1 ...7 8 9 11 12 13 ...27 »Warum erfahre ich davon erst jetzt, unter diesen ... diesen etwas merkwürdigen und gehetzten Umständen?« Kolber klopft noch heftiger gegen den Aschenbecher. Sebastian Kleine spürt, wie die Atmosphäre immer gereizter wird. Godeffroy vermeidet es, Theobald Kolber anzusehen.
»Weil ich selber erst seit gestern Abend von diesem Diamanten-Projekt weiß, seit gerade mal zwölf Stunden. Ich habe eine schlaflose Nacht lang darüber nachgedacht – und über die gesamte wirtschaftliche Situation unseres Hauses ...«
Kolber unterbricht ihn.
»Aber von Diamanten verstehen wir doch nichts, wir handeln mit Stahl und mit Kupfer, mit Schiffen von unserer Werft und mit Kokosnüssen aus dem Pazifik. Diamanten? Davon haben wir doch keine Ahnung! Schon gar nicht von Diamantenminen und deren Ausbeutung! So ein Geschäft ist für uns ein unkalkulierbares Risiko – haben wir das wirklich nötig? Geht es uns so schlecht? Musst du deinen Ruf und die Existenz der Firma tatsächlich auf so ein Vabanquespiel setzen?«
Kolber schiebt seine kalte Pfeife zwischen die Zähne und kaut mit verkniffenem Gesichtsausdruck auf dem Stiel herum. Dabei blickt er Godeffroy an, als zweifele er an dessen Verstand.
Godeffroy zögert, bevor er sich an Sebastian Kleine wendet. »Darf ich Sie bitten, uns für eine Weile allein zu lassen, Herr Kleine, ich muss offenbar mit meinem alten Freund und Partner ein paar persönliche Dinge besprechen, bevor wir wieder sachlich auf diese Angelegenheit hier zurückkommen können, für die wir Sie dann dringend brauchen werden.« Godeffroy deutet dabei auf die drei Diamanten im Tabakshaufen. »Warten Sie in der Nähe der Brücke. Ich lasse Sie wieder rufen!«
Sebastian Kleine geht an Deck. Nervös lehnt er sich an die Reling und beobachtet das geschäftige Treiben im Hafen und auf dem Elbstrom, während die Emily Godeffroy von der Strömung getrieben gerade in Höhe von St. Pauli am Elbufer entlanggleitet. Da oben liegt die Reeperbahn und dort ist die Außenstelle der Hamburger Criminalpolizei, in der er Tatverdächtige verhört, Ermittlungsakten bearbeitet und Berichte geschrieben hat. Wie oft hat er von da oben aus sehnsüchtig den auslaufenden großen Seglern hinterhergesehen? Unter seinen Füßen hört er hin und wieder gedämpft die Stimmen von Godeffroy und Kolber, aber er kann kaum ein Wort verstehen.
Die beiden Männer sitzen sich an der Tischplatte gegenüber, vorgebeugt und angriffslustig wie zwei Kampfhähne, die gleich aufeinander einhacken werden. Der kurzsichtige Godeffroy blickt über seine Brille hinweg und hält den Plan des Diamantenfundortes wie einen Schutzschild in der Hand. Kolber stopft seine Pfeife, zündet den Tabak ein wenig zittrig mit einem langen Streichholz an und stößt dicken Qualm aus, der wie eine Gewitterwolke unter der Holzdecke des niedrigen Raumes hängen bleibt.
»Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragt Godeffroy.
»Lange genug. Vielleicht schon ein paar Jahre zu lange«, sagt Kolber wütend.
Godeffroys Gesichtszüge versteinern. Empört sieht er Kolber an. Der versucht schnell eine versöhnliche Geste, seine entschuldigend vorgeschobene Hand bleibt auf halber Strecke auf der Tischplatte liegen. Minutenlang starren sich die beiden Männer wortlos an.
Ihr besonderes Verhältnis hat früher ihre Mitschüler, später die Mitarbeiter von Godeffroy & Sohn und die Hamburger Gesellschaft beschäftigt. Der reiche Erbe Johan Cesar Godeffroy und Theobald Kolber, der Sohn einer aufstrebenden kleinen Kaufmannsfamilie, hatten dieselbe Schule besucht, wenn auch verschiedene Klassen. In dem Lübecker Gymnasium, in das Hamburger Kaufleute und Bildungsbürger ihre Söhne zu schicken pflegten, war der ältere Johan Cesar Godeffroy immer der nachdenklichere, körperlich schwächere von beiden. Nicht selten wurde der Abkömmling einer französischen Hugenottenfamilie von hanseatischen Bürgersöhnen als »Flüchtlingsjunge« gehänselt und sogar verprügelt. Bis der jüngere, aber stärkere Theobald Kolber einmal so kräftig dazwischengehauen hat, dass gleich drei Jungen mit blutenden Nasen und geschwollenen Augen die Flucht ergriffen. Bei der anschließenden Strafverhandlung beim Rektor trat Godeffroy so eloquent für seinen neuen Freund ein, dass der Schüler Theobald Kolber mit einer Ermahnung davonkam.
Seither sind die Jugendfreunde gemeinsam durchs Leben gegangen. Sie saßen auch tatsächlich in einem Boot: im Vierer mit Steuermann des feinen Hanseatischen Ruderclubs an der Alster. Der junge Godeffroy gab als Steuermann die Fahrtrichtung an, und Theobald Kolber bestimmte als Schlagmann das Tempo. So sind sie mit ihrem Boot Hamburger Juniorenmeister geworden. Und so ist es im Prinzip geblieben, auch nachdem sie mit dem Rudern aufgehört hatten: Nachdem Johan Cesar Godeffroy von seinem Vater das Kommando des Familienunternehmens übernommen hatte, stellte er den gelernten Kaufmann Theobald Kolber als Prokuristen ein. Und wie früher gab Godeffroy die Ziele vor, und Theobald Kolber bestimmte die Geschwindigkeit, mit der sie erreicht wurden.
Er trieb vor allem das Südseegeschäft voran. Er lebte selber auf den Inseln des Pazifik, organisierte den gewinnträchtigen Handel mit Kopra, erst auf Samoa, dann auch auf den Inseln des Bismarckarchipels und in Neuguinea. Unter Kolbers Leitung wurde der Südseehandel zum ertragreichsten Geschäftszweig des Godeffroy-Konzerns. Mehr als dreißig Frachtsegler beförderten Jahr für Jahr viele tausend Tonnen von Waren zwischen der Elbe und dem Pazifik hin und her. Knapp fünfzig Handelsniederlassungen, für die Hunderte von einheimischen Arbeitern beschäftigt waren, hat Theobald Kolber für das Haus Godeffroy in der Südsee eingerichtet. Godeffroy ernannte seinen Freund zum Generalbevollmächtigten und machte ihn auch mit 15 Prozent Gewinnbeteiligung zum Partner einer neu gegründeten »Südseehandel AG«. So ist Theobald Kolber ein reicher Mann geworden, der sich von einem renommierten dänischen Architekten eine weiße Villa in bester Hamburger Stadtlage bauen lassen konnte: an der »Schönen Aussicht« an der Außenalster. Und er konnte sich auch eine zum Haus und zu seinem Lebensstil passende hanseatische Frau leisten, die verwöhnte Bankierstochter Helena.
Helena Kolber hatte sich geweigert, ihren Ehemann auf die »von Malariamücken verseuchten und von Menschenfressern bevölkerten Inseln des Pazifik« zu folgen. Damit war die Ehe eigentlich beendet, wurde jedoch zum Schein noch jahrelang aufrechterhalten. Godeffroy hatte es als einer der Ersten erfahren, als Helena Kolber die Scheidung einreichte. Umgekehrt wusste Theobald Kolber von den Problemen, die Godeffroy mit seinen erwachsenen Kindern hatte, die er als Nachfolger und Erben für ungeeignet hielt. Die Freundschaft der beiden Männer hatte im Laufe der Jahrzehnte alle Stürme und Flauten überstanden. Und wenn es wirklich ernst wurde, hat der eine immer die Nähe des anderen gesucht.
»Also noch einmal: Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragt Godeffroy, um das Gespräch wieder in Gang zu bringen.
»Ich habe nachgerechnet: Seit 38 Jahren, sieben Monaten und ein paar Tagen – seit wir uns kurz nach meinem 15. Geburtstag zum ersten Mal auf dem Schulhof in Lübeck begegnet sind«, sagt Kolber in die Stille. Das Elbwasser gluckert hörbar gegen die äußere Bordwand.
»Habe ich dich in dieser Zeit jemals hintergangen? Hast du einen Grund gehabt, an meiner Loyalität, an meinem Vertrauen, an meiner Freundschaft zu zweifeln?«
Theobald Kolber schweigt die Tischplatte an.
»Und jetzt, Theobald, jetzt brauche ich nach langer Zeit wieder einmal deinen Rat und deine Hilfe in einer Angelegenheit, in der es für mich, für unser Unternehmen und vielleicht auch für dich um Sein oder Nichtsein geht.«
Kolber blickt auf.
»So pathetisch?«
Kolber kippt seinen inzwischen kalten Kaffee in einem Zug hinunter und stellt die Tasse hart auf den Tisch.
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