»Das ist Herr Sommer, Herr Direktor!«, sagte die ältliche Angestellte und deutete mit dem Kopf auf mich.
»So, so«, hüstelte der ältliche Herr, der der Amtsgerichtsdirektor war, wie ich später erfuhr. Er sah mich einen Augenblick mit seinen müden, etwas sorgenvollen Augen an und gab mir dann die Hand. »Dann kommen Sie mal mit, Herr Sommer.«
Wieder eitel Freundlichkeit, Händegeben, mit »Herr« anreden, ach, all dies Getue hat mich Unerfahrenen gewaltig getäuscht, ich vergaß vollkommen, dass dies alles meine Feinde waren, nur gesonnen, mich zu verurteilen, mich gefangen zu halten, mich zu überlisten. Ich vergaß den eben erst gelernten Satz: »Du kommst leicht hinein, aber schwer raus.« Ich meinte, das Herauskommen werde mir noch leichter als das Hineinkommen gemacht, ich öffnete dem Herrn Amtsgerichtsdirektor ganz mein Herz, sagte alles so, wie es wirklich gewesen war, und dann sollte ich es ja erfahren, was für Folgen meine Vertrauensseligkeit hatte!
Der Herr Amtsgerichtsdirektor ging mir voran in ein ganz behaglich eingerichtetes Arbeitszimmer mit vielen, vielen Büchern an den Wänden, ich wurde auf einen Stuhl vor den Schreibtisch gesetzt, der Direktor setzte sich hinter ihn, eine Dame mittleren Alters erschien und spannte einen großen Bogen in die Schreibmaschine, der Direktor fuhr sich mit der Hand durch die Haare, rückte an seiner Brille hin und her, sah mich an und sagte: »Sie machen uns viele Sorgen, Herr Sommer«, hüstelte und gab dem Fräulein auf: »Nun nehmen Sie mal die Personalien von Herrn Sommer auf.«
Dieses Gefrage war leicht genug beantwortet, nur den Geburtstag Magdas habe ich vielleicht falsch angegeben (ich genierte mich, zu gestehen, dass ich ihn nicht genau wusste), und als ich gefragt wurde, ob Vermögens- und Einkommensverhältnisse geordnet seien, antwortete ich schlankweg mit »Ja«, worüber ich nachträglich schwere Bedenken bekam. Denn es schien mir jetzt doch zweifelhaft, wie Magda nach meiner Entnahme von fünftausend Mark mit dem Geschäft zurechtkommen würde. Ich kam aber nicht mehr dazu, das richtigzustellen, denn nun fing der Herr Direktor an zu fragen, oder vielmehr, er nahm einen großen Bogen, der eng mit Schreibmaschine betippt war, zur Hand, fuhr sich wieder durch die Haare, rückte wieder an seiner Brille, hüstelte und sagte: »Sie sind also unter dem Verdacht, einen Mordversuch an Ihrer Frau begangen zu haben, festgenommen, Herr Sommer. Was haben Sie dazu zu sagen?«
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon ein solches Zutrauen zu allen Leuten hier gewonnen, dass ich ganz harmlos rief: »Um Gottes willen, wird denn das noch immer aufrechterhalten, dass ich meine Frau habe ermorden wollen? Nie im Leben habe ich daran gedacht. Ich liebe doch meine Frau, und wenn ich auch …«
»Nein, nein, Herr Sommer«, sagte der Amtsgerichtsdirektor beruhigend, »ein Mordversuch kommt natürlich nicht infrage. Es war ein versuchter Totschlag, nicht wahr? Sie haben im Affekt gehandelt, Sie waren betrunken, nicht wahr?«
»Aber, Herr Direktor, ich habe meine Frau doch auch nicht totschlagen wollen, das war doch nur so betrunkenes Gerede, weil ich gern den Koffer haben wollte und weil meine Frau doch stärker als ich ist.«
»Nun, nun«, meinte der Direktor und lächelte dünn. »Ein bisschen mehr als eine harmlose betrunkene Katzbalgerei war es wohl doch. Sie haben in der letzten Zeit ein bisschen viel getrunken, nicht wahr, Herr Sommer? Nun erzählen Sie mir mal, was Sie so alles getrunken hatten, ehe Sie den nächtlichen Besuch bei Ihrer Frau machten.«
So kamen wir langsam in die Vernehmung hinein, ich erzählte alles, wie es gewesen war, ich zergrübelte meinen Kopf, um auch nicht eine einzige Flasche Korn zu vergessen, ich sagte die ungeschminkte Wahrheit, und ich Narr glaubte, ich könne es mit solcher Wahrheitsliebe schaffen. Ich beharrte aber dabei, dass ich nie die Absicht gehabt habe, meiner Frau ernstlich etwas zu tun, ich wollte nur die Sachen haben, so sagte ich.
Der Amtsgerichtsdirektor hüstelte stärker, er las in dem maschinengeschriebenen Bogen, er sagte: »Ich will Ihnen da doch einmal vorhalten, was Ihre Frau ausgesagt hat. Hier: ›Er würgte mich am Halse und versuchte, mir mit den Füßen in den Leib zu treten!‹ Und hier: ›Er flüsterte mir ins Ohr: Morgen Nacht besuche ich dich und bringe dich um!‹ Das klingt doch aber alles gewaltig nach etwas mehr als bloßen Drohungen, nicht wahr, Herr Sommer?«
Ich war sprachlos über Magdas Gemeinheit, das alles so darzustellen; zum Mindesten hätte sie doch hinzusetzen müssen, dass sie dies nur für bloßes betrunkenes Gerede gehalten habe. Ich versuchte, es dem Direktor so zu erklären, ich wies ihn auch darauf hin, dass auch Magda erregt gewesen sei und vieles vielleicht in ihrer Erregung schwerer genommen habe, als es gemeint gewesen sei.
Der Direktor nickte und seufzte, wischte an seiner Brille, ob ich ihn überzeugt habe, weiß ich nicht. Schließlich sagte er: »Nun gut, ich will Sie heute auch gar nicht länger vernehmen. Das wird erst einmal genügen.«
»Sie erlassen also keinen Haftbefehl gegen mich?!«, fragte ich in überströmender Freude.
Der Direktor hüstelte schon wieder. »Nein, keinen eigentlichen Haftbefehl, sozusagen. Sozusagen. Sehen Sie, Herr Sommer, Sie waren nach Ihren eigenen Aussagen übermäßig betrunken …«
»Nicht übermäßig betrunken, Herr Direktor. Ich vertrage sehr viel.«
»Sie hatten«, fuhr der Direktor, sich verbessernd, fort, »übermäßig viel getrunken, und da besteht nun einmal der Verdacht, dass Sie bei Begehung Ihrer Tat nicht im Vollbesitz Ihrer Geisteskräfte waren. Was wollen Sie jetzt zu Haus? Sie würden wieder mit Ihrer Frau Streit anfangen, Sie würden wieder zu trinken anfangen. Nein, Herr Sommer, erst müssen Sie wieder richtig gesund werden. Ich werde Sie erst einmal in eine Heil- und Pflegeanstalt einweisen, da werden Sie unter ärztlicher Betreuung stehen und richtig gesund werden …«
»Ich danke Ihnen, ich danke Ihnen, Herr Direktor«, rief ich Trottel und wäre am liebsten dem alten Herrn um den Hals gefallen. Für seine große Güte, jawohl, für seine große Güte.
Von Mordhorst hörte ich es dann, zwei oder drei Tage später (sie ließen sich Zeit mit meiner Überweisung in eine Heil- und Pflegeanstalt; auf dem Gericht haben überhaupt alle Zeit, bloß die Gefangenen nicht, denen doch die Zeit so langsam vergeht) – also, von Mordhorst hörte ich es, dass ich mich wie ein vollkommener Idiot benommen hatte.
»Mensch«, sagte er, »wie konntest du nur so dämlich sein? Der alte Fuchs hat sich ins Fäustchen über dich gelacht, als du eine Flasche Korn nach der anderen auspacktest. Der hat dich fein mit seiner verstellten Freundlichkeit gefangen! Sagen hättest du müssen, schwören hättest du müssen: Ich bin gar nicht besoffen gewesen, keine Spur war ich angetrunken! Ich hab’s bei vollem Bewusstsein, nach reiflicher Überlegung getan, was ich getan habe! Und warum musstest du so sagen? Weil du so am wenigsten riskiertest! Sieh mal, für einen versuchten Totschlag bekommst du ein halbes, höchstens ein Jahr Kittchen. Die reißt du ab und stehst wieder draußen als freier Mann, und keiner kann dir an den Wagen fahren.
Читать дальше