Keltenwelt am Glauberg
Am Glauberg 1
63695 Glauburg
06041 823300
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9 Die Pechnase hat ausgedient
Ortenberg: Evangelische Marienkirche
Das mittelalterliche Städtchen Ortenberg im Niddertal strebt nach Höherem. Nicht dass der Wetterauer Ort besonders hoch läge, aber seine Gassen schmiegen sich in Südhanglage an eine Basaltkuppe. Auf deren Gipfel recken sich drei Türme gen Himmel: der Turm der gotischen Hallenkirche mit vier Giebeln, die Oberpforte – Eckpfeiler der Stadtmauer aus dem 13. Jahrhundert – und der runde neuzeitliche Eckturm des Schlosses. Auf der inneren, der Altstadt zugewandten, Seite klafft der Torbau mauerfrei und erinnert an eine Guckkastenbühne. Ursprünglich war er mit Fachwerk und später mit Lehmwänden und Bohlen verkleidet. Außen klebt unterhalb des Daches ein kleiner Balkon, der keineswegs der schönen Aussicht dienen sollte. Diese »Pechnase« ist nach unten offen und bezeugt die Wehrhaftigkeit des Bauwerks.
Der Kirchturm trägt einen der ältesten Turmdachstühle in Deutschland, auf 1368 datiert. In einem Seitenschiff der Evangelischen Marienkirche befindet sich eine Kopie des prächtigen Ortenberger Altars, des dreiflügeligen Kunstwerks Heilige Sippe von 1430, dessen Original im Landesmuseum Darmstadt aufbewahrt wird. Der Mittelteil des Altars zeigt Die Jungfrau Maria inmitten ihrer Verwandten, ein schimmernder Anblick in Blattgold und Blattsilber. Hat man sich sattgesehen, lohnt ein Augenaufschlag zur Gewölbedecke, die mit freigelegten und fein restaurierten Blumenornamenten verziert ist. Diese »Marienkräuter« inspirierten Ortenberger Pflanzenfans vor einigen Jahren, an der Kirchenmauer einen Marienkräutergarten mit Heilpflanzen anzulegen und diese auf Schiefertäfelchen zu bezeichnen.
Auch nachts blicken die Ortenberger gern nach oben: Die Stadtlaternen enthalten Scherenschnitte zur Stadtgeschichte von Albert Völkl.
Der Kalte Markt von Ortenberg mit etwa 400 Marktständen hat einen Ruf als größtes Volksfest Oberhessens. Seit dem 13. Jahrhundert deckt man sich darauf Ende Oktober mit Vorräten für den Winter ein.
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Evang. Marienkirche
Schlossplatz 2
63683 Ortenberg
06046 800019
www.ortenberg.net
10 Hessische Hurdy-Gurdy-Girls
Ortenberg: Musikinstrumenten-Museum Lißberg
Das kleine, aus allen Nähten platzende Museum für Musikinstrumente in einer Sackgasse zu Füßen der Burg Lißberg im gleichnamigen Dorf zeigt die weltgrößte Schau von Drehleiern und Dudelsäcken. Großspender dieses musealen Hotspots mit 2.200 seltenen und originellen Exponaten ist der Frankfurter Grafikdesigner und Drehleierbauer Kurt Reichmann. Aus seiner Schatzkiste stammt ein Großteil der Instrumente, zu denen Raritäten wie ein Nürnberger Geigenwerk, eine Dulzaina (altspanische Oboe), zwei äußerst seltene Orgelleiern und ein Bassanello (venezianische Schalmeienart) gehören sowie zahllose weitere Blasinstrumente aus vielen Kulturen.
Mit der Drehleier, einem populären alten Streichinstrument, nicht zu verwechseln mit einem Leierkasten, ist die tragische Geschichte der hessischen »Hurdy-Gurdy-Girls« verbunden. In den bitterkalten 1820er-Jahren verlegten sich arme Familien in Wetterau, Vogelsberg, Taunus und Westerwald darauf, Fliegenwedel aus Holzspänen herzustellen, die im Sommer von Hausierern verkauft wurden. Diese Landgänger unterhielten die Bevölkerung auch musikalisch. Oft wurden sie von sehr jungen Mädchen begleitet, die Drehleier spielten und tanzten. Bald schon zogen Seelenverkäufer auf der Suche nach 13-Jährigen von Dorf zu Dorf, häufig ließen die Eltern sie gehen – eine Esserin weniger am Familientisch war Lohn genug. Viele Mädchen landeten in Londoner Animierbars und Bordellen, manche gelangten nach Übersee bis in die Saloons der kalifornischen Goldgräberstädte. »Hurdy-Gurdy-Girls« hießen sie nach der englischen Bezeichnung für Drehleiern. Einige wenige kehrten als zwar »gefallene«, aber wohlhabende Frauen in die Heimat zurück. Der Exodus der Drehleiermädchen hielt trotz der Verbote durch hessische und nassauische Behörden bis zum Ende des 19. Jahrhunderts an.
Über Pfingsten oder Himmelfahrt treffen sich Freunde der Drehleiermusik zu den Lißberger Leiertagen mit Vorstellungen und Kursen für Anfänger und Fortgeschrittene ( www.die-drehleier.de).
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Musikinstrumenten-
Museum Lißberg
(April–Oktober)
Schlossgasse (zwischen Kirche und Burg)
63683 Ortenberg-Lißberg
06046 9584968
www.museum-lissberg.de
11 Tonnenschweres künstlerisches Erbe
Hirzenhain: Kunstgussmuseum
Hugo Buderus, 1841 im Wetteraudorf Hirzenhain an der Schwelle zum Vogelsberg geboren, dort 1907 gestorben, liebte seine Heimat und ihre Bodenschätze. Bereits 1679 hatten seine Vorfahren als Erbpächter von Graf Ludwig-Christian zu Stolberg-Gedern die ersten Hochöfen an der Hirzenhainer Waldschmiede betrieben. Der kaufmännisch ausgebildete Sprössling der vierten Unternehmergeneration studierte in Darmstadt Maschinenbau und Gießereiwesen. Ihn faszinierte in besonderer Weise die Gießereitechnik, und da das in Hirzenhain verhüttete Eisenerz sehr phosphorhaltig war und sich eher für Guss als für Stahlproduktion eignete, trennte sich Buderus von dem Buderus’schen Unternehmenszweig in Lollar bei Gießen und führte die Hirzenhainer Eisenwerke in Alleinregie weiter. Hier entstanden Kunstguss-Exponate, etwa reich ornamentierte Ofenplatten (beliebtestes Motiv: die Hochzeit zu Kana), eiserne Kreuze für Kriegsauszeichnungen sowie Statuetten von Tieren und Menschen, die im Biedermeier modern geworden waren und die Salons des Bürgertums zierten.
Seit Frühjahr 2017 allerdings bleiben die Schmelzöfen des Wetzlarer Nachfolgeunternehmens Bosch Thermotechnik in Hirzenhain kalt. Nach der Schließung der Fertigung hält nur noch das Kunstgussmuseum Hirzenhain die Eisenhüttentradition im Ort aufrecht. Es besitzt einen großen Schatz an kunsthistorisch wertvollen, bis zu 500 Jahre alten Kaminplatten, an kostbaren Öfen, an filigranem Eisenschmuck, Plastiken, Statuen, Büsten und Porträts. In den Souterrainräumen lagern Hunderte von Gusswerken, die mangels Platz gar nicht ausgestellt werden können.
Ob die Hirzenhainer ihr tonnenschweres Erbe erhalten können? Pläne für ein überregional repräsentatives Industriemuseum liegen offenbar in mehreren Schubladen, aber es wird auch viel gestritten darüber.
Von Schloss Gedern nach Hirzenhain und zurück führt der Rundwanderweg Eisenpfad Gedern (23 Kilometer). Am Wegesrand informieren zehn Tafeln über die Kulturgeschichte des Eisenerzabbaus.
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Kunstgussmuseum Hirzenhain
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