»Ich möchte mir das Zimmer ansehen, das zu vermieten ist.«
»Für Sie selbst?«, fragte der Mann und rieb hüstelnd seine Hände aneinander.
Ich bejahte.
»Es wird kein Zimmer für den Herrn sein, nicht fein genug für den Herrn. Es ist ein Arbeiterzimmer, mein Herr.«
»Immerhin, zeigen Sie es mir«, beharrte ich.
Er ging mir schweigend voran, eine Treppe hinauf, über einen unausgebauten Boden, öffnete die Tür zu einem einfenstrigen Zimmerchen mit schrägen Wänden, das im Giebel ausgebaut war. In seiner Einrichtung ähnelte es fast ganz dem primitiven Zimmer von Elinor, und unwillkürlich trat ich an das Fenster, um zu sehen, ob auch hier ein schräges Pappdach Fluchtmöglichkeiten bei überraschendem Besuch böte.
Nein, dieses Pappdach fehlte hier, dafür aber gab es einen ganz überraschenden Ausblick auf meine Vaterstadt. Sie lag vor mir, ein wenig unter mir, mit ihren rotbraunen Dächern, ihren drei spitzen Kirchtürmen und ihrem einen rundköpfigen Rathausturm. Grün umlaubt schlängelte sich die Schmie 1hindurch, verschwand hier und blitzte dort auf, und indem ich ihren Lauf mit dem Auge verfolgte, sah ich in der Ferne, schon zwischen dem Grün der Gärten und Felder, von bläulichem Dunst verschleiert, ein Dach, mein Dach.
»Es ist eine schöne Aussicht«, sagte ich nach einer Weile.
Der Mann hinter mir hüstelte. »Ein Arbeiter«, sagte er, »fragt nicht nach der Aussicht, er fragt, ob das Bett auch gut ist. Das Bett ist gut, Herr.«
»Was soll das Zimmer kosten?«, fragte ich.
»Sieben Mark die Woche«, sagte der Mann, »und wir wechseln jede Woche die Wäsche.«
»Ich möchte hier auch essen«, sagte ich, »ich will in aller Stille hier ungestört zwei bis drei Wochen wohnen und an einer Arbeit schreiben. Ich werde das Haus kaum verlassen. Lässt sich das einrichten? Ich stelle keine großen Ansprüche.«
»Unser Essen ist für den Herrn zu einfach«, sagte der Mann. »Aber ich kann für Sie Essen aus einem Gasthaus holen lassen, wenn Ihnen das recht ist.«
»Gut«, sagte ich, »ich nehme das Zimmer. Mein Koffer kommt morgen. Lassen Sie mir dann Abendessen holen.« Und ich setzte mich an den Tisch.
»Ich bitte um eine kleine Anzahlung, mein Herr«, sagte mein Wirt und zog an seinen Händen, dass die Knöchel knackten. »Wir sind arme Leute, mein Herr …«
»Setzen Sie sich«, sagte ich zu meinem Wirt. »Ach, bitte, ich sehe da auf dem Waschtisch ein Wasserglas, wenn Sie das bitte holen wollten.«
Mein Wirt tat es und nahm auf meine nochmalige Aufforderung am Tische Platz.
»Wie heißen Sie?«
»Polakowski«, antwortete er. »Aber wir sind keine Polen. Meine Eltern schon sind aus Ostpreußen zugewandert, dort gibt es so komische Namen …«
»Ich kümmere mich nicht darum, ob Ihr Name komisch ist oder nicht, Herr Polakowski«, sagte ich gönnerhaft. »Jetzt wollen wir erst einmal anstoßen.« Ich goss ihm das Glas halb voll – trotz seines Protestes – und griff nach der Flasche. »Ich kann ja auch einmal aus der Flasche trinken«, sagte ich lachend. »In unserer Jugend haben wir das alle getan.«
Er lächelte matt und nahm ein Schlückchen, während ich kräftig trank.
»Ich muss Sie bitten, Herr Polakowski«, sagte ich dann geläufig, »dass Sie mir auch eine Flasche Korn mit dem Abendessen mitbringen lassen, aber keinen Fusel, bitte, sondern den besten, der für Geld zu haben ist.«
Ich sah, wie er die Lippen bewegte, und ahnte schon, was er sagen wollte.
»Was nun die Anzahlung angeht, so muss ich Ihnen sagen, dass ich mich ganz plötzlich zu dieser Arbeit entschlossen habe.«
Ich fing den Blick meines Wirtes auf, der nachdenklich meine offene und völlig leere Aktentasche betrachtete.
Ich lachte. »Nun, ich will Ihnen die Wahrheit gestehen, Herr Polakowski. Das von der Arbeit, die ich hier in aller Stille schreiben will, ist natürlich Schwindel. Die Wahrheit ist, dass ich mich heute Nachmittag ziemlich heftig mit meiner Frau verzankt habe. Und um die etwas zu ängstigen, will ich für ein oder zwei Wochen verschwinden. Verstehen Sie, ich will sie ein bisschen auf den Proppen setzen!«
Herr Polakowski nickte.
»Ich will ihr begreiflich machen, wie das ist ohne Mann, nicht wahr?«
Wieder nickte Herr Polakowski.
»Sie soll einmal fühlen lernen, wie nützlich ich ihr bin, wie unentbehrlich!«
Wieder nickte Herr Polakowski, dann sagte er mit seiner sanften, fast flüsternden Stimme: »Trotzdem, mein Herr, ohne Anzahlung kann ich Sie nicht aufnehmen. Wir sind sehr arme Leute hier in Klein-Russland, mein Herr, und ein Abendessen aus einem guten Gasthof und eine Flasche Korn vom besten kosten viel Geld.«
»Sie werden Geld, soviel Sie brauchen, morgen früh bekommen, Herr Polakowski«, sagte ich überredend. »Morgen früh um neun Uhr stehe ich auf meiner Bank und hole Geld ab.«
»Nein«, sagte mein Wirt. »Es tut mir leid, mein Herr, ich hätte Sie gerne als Gast gehabt, einen gebildeten Mann, der seine Frau ein bisschen ängstigen will – nach Herrenart. Wir, wir schlagen unsere Frauen, das ist einfacher und billiger.«
»Nun ja, nun ja«, lachte ich ein bisschen verlegen. »Ich weiß nur nicht, ob ich bei einer Schlägerei mit meiner Frau nicht den Kürzeren ziehen würde, ich fürchte, sie ist die Stärkere.« Ich lachte und trank. »Aber da es Ihnen so um eine Anzahlung zu tun ist, will ich Ihnen einen Ring zum Pfand geben.« Ich zog erst den Siegel-, dann den Ehering vom Ringfinger der rechten Hand. Einen Augenblick schwankte ich, dann gab ich Polakowski den Ehering. »Es wäre mir lieb, wenn Sie ihn in Pfand behielten, als Sicherheit bis morgen früh, und ihn nicht weitergäben.«
Herr Polakowski nahm den Ring aus meiner Hand. »Wir sind sehr arme Leute, mein Herr«, sagte er wieder mit seiner flüsternden Stimme. »Wir haben keine drei Mark im Hause. Aber ich werde den Ring bei einem ganz sicheren Mann in Pfand geben, und morgen Mittag lösen wir ihn dann wieder aus.«
»Schön, schön«, antwortete ich plötzlich gelangweilt und doch auch wieder durch all diese Umständlichkeiten gereizt. »Aber sehen Sie jetzt auch zu, dass Essen und Korn möglichst bald kommen, vor allem der Korn. Sie sehen, in der Flasche ist fast nichts mehr, und wie Sie wissen, muss man Kummer ersäufen.«
»Es wird alles ganz schnell gehen, mein Herr«, flüsterte mein Wirt sanft und schloss die Tür.
Ich aber warf mich auf das Bett und trank.
So wurde ich mit Polakowski bekannt, einem der gemeinsten Schurken und Heuchler, die ich in meinem Leben kennengelernt habe.
1 2 km langer linker Zufluss der Enz <<<
Für diese Nacht hatte ich mir den festen Plan gemacht, nach Mitternacht in mein Heim zu gehen, dort einen Koffer mit Wäsche, Kleidern und Toilettenzeug zu packen und an Geld zu holen, was dort in meinem Schreibtisch lag. Denn ich hatte wirklich vor, einige Wochen bei Polakowski in aller Verborgenheit zu leben. Mir schwebte vor, mich dort selbst in aller Stille des Alkohols zu entwöhnen; den ersten Tag wollte ich noch das gewohnte Quantum trinken, den folgenden Tag um ein drittel weniger und so immer weiter, bis ich nach etwa zwei oder drei Wochen als nüchterner Mann vor Magda und die Ärzte treten und fragen konnte: »Was wollt ihr nun eigentlich von mir?!«
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