»Würden Sie mir das schriftlich geben, Herr Dr. Husten? Mit Ihrem Wort als Anwalt …?«
»Das kann ich natürlich nicht, mein lieber Freund«, sagte der Anwalt. Er schien jetzt auch reichlich verärgert und trommelte mit den Fingern nervös auf dem Tisch. »Ich bin kein Arzt. Nur ein Arzt kann beurteilen, wie weit der Alkoholismus bei Ihnen vorgeschritten ist, wie viel Zeit für eine völlige, rückfallsichere Heilung notwendig ist. – Aber, mein lieber Herr Sommer!« rief er und riss sich wieder zusammen, ließ den eingelernten sieghaften Optimismus wieder die Oberhand gewinnen, »geben Sie dieses finstere Misstrauen auf. Vertrauen Sie sich unbedenklich den heilenden Händen der Ärzte an. Bedenken Sie auch, dass Sie sowohl seelisch wie körperlich kaum den Anforderungen einer längeren Gefängnishaft gewachsen sein werden. Ich glaube auch kaum, dass ein solcher Aufenthalt, dass diese Wahl im Sinne Ihrer lieben Frau sein würde …«
Das war ein falsches Wort am falschen Ort!
»Herr Dr. Husten!«, rief ich, empört aufspringend. »Was vertreten Sie hier: meine Interessen oder die Interessen meiner Frau? Woher wissen Sie, was im Sinne meiner Frau ist? Haben Sie etwa vor unserer Rücksprache meine Frau aufgesucht?« Ich zitterte am ganzen Leibe vor Erregung.
»Aber, mein lieber Herr Sommer«, sagte er beruhigend und legte mir die Hand auf die Schulter. »Warum erregen Sie sich so? Natürlich habe ich Ihre Frau aufgesucht; das war für mich als Ihren Anwalt doch ganz selbstverständlich. Und ich kann Ihnen mitteilen, dass Ihre Frau wohl mit Trauer, aber doch ohne eigentlichen Groll an Sie denkt. Ich bin überzeugt, dass sie Ihr Schicksal auf das Lebhafteste bedauert …«
»Ja, und dieses grollfreie Bedauern spricht sich am deutlichsten in dem Protokoll aus, das von ihr bei den Akten ist!«, rief ich immer empörter. »Haben Sie denn das Protokoll nicht gelesen, Herr Dr. Husten? Nein, ich finde es einfach unverantwortlich, dass Sie als mein Verteidiger, ohne mich zu fragen, die Hauptbelastungszeugin aufgesucht haben.«
»Aber ich musste es doch, mein lieber Freund«, widersetzte der Anwalt, über meine Weltfremdheit milde lächelnd. »Ich musste mich doch auch über den Punkt orientieren, wer das Honorar für Sie bezahlt. Sie sind im Augenblick gewissermaßen mittellos …«
»Sie irren sich, Herr Dr. Husten«, sagte ich jetzt ganz kalt. »Alles da draußen: das Geschäft, das Bankguthaben, die ausstehenden Forderungen, das Haus, all das gehört mir, mir allein. Nicht meiner Frau. Noch bin ich in keiner Heilanstalt, noch bin ich nicht entmündigt …«
»Gewiss, gewiss«, sagte der Anwalt beruhigend. »Das ist natürlich vollkommen richtig. Ich habe mich leider falsch ausgedrückt, ich hätte nicht ›mittellos‹ sagen dürfen. Drücken wir es so aus, dass Sie in der Verfügung über Ihr Vermögen im Augenblick gewissermaßen ein wenig behindert sind, während Ihre Frau als Ihre getreue Sachwalterin …«
»Ich werde dafür sorgen, Herr Dr. Husten«, sagte ich und stand endgültig auf, »dass meine Frau nicht mehr lange diesen Posten als Sachwalterin ausüben kann. Dann vermindert sich wahrscheinlich auch ihr Interesse rapide, mich auf Lebenszeiten in ein Irrenhaus zu sperren. Ich werde meiner Frau mitteilen, dass Ihr Besuch mich völlig von der Notwendigkeit einer sofortigen Scheidung überzeugt hat.«
»Mein lieber Freund«, sagte der Anwalt volltönend und schüttelte das große Mimenhaupt. »Wie jung Sie doch sind mit Ihren vierzig Jahren! (Nicht wahr, Sie sind doch vierzig Jahre?) Immer mit dem Kopf durch die Wand! Immer das Kind mit dem Bade ausschütten! Nun, nun, Sie werden unter geeigneter ärztlicher Pflege auch noch ruhiger werden!« Sein widerlich freundliches Grinsen hatte jetzt etwas unaussprechlich Höhnisches. »Im Übrigen gehe ich wohl nicht fehl in der Annahme, dass ich mich nicht als der Anwalt Ihres Vertrauens betrachten darf?«
»Ganz richtig, Herr Dr. Husten.«
»Ich bedaure es aufrichtig, ich bedaure es nicht für mich (Ihr Fall ist nur ein kleiner Fall für mich, Herr Sommer, ein sehr kleiner Fall), ich bedaure es für Sie und für Ihre Frau! Sie rennen blindlings in Ihr Unglück, Herr Sommer, und wenn Ihnen die Augen aufgehen, wird es zu spät für Sie sein. Schade.« Er fasste schnell meine Hand und schüttelte sie. »Aber wir scheiden nicht als Feinde, Herr Sommer. Wir haben uns kennengelernt, wir haben uns begrüßt, wir trennen uns wieder. ›Schiffe, die sich nachts begegnen‹ – Sie kennen doch dieses vorzügliche Buch der Britin Beatrice Harraden? 1– Es möge Ihnen gut gehen, Herr Sommer!« Damit verließ Herr Dr. Husten erhobenen Hauptes meine Zelle.
Ich aber folgte ihm erst in einigem Abstand und begab mich wieder zu meiner Sägerei auf den Holzhof. Dort berichtete ich Mordhorst haarklein die stattgehabte Unterredung, wurde von ihm zum ersten Male belobt und in meiner Absicht bestärkt, eine eilige Scheidung von Magda zu betreiben und ihr die Verwaltung meines Eigentums zu entziehen.
1 Beatrice Harraden (1864–1936), britische Frauenrechtlerin und Autorin. <<<
Aber zu alledem kam ich vorläufig nicht mehr, andere, mir wichtiger erscheinende Ereignisse schoben sich dazwischen. Als am Morgen nach dem Besuch des Rechtsanwalts Dr. Husten der Wärter unsere Zellen aufschloss und ich mit dem gefüllten Kübel zum Spülbecken eilte, blieb ich plötzlich verblüfft stehen. Ich traute meinen Ohren nicht, und doch, es war keine Täuschung: Aus einer eben geöffneten Zelle drang eine einschmeichelnde, leise flüsternde Stimme, jene Stimme, die so unzertrennlich mit meinen Alkoholräuschen verknüpft war, jene Stimme, die ich aus meines Herzens tiefstem Grunde hasste: Polakowskis Stimme!
Ich wagte einen eiligen Blick. Ja, da stand er mit dem sanften, mehr gelblichen als bräunlichen Gesicht, mit dem dunklen Vollbart und dem schlicht zurückgestrichenen dunklen Haupthaar, das einen goldig-rötlichen Schimmer hatte, stand da und redete einschmeichelnd sanft auf seinen Zellengenossen ein, wobei er an den Fingern zog, dass sie knackten. Sicher wollte er dem anderen etwas abschnacken, er, der arme, aber ehrliche Arbeiter!
Ich eilte, so schnell ich nur konnte, an der Zelle vorbei, leerte und säuberte meinen Kübel und schlich in meine Zelle zurück, achtsam, nicht gesehen zu werden. An diesem Morgen musste Düstermann, so sehr er auch murrte, den »Außendienst« beim Zellenreinigen machen, Besen und Scheuertuch holen und frisches Waschwasser herbeischaffen: Ich hatte nicht den Wunsch, von Polakowski gesehen zu werden.
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