»W-was ist mit dir? Was ist dein Job?«
Die Frage schien Darius zu überraschen, denn er hob die Brauen und blickte auf Joshua hinab, als sie auf ein Zimmer zugingen, in dem zur Abwechslung Licht brannte. »Importe und Exporte«, antwortete Darius und wandte natürlich den Blick ab. Aber in der Sekunde, als sich ihre Blicke getroffen hatten, war ein winziger Funke durch Joshua hindurchgeschossen. Zumindest nahm Da-rius ihn wahr, wenn auch nur kurz. »Ich war in der Army, aber…«
Sie erreichten eine Tür im Erdgeschoss und Joshua stellte fest, dass es das Esszimmer war, das Mrs. Weatherby erwähnt hatte. Aber im Gegensatz zu den anderen leblosen Räumen, war dieser voller Leben.
Im Vergleich zu dem, was Joshua vom Rest des Schlosses gesehen hatte, war das Zimmer nicht groß, aber wahrscheinlich immer noch groß genug, um das gesamte Erdgeschoss von Joshuas Reihenhaus in Folkstone aufzunehmen. Ein Kristalllüster glitzerte über einem langen Tisch, der mit einem makellosen Tischtuch bedeckt war. Köstlich aussehende Häppchen stapelten sich auf silbernen Platten und in einem verzierten Eimer befand sich eine Flasche mit echtem französischem Champagner. Nicht der Sekt, den Joshua im Rose and Crown ausgeschenkt hatte.
Die aufflammende Begeisterung kam so unerwartet, dass Joshua beinahe nicht wusste, was er damit anfangen sollte. Ohne darüber nachzudenken, drehte er sich zu Darius um und strahlte ihn an. Selbst an diesem komplizierten und verwirrenden Tag konnten sie vielleicht einen schönen Moment miteinander teilen, sodass ihre Ehe am Ende doch keinen so schlechten Start hatte.
Aber sobald Joshuas Blick auf seinem Ehemann landete, rutschte ihm der Magen in die Kniekehlen. Auf Darius' Miene zeichneten sich Entsetzen und Panik ab. Er zog sich zurück, taumelte gegen den Rand der Holztür und das Geräusch seiner Lederschuhe auf dem Steinfußboden hallte laut, als er den Raum verließ.
»Es… es tut mir leid«, sagte er. Seine blauen Augen weiteten sich, als Wut über sein Gesicht huschte und die Panik überschattete. »Bitte entschuldige – ich kann nicht – bitte, bedien dich.« Unbeholfen verbeugte er sich leicht, ehe er in die Dunkelheit des Flures flüchtete und die Tür hinter sich schloss.
Joshua starrte die Holztür an und Tränen traten ihm in die Augen, als sich Stille ausbreitete. Darius war von ihm also so angewidert, dass er nicht einmal den Gedanken ertragen konnte, ihm ein falsches Lächeln zu schenken und auf ihre Ehe anzustoßen. Nicht einmal für zehn Minuten. Joshua schniefte und ließ den Tränen freien Lauf, ehe er sich schnell übers Gesicht wischte. Tja, es war auch sein Hochzeitstag und wenn es sonst nichts zu bejubeln gab, würde er die Tatsache feiern, dass er nicht ohnmächtig geworden war und das Richtige für seinen Dad und die Familien der verstorbenen Mitarbeiter getan hatte.
Mit einem entschlossenen Schnauben ging Joshua zum Tisch, schenkte sich ein Glas Champagner ein und ging zu einem der großen Bogenfenster, von denen aus man über das Gelände blicken konnte.
Die Sonne ging an diesem grauen, verregneten Januartag unter. Die Bäume waren kahl und der Boden schlammig. Abgesehen von den Stallungen des Schlosses war kein anderes Gebäude zu erkennen und Joshua konnte bis zu den weißen Klippen von Dover blicken. Es war einsam und trostlos, aber Joshua atmete zittrig ein und zwang sich anzuerkennen, dass diese Landschaft eine raue und schroffe Schönheit besaß.
Also setzte er sich auf das Fensterbrett, knöpfte das alte Jackett auf, entledigte sich seiner Schuhe und zog die Füße auf die Fensterbank, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Die Kälte des Glases und des Steins drang durch seine Kleidung, aber er blieb sitzen, nippte an seinem Champagner und ließ den Alkohol durch seine Adern kreisen.
Das war es. Die Hochzeit war erledigt. Das Geschäft, sein Dad und die Familien, die sie unterstützen, waren gerettet und nun war er auf sich allein gestellt. Er sollte also das Beste daraus machen, denn niemand würde kommen und ihn retten.
Egal, wie sehr er es sich wünschte.
Darius
Darius war am Arsch.
Er seufzte wütend, warf das Buch, das mit dem er sich versucht hatte abzulenken, auf den Tisch und stieß die Maus an, um seinen Computer aus dem Ruhemodus zu holen. Laut knurrend betrachtete er die wieder aufscheinende Tabelle. Meistens interessierten ihn die Zahlen für die Firma, die ihm sein Vater aufgezwungen hatte, überhaupt nicht, aber im Moment noch weniger als ohnehin schon.
Darius war zu beschäftigt damit, verzweifelt zu versuchen, nicht an die andere Sache zu denken, die sein Vater ihm aufgezwungen hatte.
In den wenigen Tagen zwischen der Ankündigung der arrangierten Ehe und dem Treffen mit Joshua für diesen erbärmlichen Abklatsch einer Zeremonie, hatte Darius sich ihn auf hundert verschiedene Arten vorgestellt. Überraschenderweise hatte eine Internetrecherche keine Informationen preisgegeben, ganz zu schweigen von einem Foto, also musste sich Darius auf seine Vorstellungskraft verlassen. Er hatte sich gefragt, ob er mit einer mürrischen Blage, einem süßen, aber unglücklich geformten Burschen, einem Faulenzer oder irgendeinem anderen nicht wünschenswerten Typen verheiratet werden würde.
Ihm war nicht in den Sinn gekommen, dass Joshua Bellamy herzzerreißend schön sein könnte.
Darius hatte all seine Kraft aufgebracht, um nicht wie ein hungriger Wolf mit offenem Mund zu starren, als Joshua vor ein paar Tagen ins Büro gekommen war. Darius fiel es nicht schwer zu erkennen, dass Joshua, selbst in dem schlecht sitzenden grauen Anzug, perfekte Proportionen hatte. Er war klein und schlank, hatte hohe Wangenknochen, weiche blonde Haare und feingliedrige Hände.
Aber seine Lippen. Diese Augen. Darius stöhnte, wenn er nur daran dachte, rutschte auf seinem Stuhl herum und zupfte am Schritt seiner Hose, bevor sie zu eng wurde. Joshuas Lippen waren rosa, herzförmig und zum Küssen gemacht. Seine Augen waren groß und braun, wie die Rinde einer Eiche nach dem Regen.
Er war anders als jeder Mann, den Darius je zuvor getroffen hatte und trotzdem wollte er ihn auf der Stelle.
Also konnte er ihn natürlich nicht haben.
Allein der Gedanke war unvorstellbar. Der arme Junge war gerade mal zwanzig und hatte während der gesamten Zeremonie wie Espenlaub gezittert. Darius hatte die groteske und absurde Vorstellung überkommen, einen Arm um den jungen Mann zu schlingen, und ihm zu versichern, dass alles gut werden würde.
Aber selbstverständlich hatte er es nicht getan. Er hatte seinen Beschützerinstinkt niedergerungen, denn letztendlich wäre es das Schlimmste gewesen, was er hätte tun können.
Joshua war gegen seinen Willen hier. Darius' Vater hatte ihn und seinen Vater zu diesem Pakt mit dem Teufel gezwungen. Es wäre vollkommen unverzeihlich, wenn Darius auch nur eine Sekunde lang seiner Anziehung für den Mann nachgab, den er gezwungenermaßen geheiratet hatte. Er würde ihn niemals so ausnutzen. Nur über seine Leiche.
Deshalb hatte er sich bei der Aussicht auf einen romantischen Moment im Esszimmer gesträubt. Mrs. Weatherby und Camille, die Köchin des Schlosses, hatten sich wie immer selbst übertroffen und an diesem sonst schrecklichen und seltsamen Tag einen aufrichtig schönen Augenblick geschaffen, den Darius und Joshua miteinander teilen könnten. Aber als Darius den gemütlichen, hell erleuchteten Raum und die Leckereien für sie gesehen hatte, hatte sein Fluchtinstinkt eingesetzt. Er konnte so etwas nicht mit Joshua teilen. Es war nicht fair. In ihrer Beziehung herrschte ein Machtgefälle und Darius würde das nicht ausnutzen. Im Gegensatz zu seinem Vater.
Dies war eine geschäftliche Verbindung. Darius wollte nicht grausam sein, aber er musste sich ganz weit von diesen Gefühlen fernhalten, die sich jedes Mal in ihm ausbreiteten, wenn er sich Joshuas glückliches Gesicht bei dem einfachen Hochzeitsfrühstück vorstellte.
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