Weinkauf badet die Fehler seiner Vorgänger aus. Das Image des verhassten Störenfrieds wurde von vielen Anhängern kultiviert. Die meisten bekannten sich zur rechtsradikalen Szene. Verlierer der Wiedervereinigung, vor allem Jugendliche, die ihre Perspektive verloren hatten, suchten sich ein Ventil für ihren Frust. Sie schwammen in der Masse und verloren sich im Wandel der Zeit. Gegen Stadionverbote und Verhaftungen waren sie immun. Manche behaupteten, im Gefängnis würde es ihnen besser ergehen. In einer Studie des Fanforschers Gunter A. Pilz von der Universität Hannover 2006 bejahten 28 Prozent der ostdeutschen Fans die Frage, ob sie manchmal „Bock auf Zoff“ hätten, im Westen waren es 10,8 (s. S. 92). Figuren mit zweifelhafter Vergangenheit übernahmen beim BFC wichtige Positionen. Der Fanbeauftragte Rainer Lüdtke ist ein ehemaliger Hooligan, und auch Peter Meyer, Sponsor und Vorstandsmitglied, wurde 2004 wegen eines Platzsturms in Babelsberg angeklagt. Andere Mitglieder unterstützten den Klub finanziell, wo das Geld genau herkam, war den meisten in der Chefetage egal.
Es folgten Ausschreitungen und rassistische Äußerungen, Flaggen mit Hakenkreuzen und Reichskriegssymbolen. Einmal sprengte die Polizei eine Party, es wurde der „Tag der Germanen“ gefeiert. Die Vermarktungsrechte des Vereinswappens sicherten sich Mitglieder der „Hell’s Angels“. Die Rockerbande ist in Berlin zwar nicht verboten, wird aber von der Polizei mit Straftaten wie Zuhälterei, Drogenhandel und Anstiftung zum Mord in Verbindung gebracht.
Mario Weinkauf, hauptberuflich als Regionalleiter eines Telekommunikations-Unternehmens tätig, wird oft als Chef der Nazi-Kolonne beschimpft, seinen Kindern geht es nicht anders. In seiner Firma gerät er in Erklärungsnot, die Kollegen fragen: Warum tust du dir das an? Einmal kam ein Fremder auf ihn zu und bot ihm 50.000 Euro an. Seine Bedingung: Mario Weinkauf müsse den BFC sterben lassen. „Ich habe oft an Rücktritt gedacht. Auf die Dauer ist das nicht durchzustehen.“ Er wollte den BFC wieder gesellschaftsfähig machen und ihn von seinen finsteren Gönnern befreien. Gleichzeitig schloss er mehrfach die Augen und nahm das „Spendengeld“ an. Blieb ihm etwas anderes übrig? Kein anderer Verein hat mit diesem Paradoxon zu kämpfen: Jene Anhänger, die dem BFC mit ihrer politischen Gesinnung und ihrer Vorliebe für Gewalt am meisten schaden, haben ihn mit Spenden am Leben erhalten.
Düstere Ostalgie: Das Berliner Derby zwischen dem BFC und dem 1. FC Union muss im Mai 2006 nach einem Platzsturm abgebrochen werden.
So war es auch im Mai 2006. Im Heimspiel gegen den verhassten Stadtrivalen 1. FC Union stürmten Anhänger des BFC das Spielfeld des Sportforums in Hohenschönhausen. Die Partie musste abgebrochen werden. Wieder einmal hatten sich Krawalltouristen aus dem ganzen Land bei einem der brisanten Ostderbys versammelt. Selbst die szenekundigsten Fanbetreuer und Polizisten sind in Momenten wie diesen hilflos. Schon vor dem Hinspiel 2005 war der BFC in die Schlagzeilen geraten. Die Polizei hatte bei einer Razzia in der Diskothek Jeton, im Berliner Friedrichshain, Dutzende BFC-Fans festgenommen. Zu Unrecht, wie viele später behaupteten. Nach den Vorfällen zogen sich wichtige Sponsoren zurück. Der BFC stand wieder einmal am Rande des Ruins.
Ob es einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt? „Wenn der BFC sich noch deutlicher von den Problemfans abwenden würde, kämen zwei Drittel weniger Zuschauer“, vermutet Ralf Busch, der Leiter des Berliner Fanprojekts. Er und seine Kollegen haben kaum eine Chance, sozialpräventiv auf die Problemfans einzuwirken. Der Altersdurchschnitt ist mit ca. 30 Jahren ungewöhnlich hoch, schon bei der ersten Kontaktaufnahme würden die meisten abblocken. Erschwerend kommt hinzu, dass das 1992 verabschiedete „Nationale Konzept Sport und Sicherheit“ (NKSS, s. S. 56), in dem die Richtlinien für sozialpädagogische Fanprojekte festgeschrieben worden sind, nur in den oberen Ligen greift. Viele ostdeutsche Traditionsklubs wie der BFC sind längst in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.
In ihren veralteten Stadien, in denen nicht jeder Winkel von modernen Kameras ausgeleuchtet werden kann, ist die Kontrolle begrenzt möglich. Manche Randalierer wünschen sich sogar, dass ihre Teams möglichst lange am Bodensatz des deutschen Fußballs verharren. Dort können sie weitgehend unbemerkt ihre Wut ausleben. Oft sind es dieselben Fans, die bei Auswärtsspielen der deutschen Nationalmannschaft in Osteuropa für Krawall sorgen, in Zabrze, Celje oder Bratislava. Sie lassen sich von der polnischen „Ekstraklasa“ inspirieren. Gewaltexzesse finden dort regelmäßig statt. Die Fans von Dynamo Dresden pflegen ihre Freundschaft zu Anhängern von GKS Kattowitz. Auch auf blutigen Exkursionen. Im November 2005 schlugen sich 100 Hooligans aus Polen und Deutschland, vornehmlich aus dem Osten, in einem Waldstück bei Frankfurt/Oder.
„Es wird Jahrzehnte dauern, bis dieser Kreislauf durchbrochen sein wird“, glaubt Torsten Rudolph. Der Leiter des Fanprojekts von Dynamo Dresden bittet zum Rundgang durch die Räumlichkeiten in der Löbtauer Straße. Auf 200 Quadratmetern dürfen sich die Fans ausbreiten, sie haben das Haus nach ihren Vorstellungen eingerichtet. An den Wänden prangen schrille Graffitis und eine große Zeichnung des Rudolf-Harbig-Stadions. In der oberen Etage gehen drei Sozialarbeiter ihren Aufgaben nach. Torsten Rudolph weiß, dass er einem vergleichsweise gut ausgestatteten Projekt vorsteht.
Bevor er 2002 den Posten übernahm, beschränkte sich die Projektarbeit auf Service-Elemente, auf die Organisation der Auswärtsfahrten oder den Verkauf von Fanartikeln. Dynamos überarbeitete Vereinschefs hatten an allen Seiten Löcher zu stopfen, für pädagogische Betreuung von Jugendlichen fehlte Geld und Interesse. Sie standen sich selbst im Weg. Permanent forderten sie ein strengeres Durchgreifen der Polizei, an Prävention dachten sie nicht. „Wer Wind sät, muss Sturm ernten“, hatte auch Dieter Krein gefordert, bis Mai 2005 war er Präsident von Energie Cottbus. Seine schnelle Inhaftierungen aus. Dieser kurzsichtige Kurs sollte sich am 1. September 2002 durch die heftigsten Krawalle seit Jahren ändern.
Fanarbeiter mit Erfahrung:Torsten Rudolph aus Dresen
Im Rudolf-Harbig-Stadion traf Dynamo im Stadtderby auf den Dresdner SC. Bereits vor der Partie wollten 150 Hooligans aus dem Dynamo-Umfeld den Haupteingang stürmen. Die Polizei war überfordert. Die meisten Hundertschaften der sächsischen Bereitschaftspolizei waren an diesem Tag in Leipzig, um eine politische Veranstaltung zu sichern. Die Wasserwerfer befanden sich in Pirna, um die Spuren des Jahrhunderthochwassers zu beseitigen. In der Halbzeitpause griffen 60 Hooligans Sicherheitsordner an, auch Frauen. Nach dem Spiel eskalierte die Lage endgültig. Ein aufgebrachter Mob, mehr als 1.500 Dynamo-Fans, stürzten sich mit hasserfüllten Blicken auf etwa 120 Polizisten.
Viele hielten Knüppel in ihren Händen oder warfen mit Steinen. Die wenigen Fans des DSC hatten längst das Weite gesucht. Ein Bombardement von Eisenstangen, Flaschen, Steinen und Verkehrsschildern ging auf die Polizisten nieder. „Wir haben um unser Leben gekämpft“, schildert der szenekundige Beamte Stefan Krahl. 43 Polizisten wurden verletzt, drei schwer. Dass keiner von ihnen seine Waffe zog, wurde als Wunder bezeichnet. Die Lokalzeitungen druckten darauf Fotos der Schläger ab. Tage später richtete die Polizeidirektion Dresden die „Sonderkommission Randale“ ein, und auch der Druck auf Dynamo wuchs. Der Verein hatte seine Fanarbeit lange genug vernachlässigt.
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