»Und Sie?«
Ich würde ebenfalls schreiben, änderte ich nun mein Vorhaben gänzlich, um eine gemeinsame Basis zu schaffen.
»Ach. Wie affig. Und was bitteschön schreiben Sie?«
Auch wenn sie naheliegend gewesen sein mochte, auf diese Frage war ich nicht vorbereitet. Ich wand mich ein wenig und erklärte schließlich, ich würde Theaterstücke schreiben. Sie blieb stumm. Ich wartete noch ein wenig ab. Da sie weiterhin schwieg, fragte ich sie, was sie denn schreibe.
»Ich schreibe jedenfalls keine großen Dramen, keine ernsthafte Kunst wie Sie. Ich schreibe kleine, humorvolle Texte über Strichmännchen. Denn Humor ist überhaupt das allergrößte.«
Na ja, begann ich improvisierend zu erläutern, meine Theaterstücke seien nicht ausschließlich ernsthaft, sondern durchaus etwas komisch und ja, Humor sei in der Tat sehr bedeutsam, als Mittel zur Distanzierung beispielsweise, wie Bertolt Brecht in seinem Stück –
»Sie Affe«, unterbrach sie mich, »eingebildeter Affe! Sind Sie der Meinung, Sie schreiben gute Literatur?«
Ich wurde etwas verhaltener und meinte relativierend, da diese Frage für mich wieder völlig unvermittelt kam, denn ich hatte noch nie gehört, dass einem Schriftsteller jemals so eine Frage gestellt worden war, was sei schon gut , rein objektiv betrachtet, es gehe ja darum, was Inhalt eines Textes –
»Die Berufung zum Künstlertum, verehrtes Äffchen, erfährt der Künstler ausschließlich aus Gründen der Subjektivität. Nach der eigenen Einschätzung befragt, kann der Künstler nur antworten, er sei der Beste. Meine Meinung ist: Ich scheiß auf Ihr objektives Trara. Was sind Sie für ein affiger Schriftsteller, wenn Sie hier mit irgendwelchen Inhalten kommen?«
Sie setzte ihre Ausführungen fort, indem sie nun wieder etwas höherfrequentig trank.
»… weniger die Intentionalität … als deren Aussetzen, weniger der bewusste Wille als das Begehren, weniger das Ich als das Subjekt des Unbewussten … experimentell … künstlerisch risikobereit … Konventionen brechen … Fortschritt der Ästhetik …«
Die Luft war ein Apparat. Plötzlich schien alles kompliziert. Doch irgendwo gab es immer eine Resettaste.
»Das ist nur versuchsweise«, deutete sie einschränkend auf unsere Hände, die sich nun wie lange getrennte Partner streichelten. »Sie haben schöne Hände. Innen glatt und zart. Und außen die vielen kleinen Haare, so flauschig. Darf ich diesen Pelz einmal streicheln?«
Ich erlaubte es ihr, und sie fuhr langsam mit ihren Fingerspitzen durch die Haare auf meinem Handrücken. Eine Zeitlang tat sie es, ohne dabei zu sprechen. Sie starrte auf ihre Finger, wie sie meine Hand berührten, aber ihre Augen schienen zu langsam dafür zu sein. Sie folgten ihren Bewegungen, bis sie an einem imaginären Punkt am Unterarm zum Stehen zu kommen schienen. Tatsächlich betastete sie längst meinen erweiterten Bauchbereich, und ihr Blick wirkte auf einmal wie durch offene Fenster, durch die man zwei azurfarbene, leere Räume sah und aus denen Gardinen durch den Rahmen herauswehten und im Wind flatterten, wenn sie sich gerade wieder die Haare mit umgestülpter Unterlippe aus der Stirn fönte.
»Sie sind überall behaart.«
Ich war beruhigt, dass sie nicht weiter über Literatur sprechen oder wissen wollte, ob und wo bereits Stücke von mir aufgeführt worden waren. Doch meine Erleichterung hielt nicht lange. Denn ihre nächste Frage lautete, ob ich vom Schreiben leben könne.
Ich würde in der Tat, aber quasi nur nebenher einer geregelten Arbeit nachgehen, räumte ich ein.
»Sind Sie also kein richtiger Schriftsteller?«
Ich schwieg einen Augenblick zu lang. Sie erzählte, dass sie sich gerade für ein Studium für kreatives Schreiben beworben habe, um anschließend davon leben zu können. Denn wenn man schreibt, dann müsse man davon überzeugt sein, was man schreibt, und dann sollte man nicht noch nebenher arbeiten wollen oder sollen.
Das heiße aber, erkundigte ich mich, im Moment lebe sie nicht vom Schreiben? Leider konnte ich sie ja nicht fragen, was aus ihrem Studium an der hiesigen Kunsthochschule geworden sei, in diesem Fall hätte ich meine Vorgehensweise nochmalig ändern müssen, und immerhin hatte sie schon meine Hand gestreichelt. Und
alles, was ich wollte,
war
in ihr Bett,
auch wenn der Weg dorthin dieses Mal auch anders verlaufen würde als beim letzten Mal. Aber so ist das mit den Menschen, man kann halt nur versuchen, sich bestmöglich anzupassen.
»Wenn man schreibt, dann weiß man auch, ob man gut ist, denn sonst ist man kein guter Schriftsteller«, setzte sie wieder etwas tautologisch an und wollte wissen, wovon ich genau lebe. Ich umriss knapp Charakter und Funktion der Einrichtung, die mein Arbeitgeber war, beließ es aber im Wesentlichen bei Andeutungen, in der Hoffnung, sie gäbe sich mit vagen Ausflüchten zufrieden. Aber warum auch immer, auf einmal wirkte sie hellwach und für einen Moment so klar, wie ich sie noch nie erlebt hatte.
»Sie arbeiten für die Juden?«
Es sei ein solide geführtes Unternehmen, mehrheitlich in Staatsbesitz, antwortete ich.
»Ich habe überhaupt nichts gegen Juden,« fuhr sie fort, »ich habe durchaus sogar einen Freund, der Jude ist. Er ist solange umgänglich, bis er beginnt, von«, sie pfiff und machte die Zeigefingergeste, »Anti-Semitismus zu pa-la-vern . Dann dauert es nicht mehr lange, und alle sind Anti-Semiten. Ich brauch ja nur mal Israel zu kritisieren. Schon würde er mir am liebsten über den Mossad gewisse Grüße schicken lassen. Dabei habe ich überhaupt nichts gegen Juden. Nicht, dass Sie mich falsch verstehen. Aber dieser Judenneger hat so eine Art an sich.«
Man könne sich heutzutage leider nicht aussuchen, für wen man arbeite, sah ich bereits meine Erfolgschancen bei ihr wieder schwinden und ergänzte, als Affe würde ich aber darüberstehen.
»Meine Güte. Was machen die denn?«
Ich blickte zum Fenster. Draußen hatten sich die Neger nebeneinander formiert. Sie trugen überraschenderweise jetzt alle einheitliche Trikots, die ihre durchtrainierten Körper äußerst betonten. Ihre Muskeln leuchteten in der Dunkelheit. Synchron bewegten sie sich nach links, dann nach rechts. Schließlich lösten sie diese Aufstellung sehr geschmeidig auf und standen sich in einer Zweierreihe gegenüber. Sie vergrößerten den Abstand zwischen den Paaren. Dann schlugen alle Purzelbäume und diejenigen aus der linken Reihe kamen zum Stehen. Die von rechts aber nutzten den Schwung, setzten nach der Landung sofort wieder zum Sprung an und hüpften auf die Schultern ihrer attraktiven Gegenüber. Dort angekommen, nahmen die oberen alle zur selben Zeit ihr linkes Bein und führten es elegant an ihren Hinterkopf. In dieser Position blieben sie kurz, bevor jeder zweite wieder auf den Boden sprang. Die übrigen stellten sich eng aneinander. Und auf einmal kletterten die ersteren an ihnen hoch, eine dritte Etage wurde gebildet, dann noch eine vierte.
»Ich hasse Minderheiten«, schrie sie, »und überhaupt. Alle wollen immer Aufmerksamkeit. Man soll zuhören. Aber ich halte das nicht aus, wenn die mit ihrem Minderheiten pa-la-ver anfangen. Ständig wollen die was von einem. Man soll sie anerkennen. Man soll sie so sein lassen, wie sie sind. Usw. Usw. Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ich hab eigentlich nichts gegen Minderheiten. Aber die sollen mich in Ruhe lassen. Die Neger sind am schlimmsten.«
Draußen hatte sich die Pyramide bis zur zweiten Etage gerade aufgelöst, diejenigen, die auf den Schultern der untersten standen, stützten sich nun mit ihren Armen auf deren Schultern. Sie streckten erst ihre Beine, dann den linken Arm, sodass sie nur noch auf ihrem rechten ruhten. Schließlich lösten sie auch diese grazilen Ts auf.
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