Na ja, meinte Elvis, ist doch so. Für das Kind wird es bestimmt nicht leicht. Bei so einem Vater.
Annabelle konnte nun keine Rücksicht mehr auf den Klang ihrer Stimme nehmen: Das liege nicht am Vater, rief sie und meinte damit Marions Gatten, also den Bräutigam, sondern an der Gesellschaft.
Ich ließ meine flache Hand sofort, als sie das Wort ergriff, wie schwebend über der Tischplatte ganz leicht auf und ab gleiten, als würde ich in dem geringen Zwischenraum, der sich mit dieser Bewegung ergab, einen unsichtbaren Ball prellen, wie ein Profi, stellte ich mir vor, kurz bevor er ihn in den Korb werfen würde.
Und zu dir, sagte Annabelle mit einem strengen Blick auf meine Hand, kommen wir später, ich glaube nämlich nicht, dass ausgerechnet du, sie sah mich scharf an, in dieser Hinsicht, sie deutete mit ihren Augen kurz auf Elvis, zur Ruhe mahnen solltest.
Immerhin sprach sie dabei insgesamt nicht so laut, dass alle Gäste auf uns aufmerksam wurden. Nur das Personal an der Bar blickte verstohlen zu uns herüber. Ich bemühte mich, ihnen zwanglos zuzulächeln, um zu signalisieren, die Lage sei unter Kontrolle. Aber jeder, der einmal einen Affen lächeln gesehen hat, kann sich vorstellen, wie schwer es ist, damit den gewünschten Effekt zu erzielen. Ich drehte mich bei dem Versuch, den Kellnern zu verstehen zu geben, es bestehe kein Anlass zur Beunruhigung, vorsichtshalber von Annabelle weg.
Schon früher neigte sie dazu, ein wenig, nun ja, aus dem Häuschen zu geraten, wenn ihr auffiel, wie peinlich es mir war, dass ich mal wieder verhohlen angestarrt oder unverhohlen schlecht behandelt wurde. Sie wurde dann unerbittlich und beharrlich. Niemand solle sich schämen dafür, wie er sei, das war ihr Standpunkt. Und das war ja auch ganz löblich. Aber sie hatte gut reden. Sie hatte alles in die Wiege gelegt bekommen. Ihre Schönheit. Ihre Intelligenz. Ihre Herkunft. Ihren Reichtum also. Es hat immer etwas Ungerechtes an sich, wenn sich eine Frau wie Annabelle für Gerechtigkeit einsetzt, fand ich. Natürlich sagte ich ihr das nie so direkt. Denn oft genug konnte ich schließlich von ihrem Gerechtigkeitssinn profitieren, wenn sie mich über Nacht bleiben ließ. Nur am nächsten Morgen war meistens alles wieder vorbei. Dann hatte sie entsetzlich schlechte Laune, weil sie aus purem Mitleid mit mir geschlafen hatte. Was sie wiederum mir natürlich (sie hasse das Wort natürlich , sagte sie einmal, weil nichts natürlich sei, es sei denn, es betreffe die Natur, aber wann sei das tatsächlich der Fall?) nie so direkt gesagt hatte. Und mir war es ehrlich gesagt auch egal. Hauptsache, sie ließ mich überhaupt ran. Und irgendwann hatte ich es ja auch immerhin dazu gebracht, dass dies an drei aufeinanderfolgenden Tagen passiert war. Und wir hatten also was miteinander. Fand ich. Sie wollte dann zwar immer noch nicht auf der Straße meine Hand halten, aber das sei generell so, sagte sie, bisher habe sie keine Menschenseele, wie sie sich ausdrückte, in der Öffentlichkeit umarmt oder gar geküsst. Auch das war mir egal.
Aber als wir drei aufeinanderfolgende Tage bzw. Nächte miteinander verbrachten, musste auch Annabelle sich aufgrund eines gesteigerten Mitleids damit auseinandersetzen, ob wir nun was haben , wie sie zunächst noch formulierte, oder nicht. Ich handelte aus, dass ich meinen Freunden zumindest erzählen durfte, wir hätten eine Affäre , nicht ohne dass sie anmerkte, wenn ich mit Freunde die paar Schnapsleichen, mit denen ich gelegentlich in zwielichtigen Bars abhänge, meine, dann würden die das am Tag nach meiner nächtlichen Prahlerei sowieso vergessen haben.
Umso besser, entgegnete ich lässig, dann kann ich jede Nacht mit meiner scharfen Braut prahlen, und wenn du mit Schnapsleichen in zwielichtigen Bars zum Beispiel dich im Lokal mit der kreiselnden Kuh meinst, wo wir uns zum ersten Mal geküsst haben, dann können wir den ersten Kuss ebenfalls jede Nacht wiederholen, so vergesslich, wie du dich da gesoffen hast.
Nun werd nicht gleich romantisch, BITTE. Affäre klingt jedenfalls immer noch besser als Techtelmechtel oder so.
Mir war alles egal!!! Alles!!! Hauptsache ich hatte etwas mit ihr. Wenn auch nur für kurze Zeit. Denn sie konnte es leider nicht lange aushalten, mit mir zusammenzusein. Wer sollte es ihr verdenken.
Sie hat viele Freunde. Freunde und Freundinnen. Und Glück. Mit allem. Deshalb ist sie ja auch so engagiert, was das Thema Gerechtigkeit angeht. Nur Glückliche reden von Gerechtigkeit, alle anderen von Ungerechtigkeit. Ihre Forderung: Es sollte allen so wie ihr gehen können. Das wäre doch nur gerecht, hat sie oft gesagt.
Aber sie hielt es selbst nicht aus. Weil sie dachte, sie wäre es, die diese Gerechtigkeit der Welt überhaupt erst bringen müsste, da es sie, die Gerechtigkeit, erst in der Zukunft geben würde. Wenn man so ist wie Annabelle, dann ist es nur natürlich , dass man zur Selbstüberschätzung neigt. Finde ich. Ich kann es ihr jedenfalls nicht verübeln. Problematisch ist es nur gewesen, wenn sie von ihrer an sich völlig berechtigten Selbstüberschätzung auf ein Minderwertigkeitsgefühl meinerseits schloss. Deshalb ertrug sie es so schwer, wenn mir etwas peinlich war. Du lügst, sagte sie dann, wenn du behauptest, dass es (damit meinte sie jeweils die Situation, in der mir etwas unangenehm gewesen sein soll) dir überhaupt nicht peinlich ist.
Das sei nur ein Witz gewesen, behauptete Elvis von seiner vorherigen Bemerkung, denn sie waren immer noch bei dem Thema, als ich gerade vom WC zurückkehrte, aber man könne doch nicht einfach so tun, als gäbe es kein Problem, wenn der Vater ein Neger sei. Das sei doch nun mal eine Tatsache, dass sich das Kind früher oder später Bemerkungen werde anhören müssen.
Bemerkungen , fragte Annabelle.
Ja, antwortete er erstaunt, aber schon herausfordernd lächelnd, als begriffe er erst jetzt.
Diskriminierungen, rief Annabelle.
Das Personal sah wieder irritiert zu uns herüber. Die übrige Gesellschaft unterhielt sich weiter, offenkundig ohne den beginnenden Streit zu bemerken.
Ob sie ihre Augen davor verschließen wolle, sagte Elvis mit dem routinierten Grinsen eines alternden Fernsehmoderators, der verbergen will, dass er weiß, dass er immer noch den Augenblick kennt, in dem er einen Gag platzieren kann, damit, fuhr Elvis fort, Annabelle weiter von ihrer tugendhaften Gesellschaft träumen kann, um sich über die …, er ließ eine kurze Pause, um die Spannung vor der nachfolgenden Pointe zu steigern, und bevor er weiter sprach, hüstelte Elvis bewusst unecht, um auf den nachfolgend unangenehmen Charakter einer Wahrheit, die nun mal ausgesprochen werden müsse, aufmerksam zu machen, dann endlich vervollständigte er seinen Satz: eigene Verklemmtheit hinwegzutrösten.
Bitte? Was? Ich soll? Weil ich deine Bemerkungen darüber, dass, sagte Annabelle und nannte an dieser Stelle den Namen des Negerbräutigams, anders aussieht als wir, nicht witzig finde?
Anders als ihr vielleicht, bemerkte ich, in der Hoffnung, mit knappen Äußerungen zu Oberflächlichem problemlos in das Gespräch zurückzufinden, auch ohne zu wissen, worum es eigentlich genau ging.
Du hast erst mal Sendepause, schrie sie bereits fast, auf dich komme ich später zurück. Und wieder zu Elvis gewandt, zwar, wie ihr vermutlich selbst bewusst sein musste, mit einem denkbar schwachen Argument, doch zu lange durfte sie nicht mit einer Entgegnung warten, um nicht von dem gebogenen Ende eines langen Spazierstocks, der plötzlich hinter dem Vorhang erscheint, beiseite gezogen zu werden, obwohl, wie sie mir vor längerer Zeit versicherte, sie es hasste, dass solche Diskussionen immer über die Bühne gehen müssen, kann man nicht einfach normal reden, sagte sie mir einmal, Elvis aber entgegnete sie: Außerdem sagt man ›Neger‹ nicht.
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