich, warf mich mitsamt meinem Kübel zur Erde und schlug mit beiden Fäusten auf mein Gesicht ein, dass ich fast sofort meine Besinnung verlor.
Sie hatten es ja nun dem Polakowski erzählt, dass auch ich hier im Kittchen saß, und hatten ihn nach Gefangenenart unbarmherzig geneckt und gehänselt mit den verloren gegangenen Sachen. Und sie hatten ihm wohl auch erzählt, dass das ihm abgenommene Geld wieder zu meiner Verfügung hier lag, und vielleicht hatten sie ihm sogar vorgelogen, dass die Sachen wieder in meinen Besitz gekommen seien.
Jedenfalls war in dem Polakowski eine wilde Wut auf mich entbrannt, und er hatte all die Tage wohl brütend in seiner Zelle gesessen, hatte bedacht, wie gänzlich umsonst er nun sich um mich Wochen gequält hatte, wie ich alles wiedergewonnen, und dass meinetwegen ihm eine lange Strafe bevorstand – für nichts Gewonnenes! Da hatte er rotgesehen und immer gegrübelt, wie er mir etwas antun könnte für mein ganzes Leben, und sein Hass und seine Wut hatten all seine Sanftheit und sein Heuchlertum und seine angeborene Feigheit und Vorsicht fortgespült.
Als er die Zellentür offen sah, hatte er auf mich gelauert, er hatte mich unter sich gebracht und mir ins Gesicht geschlagen, dass sofort Blut aus Nase und Mund stürzte. Die Gefangenen hatten nach ihrer Gewohnheit still und unbeteiligt und wohl auch etwas schadenfroh zugeschaut; es ist nicht Sitte im Gefängnis, bei einer Prügelei von Zweien dazwischenzugehen. Ich bin überzeugt, dass Mordhorst mir beigestanden hätte, aber Mordhorst war nicht in der Nähe, er lag einen Gang tiefer. Und ehe der Wachtmeister noch hatte zuspringen und Polakowski hatte zurückreißen können, hatte Polakowski sich über mein Gesicht gebeugt und hatte mich in die Nase gebissen, um mich fürs ganze Leben zu zeichnen – ach, er hat mir fast die halbe Nase abgebissen!
In einem Gefängnis geschehen schlimme Dinge, oft, man macht nicht viel Aufhebens davon. Den Polakowski haben sie in die Arrestzelle gesteckt und ihm später zu allem anderen eine Anklage wegen schwerer Körperverletzung angehängt, und mich haben sie in meiner Zelle auf den Strohsack gelegt, haben mir das Blut ein bisschen abgewaschen und haben gewartet, bis der herbeitelefonierte Gefängnisarzt kam.
Das Erste, was ich hörte, als ich wieder zu Bewusstsein kam, war die schimpfende Stimme Düstermanns, der über »die Schweinerei in seiner Zelle« schimpfte und verlangte, dass ich verlegt würde, und diese Stimme hat nicht einen Augenblick auf mich zu schimpfen aufgehört, solange Düstermann nicht schlief, all die Tage, die ich noch bei ihm in der Zelle liegen musste. Denn es reichte nach Ansicht des Arztes nicht dafür, dass man mich in ein Krankenhaus legte.
Er nähte mir die Nase recht und schlecht zusammen und meinte, in drei, vier Tagen werde alles wieder in Ordnung sein. Aber es ist nie wieder ganz in Ordnung gekommen, ganz abgesehen davon, dass ich mich bis heute noch nicht in einem Spiegel sehen kann, so sehr bin ich entstellt und mir selbst zum Ekel. Nein, ich kann nicht mehr riechen, und richtig durch die Nase atmen kann ich auch nicht. Ich atme mit halb offenem Munde wie ein Blöder, und meine Schlafgenossen beschimpfen mich und stoßen mich nachts, weil ich mit Schnarchen, Ächzen und Orgeln ihnen ihren Schlaf störe.
Wahrhaftig, dieser Hund von Polakowski hat mich für den Rest meines Lebens gezeichnet, nie kann ich ihn vergessen. Eigentlich hat Polakowski stärkere Spuren in mir hinterlassen als irgendein anderer Mensch, selbst als Magda. Manchmal sitze ich da, und plötzlich steht wieder das Bild vor mir, wie ich am Fenster jener Dachstube stehe; ich sehe die Stadt mit ihren rotbraunen Dächern im Abendlicht zu meinen Füßen, sehe die Schmie zwischen Grün blitzen und hinten, schon halb von bläulichem Dunst verschleiert, das Dach meines eigenen Hauses. In meinem Rücken aber versichert Polakowski sanft flüsternd, dass er ein sehr armer, aber ehrlicher Arbeiter sei, und lässt seine Gelenke dabei knacken. Damals, schon vom ersten Augenblick an, habe ich es gewusst, dass er ein Lump und ein Lügner war, und hätte ich ein bisschen Verstand und Ehre im Leib gehabt, ich hätte auf der Stelle die Stube verlassen und wäre heimgekehrt zu jenem Haus im bläulichen Dunst. Ich aber bin in der Unrechtlichkeit geblieben, und dafür ist mir heimgezahlt worden, tausendfältig.
Drei oder vier Tage habe ich noch in der Zelle beim schimpfenden Düstermann gelegen, habe arge Schmerzen ertragen und mein unseliges Schicksal verflucht. Jeder Gedanke war mir vergangen, mich an Magda zu rächen oder die Scheidung zu beantragen, ich wäre froh gewesen, hätten sie mich heimgehen lassen zu ihr. Ich wäre auf die Knie vor ihr gefallen und hätte sie um Verzeihung gebeten, und sie hätte mich aufnehmen können wie einen verachteten Sklaven, es wäre mir recht gewesen. Aber auch das war nur eine Stimmung gewesen, die nicht von Bestand war. Meine Gefühle für Magda sollten sich noch manches Mal ändern.
Den Holzhof habe ich nie wiedergesehen und auch nicht meinen Kumpel Mordhorst. Seltsam, in meiner Erinnerung ist es mir heute, als seien es schöne, friedliche Stunden gewesen, die ich dort am Sägebock verbracht habe, mit meiner blauen Gefangenenjacke angetan, über mir die Kronen der Apfel- und Birnbäume und den durchsonnten Himmel.
An einem späten Nachmittag dann, ich war wieder ganz über das Geschimpfe des mörderischen Brandstifters Düstermann verzweifelt, rasselte zu ganz ungewohnter Zeit das Schloss der Zellentür, der Wachtmeister kam herein und rief: »Sommer, sofort aufstehen und Ihre Sachen packen! Sie werden entlassen!«
Ich fuhr hoch von meinem Lager und starrte den Wärter mit weit aufgerissenen Augen an. »Entlassen?«, flüsterte ich, und mein Herz pochte stark. Also doch! Also doch!
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