Manfred Ertel - Hört die Kurve!

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Manfred Ertel leidet, wie viele der besonders engagierten Fans, an der immer größeren Kommerzialisierung des Fußballs. Der langjährige HSV-Anhänger war aber nicht nur «Alles-Fahrer», sondern auch Aufsichtsrat in der turbulenten Zeit von 2011 bis 2014. Sein Erlebnisbericht ist zugleich eine Liebeserklärung an den Fußball wie auch eine Abrechnung mit Intrigen, Eitelkeiten und der Macht des Geldes. Spannend zu lesen und mit überraschenden Einblicken in den Maschinenraum eines Traditionsvereins.

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Manfred Ertel

„Hört die Kurve …!“

Vom Ende eines Fußball-Traums – ein ganz persönliches HSV-Lesebuch

VERLAG DIE WERKSTATT

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.deabrufbar.

Copyright © 2016 Verlag Die Werkstatt GmbH

Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen

www.werkstatt-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medien-Produktion GmbH

ISBN 978-3-7307-0299-4

Inhalt

Vorwort

Die Herausforderung

Der Virus

Der Putsch

Der Anfang

Der Wechsel

Die Fahne

Die Nachfolger

Die deutsch-deutsche Annäherung

Die Steuerlüge

Der Triumph

Der Meistertrainer

Das Jahr 1987

Der Maulwurf

Die Fernsehmacher

Der Gönner

Das Derby

Der Anfang vom Ende

Der Rücktritt

Das Aus

Epilog

Meine ganz persönliche HSV-Chronik

Über den Autor

Vorwort

Wenn eine große Liebe nach fünfzig Jahren oder mehr endet, dann kann man vielleicht Schluss machen, aber nicht einfach so. Zu viele schöne Momente sind normalerweise Teil einer solchen Beziehung, zu groß sind aber auch Schmerz und Verlust, wenn es dann doch vorbei ist. Was läge also näher, als sich noch einmal zu erinnern, an gute und an schlechte Zeiten.

Der Hamburger Sport-Verein, kurz HSV, war mein Klub so lange ich denken kann. Die Beziehung hat einen Knacks bekommen. Im normalen Leben würde man sagen: Wir leben getrennt, aber wir sind noch nicht geschieden. Ob es je wieder eine Chance gibt, zueinander zu finden, ist offen. Denn für mich ist die Beziehungskrise nicht nur das Ende einer großen Leidenschaft, es ist auch die Enttäuschung über das Scheitern einer faszinierenden Idee: das Aus für den Fußball, wie ich mit ihm groß geworden und aufgewachsen bin, wie er von Hunderttausenden geliebt wurde, verkauft an den Kommerz, einfach so; als Neuauflage einer modernen Fassung von Brot und Spiele, als Event für jene, die zu zahlen bereit und in der Lage sind und die sich schon morgen, wenn es angesagter ist, für etwas anderes interessieren: für Basketball zum Beispiel, American Football oder Helene Fischer.

Herausgekommen ist nicht nur ein HSV-Buch, sondern eine sehr persönliche Bilanz über die schönste Nebensache der Welt. Sie zeigt, woran der moderne Fußball bei vielen von uns scheitert; bei denen, die unseren geliebten Ballsport am Ende doch bezahlen sollen. Und wie ein Traditionsverein unter dem Erfolgsdruck durch Eitelkeiten und Intrigen an den Rand des Abgrunds gerät. Sie zeigt aber auch, wie identitätsbildend und emotional Fußball immer noch sein kann, wenn man Fußball einfach nur Fußball sein lässt und ihn nicht zum seelenlosen Event verkommen lässt. Auf der Nordtribüne im Hamburger Volkspark haben die besten Fans immer gesungen „Hört die Kurve…!“, und manches Mal würde so mancher Verein wirklich gut daran tun.

Ach ja, um allen Besserwissern und „Hatern“, wie es neudeutsch heißt, zuvorzukommen: Die Geheimnisse und Vertraulichkeiten, die hier an die Öffentlichkeit getragen werden, sind sehr persönliche und private. Alle anderen Interna sind irgendwann irgendwo schon mal von irgendwem öffentlich gesagt, geschrieben oder durchgesteckt worden, von ehrenwerten Mitgliedern und/oder Maulwürfen. Sie wurden von vielen Beobachtern nur nicht zur Kenntnis genommen.

Ein besonderer Dank für Freundschaft, Loyalität, Unterstützung und Beratung geht an dieser Stelle an Ralf und Verena, Jan, Jojo, Ulli, Björn, Tamara und Christian, stellvertretend für viele Freunde und Mitstreiter in Fanklubs und bei den Ultras von Chosen Few; an meine Söhne Denny und Robin, die immer zu mir gehalten haben und mich manchmal im wahrsten Sinne des Wortes verteidigen mussten. Und natürlich an meine liebe Krista, die sich Sorgen um mich gemacht hat, als ich mich Hals über Kopf dem Profi-Fußball und seinen ungeschriebenen Regeln zum Fraß vorwarf, die aber alles mit großer Gelassenheit und grenzenloser Großzügigkeit ertragen hat: meine Wut, meine Wunden, meine Zeitverschwendung.

Es war trotz allem eine geile Zeit: Dankbar rückwärts!

Die Herausforderung

Fünfundvierzig Minuten für knapp achtzig Kilometer, das müsste doch eigentlich reichen? Ich sitze in meinem Zimmer in der Redaktion, im 11. Stock mit Blick über die historische Speicherstadt, und versuche mir einen Plan zu machen für diesen wichtigen Tag. Ich bin nervös. Wenn ich aus dem Fenster schaue, sehe ich unter mir, wie der Strom der Hauptverkehrszeit die Innenstadt hochkriecht und sich durch die Hafen-City und den Deichtortunnel Richtung Elbbrücken schiebt.

Ich muss durch dieses Nadelöhr hindurch, auf die Autobahn, an Stillhorn vorbei. Es muss das wohl meistgehasste Stück Autobahn Deutschlands sein, wenn man mal die Münchner Strecke zum Brenner ausnimmt. Immer nur Baustellen, Tempolimit, Staus, Überlastung. Highway to hell. Nie ist auf etwas Verlass auf diesem Teilstück am Rande Hamburgs, zwischen Wohnsilos, Hafenindustrie und der alten Giftmüllkippe Georgswerder, wo man am liebsten umkehren würde, egal ob man aus der Stadt raus oder ob man rein will. Einfach nur weg. Nicht einmal auf den Verkehrsfunk kann man bauen, dass die Typen da schnell genug mitkriegen, was auf der Autobahn abgeht. Und zu spät zu kommen, ausgerechnet heute, das geht gar nicht, das wäre Blamage pur. Ich darf den Termin nicht vermasseln.

Es ist 12.45 Uhr an diesem sonnigen Tag im Mai 2013, als ich mich aus meinem Büro drücke und möglichst unbemerkt mit dem Fahrstuhl abseile. Es muss ja niemand sehen, dass ich mir den Nachmittag frei nehme für die wichtigste Nebensache der Welt. Schließlich will ich gleich den neuen Sportchef für meinen Verein casten, oder zumindest einen der aussichtsreichsten Bewerber für diesen Posten. Er ist wichtig für die sportliche Entwicklung des Vereins. Wie wichtig, das haben wir leidvoll erfahren in den zurückliegenden Jahren, als wir viel zu oft und viel zu lange ohne einen (guten) Sportchef auskommen mussten.

Ich komme besser durch als befürchtet. Die Elbbrücken liegen schon hinter mir, als ich im Kopf wieder und wieder die Stichworte durchgehe. Ich bin aufgeregt wie beim ersten Mal. Und irgendwie ist es das ja auch. Seit rund vier Monaten bin ich nun in meinem neuen Amt, an der Spitze des Aufsichtsrates. Der muss laut Klubsatzung den Vorstand kontrollieren. Aber vor allem muss er die Mitglieder des Vorstands vorher auch aussuchen und einstellen. Und gegebenenfalls wieder feuern. Jetzt bin ich also dran. Ein neuer Sportchef muss gefunden werden. Jemand, der den Profifußball beim HSV sportlich führt und neu justiert. So hat es die Mehrheit von uns gewollt. Und natürlich nicht irgendeinen. Sondern jemanden, der uns endlich wieder dahin bringt, wo wir hingehören, zumindest gefühlt. Und das ist Europa. Und ich soll heute den ersten Schritt dazu machen.

Plötzlich ganz vorn

Ist es wirklich das, was ich immer gewollt habe? Nach über 40 Jahren in der Kurve, immer mittendrin statt nur irgendwie dabei. Und nun auf einmal vorneweg. Nicht mehr nur unterwegs für meinen Lieblingsverein, nicht länger nur ehrenamtlicher Autor für das Mitgliedermagazin Supporters News oder Moderator unseres Fan-TV. Nicht weiter nur ein „Aktivist“ im Vereinsleben, zuletzt als Kontrolleur im Aufsichtsrat. Nein, jetzt bin ich dessen Vorsitzender und muss Verantwortung übernehmen.

Nicht Kommerz um jeden Preis, sondern die Tradition pflegen und die soziale Verantwortung des Vereins stärken.

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