»Herr Kommissar, jetzt sage ich nichts mehr aus. Jedes Wort verdrehen Sie mir. Die Trudel hat nichts verbrochen, sie hat von nichts was gewusst!«
»Aber dass eine Jüdin bei euch geschlafen hat, das hat sie doch gewusst!«
»Das war nichts Schlechtes!«
»Da denken wir anders darüber. Morgen werde ich mir mal die Trudel vorknöpfen.«
»Oh, lieber Gott, was habe ich da wieder angerichtet!«, weinte Frau Quangel los. »Nun habe ich auch die Trudel ins Unglück gestürzt. Herr Kommissar, der Trudel dürfen Sie nichts tun, die ist jetzt in anderen Umständen!«
»Ach nee, das wissen Sie plötzlich doch, wo Sie die Trudel angeblich zwei Jahre nicht gesehen haben! Woher wissen Sie denn das?«
»Aber das habe ich Ihnen doch gesagt, Herr Kommissar, dass mein Mann sie noch mal auf der Straße getroffen hat.«
»Wann war denn das?«
»Das wird ein paar Wochen her sein. Herr Kommissar, Sie haben mir eine kleine Pause versprochen. Nur eine kleine Pause, bitte. Ich kann wirklich nicht mehr.«
»Nur noch einen Augenblick! Gleich sind wir so weit. Wer hat denn angefangen zu sprechen, die Trudel oder Ihr Mann, wo sie doch beide miteinander verkracht waren?«
»Sie waren doch nicht verkracht, Herr Kommissar.«
»Wo ihr dein Mann das Haus verboten hat!«
»Das hat die Trudel ihm doch nicht übelgenommen, die kennt doch meinen Mann!«
»Wo haben sie sich denn getroffen?«
»Ich glaube, in der Kleinen Alexanderstraße.«
»Was hat denn dein Mann in der Kleinen Alexanderstraße gemacht? Sie haben doch gesagt, er ist immer nur zur Fabrik und zurückgegangen.«
»Das ist auch so.«
»Und was hat er in der Kleinen Alexanderstraße zu tun? Wohl ’ne Postkarte wegbringen, was, Frau Quangel?«
»Nein, nein!«, rief sie angstvoll und erbleichte plötzlich.
»Die Postkarten habe ich immer verteilt! Immer ich allein, er nie!«
»Warum sind Sie denn eben so blass geworden, Frau Quangel?«
»Ich bin doch nicht blass geworden. Doch, ich bin. Weil mir nämlich schlecht ist. Sie wollten doch eine Pause machen, Herr Kommissar!«
»Gleich, sobald wir das klar haben. Also, Ihr Mann hat eine Postkarte weggebracht und hat dabei die Trudel Baumann getroffen? Was hat die denn zu den Karten gesagt?«
»Aber sie hat doch gar nichts davon gewusst!«
»Hat Ihr Mann denn, als er die Trudel sah, die Karte noch in der Tasche gehabt, oder hatte er sie schon abgelegt?«
»Die hatte er schon abgelegt.«
»Sehen Sie, Frau Quangel, jetzt kommen wir der Sache schon näher. Nun sagen Sie mir nur noch, was die Trudel Baumann zu der Karte gesagt hat, und wir machen für heute Schluss.«
»Aber sie kann doch nichts gesagt haben, er hatte die Karte doch schon vorher abgelegt.«
»Überlegen Sie sich das man noch mal! Ich sehe Ihnen doch an, dass Sie lügen. Wenn Sie dabei bleiben, werden Sie morgen früh noch hier sitzen. Warum wollen Sie sich denn unnötig so quälen? Ich sage es ja morgen doch der Trudel Baumann auf den Kopf zu, dass sie von den Postkarten gewusst hat, und die wird’s auch gleich zugeben. Warum wollen Sie sich also Schwierigkeiten machen, Frau Quangel? Sie werden auch froh sein, wenn Sie auf Ihre Pritsche kriechen dürfen. Also, wie steht’s, Frau Quangel? Was hat die Trudel Baumann zu den Postkarten gesagt?«
»Nein! Nein! Nein!«, schrie Frau Quangel, verzweifelt aufspringend. »Ich sage kein Wort mehr! Ich verrate niemanden! Sie können sagen, was Sie wollen, Sie können mich totschlagen: ich rede nichts mehr!«
»Setzen Sie sich nur ruhig wieder hin«, sagte der Kommissar Laub und versetzte der Verzweifelten ein paar Schläge. »Wann Sie aufstehen dürfen, bestimme ich. Und wann das Verhör zu Ende ist, das bestimme ich auch. Jetzt wollen wir erst mal die Sache mit der Trudel Baumann zu Ende bequatschen. Nachdem Sie mir eben gestanden haben, dass sie Hochverrat begangen hat …«
»Das habe ich nicht gestanden!«, rief die gequälte, verzweifelte Frau.
»Sie haben gesagt, Sie wollen die Trudel nicht verraten«, sagte der Kommissar gleichmütig. »Und nun lass ich nicht eher nach, bis Sie mir gesagt haben, was es da zu verraten gibt.«
»Nie sage ich das, nie!«
»Na also! Sehen Sie, Frau Quangel, Sie sind dumm. Sie müssen sich doch selbst sagen, dass ich das, was ich wissen will, morgen in fünf Minuten der Trudel Baumann glatt und bequem aus der Nase ziehe. So ’ne schwangere Frau, die hält doch solch Verhör nicht lange aus. Wenn ich der ein paar runterhaue …«
»Sie dürfen die Trudel nicht schlagen! Sie dürfen das nicht! Oh, lieber Gott, hätte ich doch nie ihren Namen genannt!«
»Sie haben ihn aber genannt! Und Sie machen es Ihrer Trudel viel leichter, wenn Sie alles gestehen! Nun, wie ist es, Frau Quangel? Was hat die Trudel zu den Karten gesagt?«
Und später: »Ich könnt’s von der Trudel erfahren, aber grade will ich, dass Sie es mir jetzt sagen. Ich lass nicht eher nach! Sie sollen’s lernen, dass Sie einfach ein Dreck sind vor mir. Sie sollen’s lernen, dass alle Ihre Vorsätze, den Mund zu halten, Mist sind vor mir. Sie sollen lernen, dass Sie gar nichts wert sind, Sie mit all Ihrem Gerede von Treue und Nichtverratenwollen. Nichts sind Sie! Nun, Frau Quangel, wetten, dass ich zwischen jetzt und einer Stunde aus Ihrem Munde höre, was die Trudel mit den Postkarten zu tun hat?! Wetten?«
»Nein! Nein! Nie!«
Aber natürlich erfuhr es der Kommissar Laub, und es dauerte nicht mal eine Stunde.
53. Die betrübten Hergesells
Hergesells machten ihren ersten Spaziergang nach Trudels Fehlgeburt. Sie gingen die Straße nach Grünheide hinaus, bogen dann aber links in den Frankenweg ein und wanderten am Ufer des Flakensees auf Woltersdorfer Schleuse zu.
Sie gingen sehr langsam, ab und zu warf Karl einen raschen Blick auf Trudel, die mit gesenktem Blick neben ihm ging.
»Es ist schön im Walde«, sagte er.
»Ja, es ist schön«, antwortete sie.
Ein wenig später rief er: »Sieh dort die Schwäne auf dem See!«
»Ja«, antwortete sie. »Schwäne …« Und nichts mehr.
»Trudel«, sagte er besorgt, »warum sprichst du nicht? Warum freut dich nichts mehr?«
»Ich muss immer an mein totes Kind denken«, flüsterte sie.
»Ach, Trudel«, sagte er. »Wir werden noch viele Kinder haben!«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde nie mehr ein Kind haben.«
Er fragte ängstlich: »Hat der Doktor dir das gesagt?«
»Nein, nicht der Doktor. Aber ich fühle es.«
»Nein«, sagte er. »So darfst du nicht denken, Trudel. Wir sind doch jung, wir können noch so viele Kinder haben.«
Wieder schüttelte sie den Kopf. »Ich denke manchmal, das jetzt war meine Strafe.«
»Eine Strafe! Wofür denn, Trudel? Was haben wir denn verbrochen, dass wir so gestraft werden? Nein, es war ein Zufall, bloß ein blinder, gemeiner Zufall!«
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