Sie sahen ihn, blass geworden, an. Wie konnte der Mann das wissen? Sie tauschten einen ratlosen Blick.
»Jaha!«, lachte Laub spöttisch. »Nun seid ihr ziemlich verdattert, was? Ihr habt da nämlich unter Beobachtung gestanden, ihr vier, und wenn ihr euch nicht so schnell getrennt hättet, würde ich eure Bekanntschaft schon ein bisschen früher gemacht haben. Sie stehen ja jetzt noch immer in Ihrer Fabrik hier unter Beobachtung, Hergesell!«
Sie waren so verwirrt, dass sie gar nicht daran dachten, dem Mann da zu widersprechen.
Er betrachtete sie nachdenklich, und plötzlich kam dem Kommissar ein Gedanke. »Wem hat denn nun der bewusste Koffer gehört, Herr Hergesell?«, fragte er. »Dem Grigoleit oder dem Säugling?«
»Dem – ach, jetzt ist es ja doch egal, wo Sie alles schon wissen, also der Grigoleit hat ihn mir angedreht. Er wollte ihn in einer Woche wieder holen, aber nun ist das schon so lange her …«
»Wird hopsgegangen sein, Ihr Grigoleit! Nun, den werde ich mir schon schnappen – wenn er noch lebt, heißt das.«
»Herr Kommissar, ich möchte aber feststellen, dass meine Frau und ich, seit wir aus der Zelle ausgetreten sind, uns nicht mehr politisch betätigt haben. Ja, wir haben die Zelle zum Platzen gebracht, noch ehe irgendetwas gearbeitet wurde. Wir haben nämlich gemerkt, dass wir zu so was nicht taugen.«
»Ich hab’s auch gemerkt! Ich auch!«, spottete der Kommissar.
Aber Karl Hergesell fuhr unbeirrt fort: »Seitdem haben wir nur an unsere Arbeit gedacht, wir haben nichts gegen den Staat getan.«
»Bloß das mit dem Koffer, vergessen Sie doch bloß den Koffer nicht, Hergesell! Aufbewahrung kommunistischer Druckschriften, das ist Hochverrat, das kostet Sie das Köpfchen, mein Lieber! Na, Frau Hergesell! Frau Hergesell! Was regen Sie sich denn so auf? Fabian, machen Sie mal die junge Frau von ihrem Mann los, aber ganz zart, Fabian, um Gottes willen, Fabian, tun Sie dem Herzchen nur nicht weh! Hat grade ’ne Fehlgeburt gehabt, die süße Kleine, will durchaus dem Führer keine Soldaten mehr liefern!«
»Trudel!«, bat Hergesell. »Hör doch nicht, was er sagt! Es müssen ja gar keine Druckschriften in dem Koffer sein, ich hab es nur manchmal gedacht. Es kann ja wirklich Wäsche und Kleidung drin sein, Grigoleit muss mich ja nicht angelogen haben!«
»So ist’s recht, junger Mann«, lobte Kommissar Laub, »machen Sie der jungen Frau wieder ein bisschen Mut! Haben wir uns gefasst, mein Herzchen? Können wir uns weiter unterhalten? Nun wollen wir vom Hochverrat des Karl Hergesell auf den Hochverrat der Trudel Hergesell, geborene Baumann, übergehen …«
»Meine Frau hat von all diesen Dingen nichts gewusst! Meine Frau hat nie etwas getan, was gegen das Gesetz ist!«
»Nein, nein, ihr seid alle beide brave Nationalsozialisten gewesen!« Plötzlich packte den Kommissar Laub der Zorn. »Wisst ihr, was ihr seid? Feige kommunistische Schweine seid ihr! Wühlratten seid ihr, die in der Scheiße wühlen! Aber ich bring euch ans Licht, ich bring euch beide an den Galgen! Beide will ich euch baumeln sehen! Dich mit deinem Lügenkoffer! Und dich mit deiner Fehlgeburt! Vom Tisch da bist du so lange runtergehuppt, bis es geklingelt hat! War’s so? War’s so? Sag ja!«
Er hatte Trudel gefasst und schüttelte die halb Ohnmächtige.
»Lassen Sie meine Frau in Ruhe! Sie sollen meine Frau nicht anfassen!« Hergesell hatte den Kommissar gepackt. Ein Faustschlag von Fabian traf ihn. Drei Minuten später saß er, mit Handfesseln versehen, von Fabian bewacht, in der Küche und wusste – wilde Verzweiflung im Herzen – Trudel ohne seinen Beistand in den Händen des Quälers.
Und Laub quälte die Trudel redlich weiter. Sie, die aus Angst um ihren Karli halb besinnungslos war, sollte sich nun zu den Postkarten Quangels äußern. Er glaubte ihr das zufällige Zusammentreffen nicht, sie hatte stets in Verbindung mit den Quangels gestanden, feiges kommunistisches Verschwörerpack, und ihr Mann, Karli, hatte auch davon gewusst!
»Wie viel Karten haben Sie denn nun so abgelegt? Was hat auf den Karten gestanden? Was hat Ihr Mann dazu gesagt?«
So quälte er sie, Stunde um Stunde, während Hergesell verzweifelt in der Küche saß, die Hölle im Herzen.
Schließlich kam das Auto, kam der Koffer, kam das Öffnen des Koffers.
»Tändeln Sie mir das Ding da mal auf, Fabian!«, hatte Kommissar Laub gesagt. Karl Hergesell war nun auch wieder in der Stube, aber bewacht. Durch die ganze Breite des Zimmers voneinander getrennt, sahen sich die Hergesells bleich und verzweifelt an.
»Hübsch schwer für Wäsche und Kleider!«, sagte der Kommissar spöttisch, während Fabian mit Drahthaken am Schloss hantierte. »Nun, wir werden ja gleich den Salat zu sehen bekommen! Wird, fürchte ich, ein bisschen peinlich für Sie beide, oder was meinen Sie, Hergesell?«
»Meine Frau hat nie etwas von diesem Koffer gewusst, Herr Kommissar!«, versicherte Hergesell wieder.
»Ja, und Sie haben nichts davon gewusst, dass Ihre Frau für diesen Quangel Postkarten mit hochverräterischem Inhalt in Treppenhäusern abgelegt hat! Jeder ein kleiner Hochverräter für sich allein! Eine feine Ehe, muss ich schon sagen!«
»Nein!«, schrie Hergesell. »Nein! Das hast du nicht getan, Trudel! Sag, dass du es nicht getan hast, Trudel!«
»Sie hat’s aber gestanden!«
»Nur ein einziges Mal, Karli, und da war es reiner Zufall …«
»Ich verbiete Ihnen jede Unterhaltung miteinander! Noch ein einziges Wort, und Sie wandern wieder in die Küche ab, Hergesell! Na also, ist das Dings offen. Und was haben wir denn da?«
Er stand mit Fabian so vor dem Koffer, dass Hergesells den Inhalt nicht sehen konnten. Die beiden Kriminalbeamten tuschelten miteinander. Dann hob Fabian schwer den Inhalt ans Licht. Eine kleine Maschine, blinkende Schrauben, Federn, Schwärze glänzte …
»Eine Druckmaschine!«, sagte Kommissar Laub. »Eine hübsche kleine Druckmaschine – für kommunistische Hetzblätter. Das erledigt Ihren Fall, Hergesell. Für heute und immer!«
»Ich habe nicht gewusst, was in dem Koffer war«, widersprach Karl Hergesell, aber er war so verschreckt, dass dieser Widerspruch nur schwach klang.
»Als wenn das jetzt nicht ganz gleich wäre! Sie waren ja schon verpflichtet, Ihr Treffen mit diesem Grigoleit zu melden und den Koffer abzuliefern! Wir machen hier jetzt Schluss, Fabian. Packen Sie das Dings wieder ein. Ich weiß genug und übergenug. Auch die Frau wird gefesselt.«
»Lebe wohl, Karli!«, rief Trudel Hergesell mit starker Stimme. »Lebe wohl, mein Liebster. Du hast mich sehr glücklich gemacht …«
»Machen Sie, dass die Frau die Fresse hält!«, rief der Kommissar. »Nanu, Hergesell, was soll das?«
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