»Und das soll dieser junge Herr Kleine sein?«
»Falls du es noch nicht weißt: Kleine ist ein ausgebildeter Rechercheur, ein polizeilicher Ermittler. Bevor er in meine Dienste kam, war er der jüngste Detektiv der neuen Hamburger Criminalpolizei. Und zwar der beste, wie mir mein Freund, der Polizeipräsident, persönlich versichert hat. Auch aufgrund dieser Empfehlung habe ich Kleine eingestellt – abgesehen von seinem ungewöhnlichen Engagement, das ihn als naturwissenschaftlichen Autodidakten durchaus als Mitarbeiter für unser Museum qualifiziert. Dr. Schmalz mit seinen hohen Ansprüchen ist jedenfalls nach den ersten Probemonaten äußerst angetan von diesem jungen Mann.«
»Und was soll dieses Genie jetzt bei dieser Diamanten-Geschichte machen?«
»Wie schon gesagt: Ihr sollt zusammen die Hintergründe erkunden und die Hintermänner ausfindig machen. Sebastian Kleine wird dir natürlich unterstellt.«
»Na, dann wäre das wenigstens geklärt.«
»Wenn du einverstanden bist, dann bitten wir deinen neuen Mitarbeiter jetzt zu dem Gespräch hinzu, denn wie ich sehe, sind wir bereits auf der Höhe von Övelgönne und kurz vor Teufelsbrück. Wir haben gerade noch eine halbe Stunde Zeit, bis ich in Blankenese von Bord muss.«
»Gut, dann ruf den jungen Mann jetzt zu uns.«
Sebastian Kleine setzt sich an den Mahagonitisch hinter seine inzwischen kalte Tasse Kaffee. Fasziniert hört er zu, als ihn der große Johan Cesar Godeffroy knapp über sein Gespräch mit Theobald Kolber informiert, ohne dabei auf die prekäre wirtschaftliche Lage des Hauses Godeffroy einzugehen.
»Unter Anleitung unseres Generalbevollmächtigten, meines Freundes Theobald Kolber, sollen Sie also in geheimer Mission herausfinden, was und wer hinter diesen Diamantenfunden steckt. Dabei hoffen wir auf ihre detektivischen Fähigkeiten, über die ich Beeindruckendes vernommen habe.«
Sebastian Kleine versucht vergeblich, nicht zu erröten. Er stottert etwas von großem Vertrauen und ehrenvollem Auftrag, um seine Verwirrung zu überspielen.
»Wenn ich es richtig verstanden habe, dann sollen wir herausfinden, ob die Voraussetzungen für ein seriöses Geschäft gegeben sind?«
Godeffroy nickt. »Sehr treffend zusammengefasst.«
»Und dieser skizzierte Plan von dem Fundgebiet und diese drei Rohdiamanten – ist das alles, was wir sozusagen als Ausgangsmaterial für die Ermittlungen haben?«
»Viel mehr haben wir tatsächlich nicht.«
Godeffroy zieht ein dünnes rotes Notizbuch aus der Brusttasche seines Jacketts und klappt eine Seite auf.
»Wie mir die Engländer gesagt haben, sollen die Diamantenfunde ein Zufallsprodukt gewesen sein. Ein oder zwei australische Goldsucher hätten an einem versteckt liegenden Fluss den Ufersand ausgewaschen – sie haben kein Gold in ihren Sieben gehabt, aber ein paar Diamanten.«
»Merkwürdig. Kommen Gold und Diamanten unter denselben mineralogischen Gegebenheiten vor?«
»Das weiß ich nicht. Jedenfalls liegen die großen Fundorte von de Beers in Südafrika wohl auch in der Nähe von Vulkanen.« Godeffroy blättert sein Notizbuch um.
»Es gibt noch etwas. Einen Namen. Ein gewisser Mijnheer Klaas van Oranje wird sich euch nach eurer Ankunft in Herbertshöhe zu erkennen geben. Offenbar ist das ein Deckname. Wahrscheinlich ist der Mann Holländer oder Bure, jedenfalls soll er ein Diamantenexperte aus Südafrika sein, wie mir die Engländer gesagt haben, mehr wissen sie angeblich auch nicht. Dieser Klaas van Oranje soll euch weitere Informationen und schriftliche Untersuchungsergebnisse, Boden- und Gesteinsproben und solche Dinge geben. Vor allem aber soll er euch zum Fundort der Diamanten führen, damit ihr euch selber einen Eindruck verschafft. Wie ich gehört habe, soll es von der Küste aus ein tagelanger, nicht ganz ungefährlicher Fußmarsch durch den Urwald bis zu diesem Vulkan hier sein.«
»Wahrscheinlich brauchen wir dafür eine Woche«, sagt Theobald Kolber.
»Und wenn sich der Herr nicht meldet?«, fragt Kleine.
»Dann müsst ihr ihn finden!« Godeffroy steht auf, umarmt seinen alten Freund und schüttelt seinem jungen Mitarbeiter lange die Hand.
»Ich wünsche euch Glück und Erfolg – und dass ihr mir wohlbehalten und gesund zurückkommt!«
Die drei Männer gehen nacheinander die Treppe von der Kapitänssuite zur Kommandobrücke hinauf. Kapitän Tietjen salutiert, als sie an Deck erscheinen.
Im Hintergrund wartet eine junge Dame, ihr weiter, dunkelblauer Mantel weht im Wind. Sie nimmt ihr unter dem Kinn festgebundenes Käppi ab und fährt sich mit beiden Händen durch ihre flatternden dunkelblonden Haare, die ihr Gesicht im Gegenlicht wie ein Heiligenschein einrahmen.
Sebastian Kleine ist einen Moment lang vom Sonnenschein geblendet. Er hält sich die Hand vor Augen. Durch seine Finger hindurch sieht er zwei große bernsteinfarbene Augen und einen weichen Mund, der lächelt. Auf der dunklen Bluse der jungen Frau blitzen zwei Goldkettchen, eines mit einem roten Herzchen, das andere mit einem Jesuskreuz.
Godeffroy macht eine Handbewegung und sagt: »Meine Güte, fast hätte ich vergessen, euch eine charmante Reisebegleiterin vorzustellen: Schwester Anna Scharnhorst von der Rheinischen Missionsgesellschaft. Sie ist in einer ganz besonderen Mission in die Südsee unterwegs, wie mir mein alter Freund, der verehrte Präses der evangelischen Kirche des Rheinlandes, anvertraut hat – aber es ist wohl besser, wenn sie euch im Laufe eurer gemeinsamen Reise selber davon erzählt. Jedenfalls bin ich dem Wunsch der kirchlichen Würdenträger sehr gerne nachgekommen und habe Missionsschwester Scharnhorst zu dieser Überfahrt in die Südsee eingeladen, gegen Gottes Lohn sozusagen.«
Die junge Frau deutet einen mädchenhaften Knicks an und lächelte Theobald Kolber und Sebastian Kleine dabei selbstbewusst an.
»Ich möchte mich im Namen meiner Missionsgesellschaft und natürlich auch persönlich recht herzlich für Ihre Großmütigkeit bedanken. Ich hoffe, Gott wird Sie und Ihre Werke auch weiterhin beschützen.«
»Danke, das hoffe ich ebenfalls, Gottes Schutz können die Herren und ich gut gebrauchen«, sagte Godeffroy und verabschiedet sich noch einmal.
Kolber und Kleine lächeln die junge Frau an und verbeugen sich ein wenig geziert.
»Wir hatten ja bereits das Vergnügen«, sagt Theobald Kolber, »wir sind ja sozusagen übereinander gestolpert.«
Die Missionsschwester errötet, bevor sie in ein mitreißendes Lachen ausbricht, das sie hinter vorgehaltener Hand nur mühsam wieder einfängt. Die kleine Geste erinnert Sebastian Kleine an die abenteuerlustige Lehrertochter, die er vor Jahren beim Tanzball in der Schützenhalle seines Heimatortes beinahe geküsst hätte – wenn deren Mutter nicht dazwischengekommen wäre.
Godeffroy blickt auf seine Taschenuhr. Über dem Elbufer kommt jetzt das beliebte Hotel Jacobs mit seiner von prächtigen Linden gesäumten Terrasse in Sichtweite.
»Meine Herren«, sagt Godeffroy betont förmlich, »darf ich Sie bitten, diese junge Dame während der langen Überfahrt und auch noch in Neuguinea ein wenig in Ihre Obhut zu nehmen.« Als das erfreute Lächeln der beiden Männer in ein breites Grinsen mündet, fügt er hinzu: »Fräulein Anna Scharnhorst steht übrigens auch unter besonderem Schutz der Gattin unseres Kapitäns Tietjen, und die ist, wenn ich das offen sagen darf, sogar bei raubeinigen Seebären wegen ihrer Resolutheit gefürchtet.«
Der Kapitän nickt verlegen: »Wir erreichen bald Blankenese, Herr Godeffroy.«
Godeffroy zieht Theobald Kolber zu sich heran. »Wenn du mir aus Neuguinea dringende Nachrichten zukommen lassen willst, kannst du sie verschlüsselt über eine neue, geheime Telegrafenfunkstation unserer kaiserlichen Kriegsmarine übermitteln, die in Neuguinea in der Nähe von Rabaul erprobt werden soll. Auf dem Zettel hier ist der genaue Standort verzeichnet und der Name des verantwortlichen Mannes dort. Richte ihm Grüße von meinem Freund Admiral von Plankwitz aus und gib ihm diesen Brief hier.«
Читать дальше