1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Emma lächelte ihn an, doch ihre Brauen senkten sich. »Heute nicht.« Sie legte eine Hand auf die seine. »Ich bin auch gerne nur mit dir zusammen. Bitte sag ja zu der Reise!«
Er stöhnte theatralisch auf. »Okay, vielleicht.«
Als er sich gerade wegdrehte, packte sie ihn an der Schulter. »Ben- nnn !«
Er stöhnte noch etwas lauter. »Na guuut.« Dann ließ er die Tür unter dem Protest der rostigen Scharniere aufschwingen.
»Juchhuuu! Dann bis morgen um 9 Uhr – pünktlich !«
1948 – im Südosten Venezuelas – die feuchteste Jahreszeit kehrt zurück
Die hurrikanartigen Winde hatten nachgelassen und ein mit Panzerplatten bewehrter Ankylosaurus ließ seinen nichtssagenden Blick gen Himmel schweifen, wo er sah, wie die Wolken sich teilten und herrlicher Sonnenschein durch ein Loch strahlte, das sich über dem Dschungel ausbreitete.
Die Kreatur war etwa sechs Meter lang und wog um die zwei Tonnen. Neben ihrer starken Panzerung besaß sie ein verhorntes Maul, das an einen Schnabel erinnerte. Dazu einen Knüppel aus massivem Knochen an der Schwanzspitze, den sie mit großem Erfolg gegen allzu aufdringliche Raubtiere einsetzte. Trotzdem war das Tier damit nicht unbezwingbar, doch die Fleischfresser ließen es meistens in Ruhe.
So beschäftigte es sich weiter damit, das Gras herauszureißen und es mit seinen faustgroßen Backenzähnen zu kauen. Der kürzeste Weg zum nächsten Busch führte zwischen zwei Baumstämmen hindurch, die nur knappe anderthalb Meter auseinanderstanden. Statt um sie herum zu gehen, quetschte das Biest seinen massiven Körper einfach hindurch und vertraute dabei auf die brutale Kraft seiner kurzen Beine.
Die Baumstämme und ihre Kronen schüttelten sich und von oben regneten hunderte, wenn nicht tausende, rote Ameisen herab, die ihr Nest verteidigen wollten. Die etwa drei Zentimeter langen Insekten hatten Dornen an ihren Köpfen, die sie aussehen ließen, als würden sie gehörnte Helme tragen. Nachdem sie sich auf dem Körper der mutmaßlichen Bedrohung in Position gebracht hatten, begannen sie ihren Angriff.
Sie benutzten eine starke Säure, um die Schmerzen ihrer zahllosen Bisse zu verstärken, und schwärmten dann zum Kopf der Kreatur, denn sie wussten, dass diese Dickhäuter dort am verwundbarsten waren. Schnell fanden sie die Augen, die Nasenlöcher und das weiche Innengewebe des Mauls.
Der Ankylosaurus schrie vor Schmerzen und Angst auf und galoppierte los. Sein massiger Körper zerschmetterte alles, was ihm im Weg lag, und seine Schreie hallten durch den Dschungel, sodass sämtliche anderen Bewohner verstummten. Geflügelte Kreaturen erhoben sich in den Himmel als der Saurier einen Wasserlauf erreichte und darauf zuhielt. Er war bereits fast blind, als er in das kühle Nass eintauchte, das viele der Insekten wegwusch, doch der Schaden war angerichtet. Durch Schmerzen und die Angst halb wahnsinnig geworden, wütete das Tier weiter.
Nichts schien es stoppen zu können, doch plötzlich packte es etwas am Hals. Es musste etwas Riesiges sein und der Ankylosaurus fühlte das Kratzen scharfer Zähne an seinem schildbewehrten Rücken.
Die Zähne hatten zwar keine Chance, seine Panzerung zu durchdringen, aber die Kraft der Kiefer war groß genug, um ihn festzuhalten. Panisch strampelte der Dinosaurier und versuchte, von der Stelle zu kommen, doch dann drückte die Masse des Angreifers von oben auf ihn und begann sich um ihn herumzuwickeln, bis er ihn komplett umgab.
Dann kam der Druck. Gigantische Muskeln zogen sich zusammen und unglaublicherweise begann der Panzer des Sauriers schon bald sich zu verformen und zu brechen. Der Pflanzenfresser schrie vor Angst, doch dadurch verlor er wertvolle Luft in den Lungen und wegen des immensen Drucks konnte er nicht mehr einatmen.
Die erste Rippe brach, dann eine weitere, und schließlich kollabierte der gesamte Brustkorb als erster Schritt der Pulverisierung seines gesamten Körpers. Erst dann verlagerte sich der feste Griff um den Hals auf den Kopf des Ankylosaurus. Das große, mit schweren Reißzähnen bewehrte Maul öffnete sich und schob sich nach vorn, um die Beute zu verschlingen.
Nachdem der Kopf und die Schultern des Dinosauriers im Rachen verschwunden waren, drückten die Muskeln noch ein letztes Mal zu und damit zerbarst das Herz des gepanzerten Riesen in seiner Brust.
Edward Barlows Telefon summte auf seinem opulent großen, antiken Eichenschreibtisch vor sich hin. Bis zu diesem Moment hatte in dem gewölbeartigen, holzgetäfeltem Raum, in dem er arbeitete, eine Grabesstille geherrscht – abgesehen vom stetigen Ticken der riesigen Standuhr in der Ecke.
Von den Wänden stierten ihn Tierköpfe mit dem wilden Blick ihrer Glasaugen an und ein ausgestopfter Eisbär stand in aufgerichteter Pose tonlos brüllend neben der Tür, als wäre er bereit, unerwünschten Eindringlingen Arme und Beine auszureißen.
Denn Barlow war Jäger. Oder vielleicht eher ein Sammler. Einer dieser typischen untätigen Reichen, dessen Familie ihm die Milliarden ihrer Tagebaufirma überlassen hatte. Ein Geschäft, an dem er nicht das leiseste Interesse hatte. Das, was ihn interessierte, waren der Schießsport und wilde Tiere. Je seltener und gefährlicher die Exemplare, umso mehr war er hinter ihnen her.
Barlows Urgroßonkel war Douglas Baxter gewesen, und schon als kleiner Junge hatte man ihm von der unglücklichen Expedition erzählt, die er mit Benjamin Cartwright unternommen hatte. Er wusste von den Gerüchten, dass sie losgezogen waren, um einen geheimen Ort voller fantastischer Kreaturen aufzuspüren.
Egal, wie viel Zeit oder Geld er investiert hatte, es war ihm nie gelungen, einen Hinweis darauf zu erhalten, wo er suchen sollte – oder nicht einmal, wo er mit der Suche anfangen konnte. Er hatte selbst schon den Amazonas umgekrempelt und ein kleines Vermögen für Satellitenaufnahmen ausgegeben. Doch im Land der Boraro , der südamerikanischen Dämonen, waren seine Bemühungen in einer Sackgasse geendet.
Barlow hatte schon immer vermutet, dass es etwas gab, das er übersehen oder fehlinterpretiert hatte – irgendwelche Hinweise, den Ort oder vielleicht das Timing. Er erinnerte sich, dass Douglas Baxter eine gewisse Dringlichkeit im Zusammenhang mit den Daten anklingen lassen hatte; dass er unbedingt zu einer ganz bestimmten Zeit im Amazonas hatte sein müssen – ging es dabei um die Regenzeit, eine Sonnenfinsternis oder die Brunftzeit der lokalen Tierwelt? Barlow hatte es nie herausfinden können. Sein letzter Schachzug war von technologischer Natur. Er hatte vor einem Jahr eine Firma beauftragt, ausgeklügelte »Fallen« im Internet aufzustellen, die auf bestimmte Suchwörter reagierten. Diese lauteten: Benjamin Cartwright, Expedition, Notizbuch, 1908, Amazonasdschungel und Dinosaurier.
Nichts war dabei herausgekommen, die Fallen wurden nie ausgelöst.
Bis jetzt.
Denn nun hatte jede dieser Fallen Alarm geschlagen, als nach ganz bestimmten Begriffen gesucht wurde: Benjamin Cartwright, Expedition, Notizbuch, 1908 und Amazonasdschungel. Es war klar, dass jemand nach Aufzeichnungen zu der Expedition in den Amazonas im Jahre 1908 suchte. Seiner verdammten Expedition!
Barlow spürte, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, als er den Bericht las. Das technische Dokument hatte auch die Quelle dieser Suche aufgedeckt. Er lehnte sich für einen Augenblick zurück und verschränkte seine dicklichen Finger auf seinem hervorstehenden Bauch.
Warum jetzt? Warum hatte plötzlich jemand mit der Suche angefangen? Das fragte er sich, doch im Prinzip war ihm die Antwort absolut klar: Weil neue Hinweise aufgetaucht waren. Das bedeutete, der unbekannte zeitliche Faktor, der offenbar eine Rolle spielte, war nun im Begriff, sich zu wiederholen.
Читать дальше