»Möglich«, gab ich zu. »Aber wer soll von draußen mit solcher Rechnung kommen?«
»Dafür lass mich nur sorgen«, gab Mordhorst gleichmütig zurück. »Die Hauptsache ist, ich habe dein Wort, du erkennst die Rechnung an.«
»Das hast du«, sagte ich. »Und ich halte auch mein Wort.«
»Das wird auch besser sein«, gab Mordhorst zurück und fing wieder an mit Sägen. »Du kannst dich drauf verlassen, ich schnappe dich, wenn du mich in die Pfanne haust, schnappe dich morgen oder in fünf Jahren, draußen oder drinnen, ich selbst oder einer, dem ich’s sage.«
So begann dies Spiel, ein Spiel, wie es nur in Gefängnissen gespielt werden kann, unterirdisch, mit vielen Mittelsmännern, mit Flüstern der Kalfaktoren an verriegelten Türen, mit unendlichem Scharfsinn, der von vielen Hirnen in vielen Stunden aufgewandt wurde: Und der heuchlerische, listige Polakowski war das Ziel.
Ich habe dieses Spiel nie ganz durchschauen können, nie habe ich begriffen, wie der besonders streng bewachte Mordhorst ständigen Verkehr mit allen Gefangenen, sogar mit der Außenwelt unterhalten konnte. Aber er konnte es.
Manchmal fiel ein halbes Wort, aus dem ich mir einen Vers machen konnte. Es gab zum Beispiel vier sorgfältig ausgewählte Gefangene, die in einem überdimensionalen Handwagen das von uns zerkleinerte Holz in die Stadt und in die Häuser fuhren, unter Aufsicht eines Wachtmeisters natürlich. Und es gab den bewährten Gefängniskoch, einen alten Gefangenen, der manchmal von dem Inspektor in seinen Garten vor der Stadt zum Graben und Hacken und Gießen mitgenommen wurde. Vielleicht waren diese Gefangenen doch nicht ganz so zuverlässig, wie sich die Gefängnisverwaltung träumen ließ. Und dann gab es die Klappen in der Tür, durch die uns die Essenschüsseln hereingereicht wurden, und immer gab es an diesen Klappen, wenn sie zur Essenausgabe aufgeschlossen waren, heimliches Geflüster und verstohlenes Hin-und-her-Gereiche.
Wie gesagt, ich weiß fast nichts von dem Spiel, das da gespielt wurde, sonst würde ich schon davon erzählen. Ich war ein Grüner, und vor allem war ich in den Augen der anderen kein »richtiger Verbrecher«, ich hatte mich nicht am Eigentum anderer vergangen.
Mordhorst hütete sich wohl, mir zu viel zu sagen. Ich erfuhr nur, dass Polakowski unter Druck gesetzt wurde. Sie brachten es fertig, ihm unter den Augen der Wachtmeister sein Essen zu kürzen. Sie ließen ihn ein bisschen hungern. Und sein Zellengenosse hatte immer Fraß die Hülle und Fülle, gab aber nichts ab. Das war das eine. Und das andere war, dass Polakowski wirklich zu Haus Frau und Kinder hatte, und dass er so unvermutet gefangen gesetzt worden war, dass die ohne einen Pfennig und ohne Brot dasaßen.
Da wurde es ihm vorgestellt, dass ein Gefangener in wenigen Tagen entlassen werden würde, und dieser Gefangene könne ja die versteckten Sachen holen und verscheuern und den Erlös der Frau geben – nach Abzug einer angemessenen Belohnung natürlich. Ich glaube wohl, dass der listige, argwöhnische Polakowski einen schweren Kampf mit sich kämpfte, aber sie machten ihn weich. Sie zwickten ihn, sie schrieben ihm Kassiber, und dann ließen sie ihn ganz ohne Nachricht, und wenn er sie fragte, sagten sie: »Ist erledigt. Du willst ja nicht.« Und auch ein Polakowski liebt wohl seine Kinder und sieht sie nicht gerne hungern und betteln.
Es kam der Tag, da Mordhorst zu mir sagte: »Also ich habe dein Wort?«
»Das hast du! Weißt du schon was?«
»Ich weiß alles. Die Sachen …«, Mordhorst sah mich scharf an, »… liegen in der ersten Feldscheune auf dem Weg nach Vehne. 3Hinten sind ein paar Bretter kaputt, und da liegen sie unter dem Stroh. So, nun weißt du es. Dein goldener Ehering fehlt, den hat er verscheuert, aber sonst ist alles da, genau, wie du es angegeben hast. Ist das fünfhundert Mark wert, Kumpel?«
»Das ist fünfhundert Mark wert«, gab ich zur Antwort. Komisch, wie unlogisch ein Herz empfindet, ich freute mich beinahe, dass Magda ihr Silber zurückbekommen sollte, und ich hasste Magda doch wirklich von ganzem Herzen. »Ja«, sagte ich dann. »Aber was fang ich nun mit meinem Wissen an? Ich darf doch nicht verraten, dass ich’s von dir habe.«
»Du wirst heute, wenn du dein Brot bekommst«, sagte Mordhorst, »einen Kassiber drin finden, auf dem das steht, was ich dir eben gesagt habe. Den zeigst du dem Wachtmeister, und dann läuft die Sache von selbst.«
»Und wer soll mir den Kassiber geschrieben haben?«
»Das weißt du nicht. Es ist eben einer gewesen, den du nicht kennst, der den Polakowski hasst und ihn in die Pfanne hauen will. Da zerbrich dir nur nicht den Kopf drüber.«
1 Hilfsdiener, Hilfsarbeiter <<<
2 Raubgut (Ganovensprache) <<<
3 Flussbadeanstalt am gleichnamigen Fluss <<<
Es war das alles mit wirklichem Scharfsinn ausgedacht, mit unendlicher Geduld durchgeführt; es ist nur schade, dass auch diese Sache, wie die meisten im Gefängnis erdachten Sachen – große Einbrüche und Raubüberfälle, Erpressungen und Schiebungen – anders ausging, als wir alle erwarteten, und dass Magda doch nicht wieder zu ihrem Silber kam.
Alles kam ganz genau so, wie es Mordhorst vorausgesagt hatte: Ich fand den Kassiber, ich gab ihn dem Wachtmeister beim Einschluss, ich wurde zum Inspektor runtergeholt und vernommen. Dann führten sie mich wieder auf meine Zelle, und dann hörte ich, wie sie hinten in meinem Gang eine Zelle aufschlossen: Nun holten sie sich den Polakowski. Und dann war Stille. Ich hörte nichts mehr von der Sache, die Nacht nicht, die nächsten beiden Tage nicht, und auch Mordhorst hörte diesmal nichts davon.
Dann riefen sie mich wieder zu dem Inspektor und teilten mir mit, dass die Polizei jene Feldscheune revidiert habe; die Bretter hinten seien lose gewesen, aber unter dem Stroh habe nichts gelegen, überhaupt sei in der ganzen Scheune nichts versteckt gewesen. Ich ging sehr enttäuscht auf meine Zelle zurück. Also war der Polakowski doch listiger als alle anderen gewesen, und es gab die Sachen überhaupt nicht mehr, oder er hatte sie ganz woanders versteckt.
Aber Mordhorst schüttelte dazu den Kopf. »Warte nur«, sagte er, »das hängt anders zusammen, und ich kann es mir auch schon denken, wie. Warte nur, ich bekomme es noch heraus, und wenn es so ist, wie ich denke, wird einer nichts zu lachen haben.«
Er bekam es wirklich raus, wenigstens glaube ich, dass das die Wahrheit war, was er mir sagte. »Der Entlassene hat’s geklaut und verscheuert, der, der’s von dem Polacken erfahren hat. Direkt vor der Polizei hat er sich’s geholt; der Trottel, wenn er nur ein bisschen schneller gewesen wäre! Aber ich sage dir, einmal erwische ich den Hund, er kommt ja doch wieder ins Kittchen, und dann soll er sein eigenes Geschrei hören!«
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