Der Autor
Izy Kusche, 1973 in Hamburg geboren; Studium der germanistischen Literaturwissenschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaft sowie Sprachwissenschaft in Halle/Saale; 2001–2003 wesentlicher Bestandteil der Leipziger Literaturshow-Szene (Ilses Erika, Werk II); als Duo Fust/Kusche eine Reihe von Uraufführungen, u. a. Du und der Vergnügungspark (Burgtheater/KasinoBar 2007), Ich glaube an Raum (Burgtheater/Vestibül, 2008) und L’Afrique et le Réduit (Theater Basel/K6, 2009); sein Debütroman Und dann lynch’ ich deinen Hummer! – Das Affenalbum ist 2012 bei der Edition Atelier erschienen.
Die Textlicht-Reihe
Textlicht ist junge Literatur in einem handlichen Format, für daheim oder unterwegs, nebenher oder zwischendurch – die Bücher der Textlicht-Reihe sind Literatur, die unter die Haut geht und im Kopf bleibt.
Izy Kusche
Neueste Nachrichten legendärer
Gefangener und Ausgestoßener
zur Zeit des Trojanischen Kriegs
mit einem Glossar der
Namen, Orte und Begriffe
Oder mach’ ich lieber irgendwas mit Holz?
OOF!
Zukunftsmodell #1: Helena (20) Zukunftsmodell #1: Helena (20) Der Ansatz ist abgeschnitten: Ein Zopf, der auf dem Hinterkopf zu einem Kranz gewickelt liegt, hält die Stirn frei. Die blonden Locken wälzen sich seitlich über ein Kunstlammfell, das locker um die Schultern hängt und vom unteren Bildrand irgendwo am Oberarm abgeschnitten ist, bis sie vorne über die Brust fallen. Der Hals bleibt frei, doch schon das Dekolleté ist vom Haar bereits wieder vollständig verdeckt. Das Gesicht mit den weiten Augen und den beim Sprechen leicht zuckenden Brauen ruckelt ein wenig in der Bildmitte. Sobald sich die Überbelichtung durch die Bewegung der Kamera normalisiert, erkennt man hinter dem Kopf deutlich die Struktur der weißen Raufasertapete, links daneben einen Balken, bevor sich der andere Teil des Raums – jenseits des Winkels, in dem die junge Frau mit gedämpfter Stimme in die Kamera spricht – in der dunkelbraunen Auslegware samtig glänzend verliert. In der rechten unteren Bildecke schwebt der Namensschriftzug der Sendung, rechts oben das Logo des Kanals: ein einfaches Z. Um das Bild herum fließt das Weiß der schlicht gestalteten Basisseite des Senders, darunter der Name der Frau mit einer Altersangabe in Klammern. „Wir sind jetzt auf 1900 m Höhe.“ Ihre Stirn runzelt sich, wenn sich die Lippen zu einem zweifelnden Ausdruck kräuseln und sie kurz nach rechts blickt: „Es ist schneekalt. Die anderen Mädels sind schon gelackt.“ Als die Kamera schwenkt, wird kurz am rechten Bildrand ihr linker Arm sichtbar: Sie hält die Kamera selbst. Nach einer ungefähren Bewegung sieht man zwei Frauen in Silberfolie aus einer anderen Ecke des Raumes erscheinen. Ihre Köpfe, Gesichter und Frisuren glänzen golden. Als sie in Richtung des Betrachters winken, sind ihre Arme ebenso golden. Schwenk zurück. „Sie freuen sich schon. Jaaa!“ Wieder Schwenk zurück. Die goldenen Frauen hüpfen in ihren Folien auf und ab. Schwenk auf die Frau, die die Kamera hält. Das Bild wackelt, das Gesicht der Frau ist in die linke Hälfte ihres Ausschnitts gerutscht. „Es ist ziemlich spät. Der restliche Lack ist noch nicht oben. Ein paar Mädels und ich müssen gerade noch warten.“ Sie spricht weiter, es bleibt jedoch unverständlich. „Ein wenig Gold habe ich … [unverständlich.] Ansonsten: Jetzt geht es bestimmt gleich los. Ich bin schon so gespannt. Der Fotograf ist ganz toll drauf. Wir werden versuchen, eine tolle Aufnahme zu machen. Und ja, natürlich hoffe ich, dass ich gewinne.“
Alles funktioniert
Briseïs-Protokolle
Zukunftsmodell #2: Helena (22)
Helenos-Metapher
Philoktet-Variable
Zukunftsmodelle #3, #4 und #5: Helena (18), Helena (19), Helena (18)
Aeneas’ Nein
Kassandra™
Anhang [Paralipomenon]
Zukunftsmodell #1: Helena (20)
Der Ansatz ist abgeschnitten: Ein Zopf, der auf dem Hinterkopf zu einem Kranz gewickelt liegt, hält die Stirn frei. Die blonden Locken wälzen sich seitlich über ein Kunstlammfell, das locker um die Schultern hängt und vom unteren Bildrand irgendwo am Oberarm abgeschnitten ist, bis sie vorne über die Brust fallen. Der Hals bleibt frei, doch schon das Dekolleté ist vom Haar bereits wieder vollständig verdeckt. Das Gesicht mit den weiten Augen und den beim Sprechen leicht zuckenden Brauen ruckelt ein wenig in der Bildmitte. Sobald sich die Überbelichtung durch die Bewegung der Kamera normalisiert, erkennt man hinter dem Kopf deutlich die Struktur der weißen Raufasertapete, links daneben einen Balken, bevor sich der andere Teil des Raums – jenseits des Winkels, in dem die junge Frau mit gedämpfter Stimme in die Kamera spricht – in der dunkelbraunen Auslegware samtig glänzend verliert. In der rechten unteren Bildecke schwebt der Namensschriftzug der Sendung, rechts oben das Logo des Kanals: ein einfaches Z. Um das Bild herum fließt das Weiß der schlicht gestalteten Basisseite des Senders, darunter der Name der Frau mit einer Altersangabe in Klammern.
„Wir sind jetzt auf 1900 m Höhe.“ Ihre Stirn runzelt sich, wenn sich die Lippen zu einem zweifelnden Ausdruck kräuseln und sie kurz nach rechts blickt: „Es ist schneekalt. Die anderen Mädels sind schon gelackt.“ Als die Kamera schwenkt, wird kurz am rechten Bildrand ihr linker Arm sichtbar: Sie hält die Kamera selbst. Nach einer ungefähren Bewegung sieht man zwei Frauen in Silberfolie aus einer anderen Ecke des Raumes erscheinen. Ihre Köpfe, Gesichter und Frisuren glänzen golden. Als sie in Richtung des Betrachters winken, sind ihre Arme ebenso golden. Schwenk zurück. „Sie freuen sich schon. Jaaa!“ Wieder Schwenk zurück. Die goldenen Frauen hüpfen in ihren Folien auf und ab. Schwenk auf die Frau, die die Kamera hält. Das Bild wackelt, das Gesicht der Frau ist in die linke Hälfte ihres Ausschnitts gerutscht. „Es ist ziemlich spät. Der restliche Lack ist noch nicht oben. Ein paar Mädels und ich müssen gerade noch warten.“ Sie spricht weiter, es bleibt jedoch unverständlich.
„Ein wenig Gold habe ich … [unverständlich.] Ansonsten: Jetzt geht es bestimmt gleich los. Ich bin schon so gespannt. Der Fotograf ist ganz toll drauf. Wir werden versuchen, eine tolle Aufnahme zu machen. Und ja, natürlich hoffe ich, dass ich gewinne.“
Wenn du wüsstest. Was man so Anfang nennt. Auf dem Wasser. An Deck. Wenn man zurückschaut und die Felsen an der Küste zunächst noch wie zerknüllte Bögen aus dünnem Papier die Bucht begrenzen, als liege sie da wie ein Block, von dem Blatt um Blatt mit wütenden Durchstreichungen erst abgetrennt, dann zerknittert und schließlich beiseite geschoben worden ist, um einem neuen Entwurf zu weichen, und irgendwann verwandelt sich dieses Gewirr aus verworfenen Plänen in der Entfernung in einen opaken Dunst, blau und schließlich immer flacher, durch das dunkle Glas der Sonnenbrille scheint er eins mit ihrer Tönung zu sein, und du kannst zwischen vorne und hinten nicht mehr unterscheiden. Der Blick ist eine Glocke in deinem Kopf. Das leere Blatt Papier bleibt unbenutzt. Dann bleibt da nur noch das zerfledderte Geschrei der von Angst besessenen Möwen. Und das Grundrauschen vom Wind mit dem Nachdruck einer Zwangsstörung in den Ohren. Biomüll.
Pylades versucht, im Fahrtwind eine Zigarette zu entzünden. Anfangs lächelt er noch. Den Arm mit dem Feuerzeug presst er spitzwinkelig gegen seine Rippen, der andere steht vom Körper ab, die Hand um den hoch und runter klappenden Daumen gewölbt, dann die bekannte Unterbrechung, um das Feuerzeug ungläubig zu schütteln, der Blick ringsum, um die Windrichtung zu prüfen. Schließlich verschwindet er unter Deck. Als er mit brennender Zigarette zurückkehrt, hält er sein Gerät vor sich und mit dem silbernen A auf der schwarzen Rückseite zu mir hin. Er ruft etwas, woraufhin ich meine rechte Hand gewölbt zum Ohr auf derselben Seite führe und kurz die Schultern hebe. Pylades lacht wieder. Er hält sein Gerät zur Brücke, dann gegen die Sonne, vor die Reling, richtungslos zum Meer.
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