Innerlich aber erfüllten mich Schadenfreude und Triumph: Sie hatten den listigen, heuchlerischen Polakowski erwischt, sie hatten ihn gekitscht, und nur ein Gedanke beunruhigte mich noch: Ob es denen auch gelungen war, Polakowski die Beute oder doch einen wesentlichen Teil von ihr abzujagen. Doch auch darüber sollte ich nicht lange im Ungewissen bleiben. Wie immer ging es auf den Holzhof, ohne Polakowski, entweder, weil er sich nicht zur Arbeit gemeldet hatte oder weil beim Inspektor bekannt war, dass wir »in derselben Sache saßen«. In solchen Fällen wird sorgfältig vermieden, zwei Komplizen miteinander in Kontakt kommen zu lassen.
Mordhorst und ich, wir stellten uns an unseren Sägebock und begannen unser Tagewerk, diesmal der angenehmsten Art: glatte, schwache Kiefernrollen, ein Kinderspiel für trainierte Männer, wie wir es waren. Die erste Rolle war zersägt, und während ich die zweite auf dem Bock zurechtlegte, stellte ich meinem Arbeitskameraden die jeden Morgen wiederholte Frage: »Was Neues im Bau?«
»Mhm!« machte Mordhorst und setzte die Säge an. Dann: »Eine neue Einlieferung. Ein Gauner, wie es aussieht. So ein Scheißpolacke.«
Wir begannen zu sägen.
Dann hielt ich wieder inne. »Was hat er denn ausgefressen?«
»Wer? Was ausgefressen?« fragte Mordhorst, der mit seinen Gedanken längst woanders gewesen war, wahrscheinlich wieder bei seinem ewigen bitteren Vorwurf an das Schicksal, warum er gerade in einem solchen Drecknest bei solcher unwürdig kleinen Mauserei hochgegangen war. »Wer? Was ausgefressen?«
»Der Scheißpole doch!«, erinnerte ich. Mit einer wahren Inbrunst wiederholte ich die grobe Bezeichnung.
»Ach der? Was trauen sich denn solche Brüder schon? Alle Polen sind feige …« Und er wollte wieder zu sägen anfangen. Ich aber hielt den Sägebügel fest.
»Nee, sag mal, Mordhorst, das interessiert mich wirklich. Ich glaube, ich habe den Bruder heute früh gesehen.«
»Das kann angehen; auf deiner Station liegt er. Also was er ausgefressen hat? Leichenfledderei natürlich, zu was anderem hat solch ein Polacke doch keine Traute. Leichenfledderei an einem betrunkenen Speckjäger, so einem besoffenen Bürger, verstehst du?«
»Verstehe«, antwortete der betrunkene Speckjäger. »Und hat er seinen Raub in Sicherheit gebracht?«
»Keine Ahnung. Wird er doch – so doof ist selbst ein Polacke nicht!«
»Erkundige dich mal, Mordhorst. Mich interessiert das nämlich sehr.«
»Warum interessiert dich das denn so? Ich finde das komisch.«
»Ich aber gar nicht. Weil ich nämlich der betrunkene Speckjäger gewesen bin, den der Kerl gefleddert hat. Du erinnerst dich doch, Mordhorst, das ist der Wirt, der mich in meiner Besoffenheit hoppgenommen hat. Ich habe dir doch von ihm erzählt.«
»Ach, so ist das!«, sagte Mordhorst und grinste vor Vergnügen. »Der wird ja einen schönen Rochus auf dich haben, wenn er dich zu sehen kriegt. Wo du ihn in den Bunker gebracht hast!«
»Also erkundige dich, Mordhorst, ob er die Sachen beiseite gebracht hat. Er hat zwei goldene Ringe und eine goldene Uhr von mir, Tafelsilber für zwölf Personen, einen rindsledernen Koffer mit Sachen, eine lederne Aktentasche und viertausend Mark.«
»Ganz hübsch«, grinste Mordhorst. »Für einen elenden Polacken viel zu viel. Na, ich sage dir dann Bescheid.«
Und wir sägten, nunmehr schweigend, drauflos – der Wachtmeister guckte schon sehr.
Es dauerte einige Tage, ehe ich Polakowski wieder zu sehen oder seine Stimme zu hören bekam. Morgens, wenn ich kübeln ging, blieb seine Zelle immer geschlossen und wurde erst geöffnet, wenn wir fertig waren, ein Zeichen, dass bekannt war, wir saßen in derselben Sache. Auch von Mordhorst erfuhr ich nichts Näheres. Wenn ich drängte, sagte er nur: »Wart’s ab, Kumpel. Ich muss erst Genaues baldowern, der Mordhorst knackt keinen Schrank, ehe er nicht alles baldowert hat.«
Aber dann war es schließlich soweit.
»Über sechstausend Mark hat er bei sich gehabt, als ihn die Polente kitschte«, sagte Mordhorst. »Und das stimmt. Nicht bloß, weil er’s selbst erzählt hat, sondern ich hab’s vom Kalfaktor, 1der das Büro saubermacht. Das Geld ist hier eingeliefert.«
»Dann hat er all meine Sachen verkauft, und ich sehe sie nie wieder«, sagte ich, und plötzlich tat es mir um die Gold- und Silbersachen sehr leid. »Mir hat er in bar nur viertausend abgenommen, nicht mehr.«
»Er kann doch auch so Geld gehabt haben«, widersprach Mordhorst. »Das ist noch nicht raus, dass er deine Sachen schon verscheuert hatte. Er kann sie auch versteckt haben.«
»Möglich ist das«, gab ich zu. »Aber ich glaube nicht recht dran.«
Eine lange Zeit sägten wir schweigend, eine Stunde oder zwei, einen Buchenkloben nach dem anderen. Dann plötzlich sagte Mordhorst: »Was gibst du aus, Kumpel, wenn ich ausbaldowere, wo der Polacke die Sore 2versteckt hat?«
»Sore …? Was ist das?«
»Deine Sachen doch! Was gibst du aus?«
»Was soll ich ausgeben hier im Bunker? Ich habe doch selbst nichts!«
»Aber du hast draußen was!«
»Darüber kann ich nicht verfügen, da lässt mich meine Frau nicht ran!«
Und wieder sägten wir.
Am nächsten Tage sagte Mordhorst zu mir: »Du kommst sicher bald vor den Richter und wirst wegen des Polacken vernommen. Dann musst du sagen, dass du das gestohlene Geld, das hier liegt, für dich beanspruchst.«
»Darauf kannst du dich verlassen, dass ich das sagen werde, Mordhorst«, sagte ich grimmig.
»Und der Staatsanwalt muss dir das Geld freigeben, das ist klar«, sagte Mordhorst.
Eine Weile schwieg er wieder. Dann fragte er: »Würdest du eine Anweisung ausschreiben, dass fünfhundert Mark an den Überbringer auszuzahlen sind, wenn ich rauskriege, wo der Polacke die Sachen versteckt hat?«
Ich überlegte. »Fünfhundert Mark ist mir die Sache schon wert«, sagte ich schließlich. »Ich müsste aber alles wiederkriegen, auch die Goldsachen, und daran glaube ich nicht.«
»Wenn du weniger zurückkriegst, sollst du auch weniger zahlen müssen; ich bin ein reeller Mann«, antwortete der unverbesserliche Geldschrankknacker.
»Aber, Mordhorst!«, sagte ich, und mich jammerte seine Einfalt. »Glaubst du denn wirklich, dass die hier an dich oder einen aus dem Kittchen Geld auszahlen werden, bloß weil ich eine Anweisung ausschreibe?«
»Dafür lass mich nur sorgen«, gab er unerschüttert zur Antwort. »Du hast doch ein Getreidegeschäft?«
»Habe ich auch«, gab ich zurück. »Woher weißt du denn das schon wieder, Mordhorst?«
»Ich weiß alles«, gab er mit der ganzen Überheblichkeit des kleinen Mannes zurück. »Und wenn da nun einer von draußen kommt mit einer Rechnung über Getreide, das er dir vor einem Vierteljahr geliefert hat, und verlangt sein Geld, und du erkennst die Rechnung an – ich will wetten, die Brüder zahlen.«
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