Er war sich fast sicher, dass das hier nicht der Fall sein würde, aber der Gedanke gab ihm trotzdem etwas Trost. Er war nicht allein in dieser Situation, egal, wie sehr es sich danach anfühlte.
Viel zu früh war alles gesagt, was gesagt werden musste und Joshua unterschrieb zusammen mit Darius die Papiere. Anschließend verstaute der Standesbeamte alles in einer ledernen Aktentasche und murmelte vor sich hin, als er aus dem Raum huschte.
»Hervorragend«, sagte der alte Mr. Legrand. Er grinste Joshua kalt an, als er seinem Dad eine schlanke Hand um die Schulter legte und sie sichtbar drückte. »Nun, da das geklärt ist, müssen Bellamy und ich über das Geschäftliche reden. Ich bringe Sie hi-naus, Christopher.«
Was? Jetzt schon? »Aber – !«, stammelte Joshua.
»Oh, ähm, Sir«, mischte sich die freundliche, mollige Frau ein, indem sie die Hand hob. »Camille und ich haben zur Feier ein kleines Abendessen im Esszimmer vorbereitet. Ich…«
»Niemand hat Sie darum gebeten«, sagte Mr. Legrand abweisend und führte Joshuas Dad bereits aus dem kleinen Büro.
»Dad?«, rief Joshua und versuchte, sich nicht wie ein kleines Kind zu fühlen, das gleich in Tränen ausbrach.
»Es ist in Ordnung, Joshua«, erwiderte er aus dem Flur und außer Sichtweite. »Wir unterhalten uns bald.«
Und dann war er weg. Joshua hatte nicht einmal die Möglichkeit gehabt, sich zu verabschieden.
Er unterdrückte das Schluchzen, das drohte, aus seiner Kehle zu dringen, biss die Zähne zusammen und sah auf den Steinfußboden.
»Nun ja, dann«, sagte die Frau unbehaglich. »Sollen wir, ähm…«
»Wir finden den Weg«, sagte Darius. Seine Stimme war ein tiefes Grollen, das durch Joshuas bereits zitternden Körper vibrierte. »Vielen Dank, Mrs. Weatherby«, fügte er hinzu, als wäre er es nicht gewohnt, mit ihr zu sprechen. »Das war nett von Ihnen.«
Mrs. Weatherby sah zwischen ihnen hin und her, als wäre sie unsicher, ob sie sie allein lassen sollte. Joshua musste zugeben, dass es ihm ebenso ging. Doch dann nickte sie und huschte zur Tür hinaus. Joshua hatte beinahe Angst, zu laut zu atmen.
Darius brummte und streckte die Hand aus, um Joshua zu bedeuten, dass er vorausgehen sollte. Im Flur war niemand zu sehen, geschweige denn sein Dad. Joshua versuchte, seinen Ärger und das Bedauern zu unterdrücken. So würde es von nun an sein, nicht wahr? So würde er behandelt werden, jetzt, da er zum Inventar des Legrand-Anwesens gehörte.
Bedrückende Stille breitete sich zwischen ihnen aus, als sie über den kalten Steinfußboden gingen. Konnte man sich hier keine Teppiche leisten? Oder wenigstens Läufer? Joshua würde sich heute Nacht zu Tode frieren, da war er sich sicher.
Oh… Gott. Ihm kam ein Gedanke. Wo sollte er schlafen? Erneut stieg Furcht in ihm auf, als er nach einem Weg suchte, danach zu fragen. Er hatte wirklich keine Ahnung, wie ihr Leben hier ablaufen sollte.
Aber er brachte kein Wort heraus. Es war, als wären alle Worte weggeschlossen und kämen nicht an dem Kloß in seiner Kehle vorbei. Er schob die Hände in die Taschen, damit sie aufhörten zu zittern.
»Was machst du beruflich?«, platzte Darius heraus, als sie den Korridor hinuntergingen. Joshua sah zu ihm und stellte fest, dass er den Blick auf den Boden gerichtet hatte, die Hände fest hinter dem Rücken verschränkt.
Joshua schluckte und versuchte, nicht verlegen zu sein. Er war seltsamerweise dankbar für den Gesprächseinstieg, mochte jedoch die Einzige mögliche Antwort nicht sonderlich. »Ich, ähm, ich arbeite in einem Pub. Habe in einem Pub gearbeitet, meine ich. Ich war Barkeeper.« Das würde Darius sicher beeindrucken und für ihn einnehmen. Joshua verdrehte gedanklich die Augen.
Das Problem war, dass Joshua erst versucht hatte, herauszufinden, was zum Teufel er mit seinem Leben anfangen wollte. Er gehörte nicht zu denen, die mit einem bestimmten Karriereplan zur Uni gegangen waren. Sein Dad hatte ihn nie unter Druck gesetzt, das Geschäft zu übernehmen, sobald er sich zur Ruhe setzte, auch wenn Victor Legrand denken mochte, dass Joshua irgendeine Art Erbe war. Sein Dad hatte immer gesagt, dass Joshua seinen eigenen Weg schaffen würde. Er hatte gedacht, er hätte Zeit. Viel Zeit sogar. Nicht in seinen wildesten Träumen hätte er sich in dieser Situation, in diesem zugigen Schloss und mit einem Fremden verheiratet gesehen.
Er war nicht sicher gewesen, ob er überhaupt geheiratet hätte.
Joshua war ein unbeholfenes Kind gewesen, schlaksig und schüchtern. Weder er noch sein Dad hatten nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter gewusst, was sie tun sollten, also hatten sie gemeinsam gekämpft, nur sie beide. Er war leicht zu übersehen gewesen und Joshua hatte es so gefallen.
Als Joshua das Teenageralter erreicht hatte und dank der Pubertät vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan geworden war, war es schmerzhaft offensichtlich gewesen, dass die Leute versucht hatten, ihn aufgrund seines Aussehens anders zu behandeln. Es war viel schwerer, nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, wenn alle annahmen, dass man Model war oder eins werden wollte.
Es war keine Eitelkeit. Eigentlich wünschte Joshua, nicht so schön zu sein. Er persönlich glaubte aufrichtig daran, dass Schönheit in allen Formen und Größen kam. Aber ob es ihm gefiel oder nicht, die Leute schienen sich im Allgemeinen einig zu sein, dass er gesegnet war und wollten ihn deshalb bevorzugt behandeln. Allerdings war jede Tür, die sich wegen etwas so Wahllosem wie guten Genen öffnete, eine Tür, an der Joshua kein Interesse hatte. Also hatte er es sich zur Aufgabe gemacht, so unauffällig wie möglich zu sein und sich ganz klein zu machen. Lieber hatte er nichts erreicht, als Möglichkeiten zu nutzen, die er sich nicht fair verdient hatte.
Nicht, dass Kerle nicht dauernd versuchten, ihn anzumachen. Aber die lüsternen Blicke und die klischeehaften Anmachen waren ermüdend gewesen. Also war Joshua nie in Versuchung gekommen, mit jemandem auszugehen und hatte sich entschieden, sein Verlangen privat zu befriedigen. Die Ehe war so unerwartet gewesen wie eine Reise zum Mond.
Aber trotz allem konnte er seine Schönheit nicht hassen. Er wusste von unzähligen alten Fotos, dass er sein Aussehen von seiner Mum hatte und das liebte er. Als hätte er immer etwas von ihr bei sich, egal, was, das wie ein Schutzengel auf ihn aufpasste.
Vielleicht würde sie ihn jetzt, in seinem neuen Leben mitten im Nirgendwo mit diesem angsteinflößenden Riesen beschützen. Was hielt er von Joshuas Aussehen?
Wenn er Joshua mehr als nur eine Sekunde ansehen würde, könnte er es vielleicht erraten. Aber scheinbar konnte er es nicht einmal ertragen, seinen Ehemann anzusehen. Joshua konnte ihm keinen Vorwurf machen. Soweit er es von seinem Vater verstanden hatte, hatte Darius genauso viel Mitspracherecht gehabt wie Joshua. Aber aus irgendeinem albernen Grund hatte Joshua das Gefühl, dass es ihn nicht stören würde, wenn Darius ihn hübsch fand. Vielleicht würde es diese ganze Angelegenheit erträglicher machen.
Innerlich tadelte er sich. Wenn Darius ihm gegenüber nur nett sein wollte, weil er ihn umwerfend fand, war er nicht besser als all die anderen Typen, die Joshua über die Jahre abgewiesen hatte. Letztendlich wäre es kein Trost.
Vielleicht war es besser, wenn Darius von Joshua angewidert war und nur große, starke und muskulöse Männer wie sich selbst mochte? Wahrscheinlich wäre es so sicherer. Immerhin sah Darius aus, als wäre er seit Monaten nicht beim Friseur gewesen und bis jetzt war sein Gesichtsausdruck ausschließlich finster gewesen. Joshua war sich sicher, dass er ihn nicht in seiner Nähe haben wollte.
Darius hatte lediglich genickt, als Joshua gesagt hatte, dass er Barkeeper war. Aber aus irgendeinem Grund wollte Joshua weiterreden. Wenn es auf dieser Welt irgendwo Glück gab (und er war sich sicher, dass es das nicht gab), könnten er und Darius zumindest anständig miteinander umgehen. Vielleicht sogar Freunde werden.
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