Zwischenzeitlich habe ich wirklich gedacht, du bist anders, und ich hatte mich geirrt vorher. Aber das war wohl ein Fehler. Du hast Angst davor, Farbe zu bekennen. Du bist wie alle anderen. Warum traust du dich nicht, wenigstens das ehrlich zuzugeben? Denkst du, ich kann das nicht verkraften? Hast du Angst, ich mache wieder Attacke? Oder was hast du gemeint, als du sagtest, du wüsstest nicht, ob das so gut sei, wenn wir alle zusammen zurück nach Griechenland fahren? Ich solle mir überlegen, ob es gut ist, auch wegen Pylades. Ist das deine Art, zwischen Pylades und mir zu wählen? Was ist denn das für eine Wahl? Ist doch klar, dass Pylades am wenigsten für alles kann. Ich meine, ich hab ihn wirklich gerne und so, aber seine Frohnatur kann auch ziemlich nerven. Du wirst dich doch nicht für ihn entscheiden?
Etwas zog dich hin zu mir, und das war nichts rein Griechisches oder Geschwisterliches. Das war ein Brrrtzln. Wenn du nicht etwas dagegen tust. Wolltest du dich wieder Schwester nennen und nicht mehr Mensch, nicht mehr Liebende, um dich aus deiner Pflicht zu stehlen? Ich dachte, du willst mir helfen. Lieber Bruder, so will ich dich also nun vorsichtshalber nennen, denn ich glaube, du hast da etwas überbewertet. Ich hatte mich gefreut dich wiederzusehen. Ich meine, überhaupt zu sehen. Klar, dass man sich dann umarmt. Zumal in so einer Situation. Aber das war es dann auch schon. Und deshalb tut es mir auch weh, deine Worte zu lesen. Jetzt ist nicht der Augenblick, mehr darüber zu schreiben. Zurzeit kann ich wirklich nicht bei dir vorbeikommen, um es mit dir persönlich zu besprechen. Doch ich bin zuversichtlich, dass du bald auch wieder raus kannst. Sei ebenso zuversichtlich, I.
Von meinem Artemis-Gerät gesendet.
Ich und zuversichtlich bleiben? Soll ich an meiner eigenen Zuversicht erkennen, dass du mir helfen willst? Du wirst mich allein lassen – wie Elektra. Ich habe es ja vorher schon gewusst. Du bist ein Teil des Systems. Insofern hasse ich deine Funktion und dich, wenn du dich mit ihr identifizierst. Wenn du das aber nicht tust, dann frage ich mich, wofür ich dich nicht hassen soll, solange du mich immer noch mit Hinhaltungen abspeist. Jetzt ist nicht der Augenblick? Worauf soll ich warten? Da kann ich ja genauso gut Schluss machen. Aber so tot wie du kann ich dabei gar nicht werden.
Du funktionierst wie ein Roboter. Du tippst ständig in deine Geräte rein, läufst zu Verhandlungen, du kannst deine Termine schneller bewältigen mit deinem Gerät, es entstresst dich total, aber was passiert? Du sagst, du kämpfst für die Freiheit. Meine. Deine. Unsere. Für die Freiheit, mit deinem Gerät. Freiheit der Geräte und der Geräteverbindungen. Du bist nicht mehr du selbst. Inmitten dieser ganzen Verbindungen. Du folgst blind deinem Programm wie einer Vorschrift. Denn das eine bedeutet das andere. Weißt du noch: Πρόγραμμα heißt schließlich das Vorgeschriebene. Wir sind unserer Sprache fremd geworden, weil sie von Geräteverwendungen bestimmt wird. Alles funktioniert. Lass uns einfach das Distributionsgerät schnappen, dann hauen wir ab. Und wir sind alle frei. Ich sehe nicht, was das eine mit dem anderen zu tun hat? Du hast Mama getötet. Und Aigisthos. Ich habe genug von deiner Ich-bin-schuld-aber-ich-kann-nichts-dafür-Logik. Es handelt sich um eine seltsame Relation, von dem, was du Freiheit nennst, zu dem, was du dahinter verbirgst. Das ist kein Wert an sich. Ich will endlich was von dir wissen, Orest: Warum. Warum, Orest? Womit hat das alles begonnen?
Von meinem Artemis-Gerät gesendet.
Wenn du wüsstest. Was man so Anfang nennt. Mama gab sich scheinheilig. Als wäre nie etwas gewesen. Wie sie dastand. In ihrem Zimmer. Noch immer im Morgenmantel. Schwafelte. Aigisthos soll beleidigt sein? Wie ich mich aufführe? Ich meine, bitte? Ich? Alle Achtung! Okay, bleib einfach ruhig, habe ich gedacht, lass dir gar nichts anmerken, also habe ich sie einfach angesehen, als ob ich gar nicht begreifen würde, was sie mir mitteilen wollte, und ich bin wirklich echt ruhig geblieben, aber dann hat sie wie wild angefangen zu schreien, so dass ich tatsächlich nicht verstanden habe, was sie meinte, als sie mit den Armen fuchtelte und, wie ich erst dachte, auf mich zeigte, bis ich begriff, dass sie eventuell nicht mich meinte, sondern meine Richtung und in Wirklichkeit hinter mich zeigte, und dann, ich verstand nur Ratte, also, was soll man denn denken, wenn eine Frau einem gegenübersteht, mit den Armen fuchtelt und immer wieder Ratte, Ratte brüllt, also drehte ich mich um, und dann: Attacke. Ich wollte das nicht. Wirklich. Das musst du mir glauben. Hilfst du mir?
–
Iphigenia, es tut mir leid. Wirklich. Bitte. Hilf mir.
–
Okay. Ich habe gelogen. Indem ich schrie. Wie willst du meine Mutter sein, wenn du Papa vergessen kannst, schlug ich auf die Gardine ein und riss sie runter, als ich sah, wie sich dahinter Schatten bewegten, die wohl von Aigisthos waren, wie er zitternd sich vor mir versteckte, als einziger, der in diesem Zirkus ehrlich blieb: entsetzt. Denn auch durch Mama wurde er kein König, sondern war immer noch derselbe Krämer, der nur durch Falschheit zu Macht kam. Ich hörte Mama schreien, als ich sie fragte, ob es ihr endlich leid tue: Hör auf, rief sie, ich kann immer noch ihre Angstschreie hören, aber ich habe kein Bild mehr vor Augen. Bitte. Antworte mir.
–
Also gut. Es war geplant. Von Anfang an. Ich musste das tun. Weil Apollon es schließlich wollte. Deshalb bin ich unschuldig. Das musst du mir jetzt aber tatsächlich glauben. Und wenn du mich hier nicht rausholst, dann bring ich mich wirklich um. Aber vorher knattere ich hier alles kurz und klein. Was soll das denn. Alles. Noch. Warum antwortest du nicht?
–
Wenn du wüsstest. Was man so Anfang nennt. Huhn oder Ei. So, wie Subjekt eigentlich Objekt bedeutet, weil es das Unterworfene ist: Subiectum in Latein. Ύποκείμενον in unserer Sprache: das Zugrundeliegende. Wir sind alle am Boden. Du bist gefragt. The readiness is all. Du kannst es auch sein lassen. Sicherlich. Aber weil es dir egal sein kann, kannst du es auch tun. Egal wie. Hauptsache schnell. Wie der Stoß eines Fechters beispielsweise. Meinetwegen. Ein kreuzendes Hin und Her. Und dann der entscheidende Hieb. Ein Reflex. Kein Modell. Reines Fühlen. Nur Gegenwart. Übereinstimmung mit dir selbst und dem Moment. Lass uns einfach abhauen. Ab nach Athen. Wie eine Wolke. Wir müssen nur bereit sein. Der Abend legt sich wie eine Membran auf uns. Die durchlässige Nacht bleibt an uns hängen, ein Luftzug drückt sie gegen die Haut, in dem die Bäume kaum vernehmbar knistern wie verborgene Tiere in ihrem Versteck. Etwas gibt sie preis. Was? Was?
Jetzt komme ich also endlich dazu, mich für eure zahlreichen und absolut süßen Kommentare zu bedanken. Ich weiß, ich habe euch wirklich lange warten lassen. Aber, Kinder, der ganze Stress. Ihr könnt es euch nicht vorstellen. Allerdings hat es sich diesmal wirklich gelohnt. Ich kann euch versichern, es sieht auf den Bildern, die ich schon transikoniert habe, nicht nur so aus – dieses Schiff ist wirklich exorbitant [Darstellung eines lachenden Pygmaíos]. Tatsächlich ist alles total brillo. Gerade habe ich mich an Deck ausgestreckt. Blick nach oben: Ein Himmel wie ein frisches, unberührtes Laken, monochrom. Wir treiben ruhig vor uns hin, das Meer federt unter unserem Schiff, als wäre die See nur eine wattige Lage und unter ihr eine weitere Schicht. Blick nach links: glattes, glänzendes Wasser. Blick nach rechts: glattes, glänzendes Wasser. Davor ein kleines Tischchen mit einem erfrischenden Lollo Paluz. Nach vorne zu schauen ist nahezu unmöglich, so flach habe ich meine Liege eingestellt. Das Artemis-Gerät halte ich halb hoch, mein rechter Zeigefinger berührt die Buchstabenfelder mühelos, und so kann ich euch ohne große Anstrengung auf dem Laufenden halten. Auch wenn es gerade wieder etwas stressig ist, eure Bedenken wegen des neuen Schiffs sind absolut unbegründet gewesen. Ich arbeite zwar viel, aber solange ich nebenher an einem Lollo Paluz nippen kann … Das hier ist alles eine einzige Schnittstelle. Was will man schließlich mehr. Voll brillo!
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