Ronny Blaschke
Im Schatten
des Spiels
Rassismus und Randale im Fußball
VERLAG DIE WERKSTATT
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2. Auflage 2008
Copyright © 2007 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 24a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
ISBN 978-3-89533-658-4
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Sehnsucht nach Schmerz
Toni Meyer verbrachte sein erstes Leben als brutaler Hooligan – in seinem zweiten sorgt er dafür, dass Jugendliche nicht den gleichen Weg gehen
2 Im Osten nichts Neues
In den Stadien der neuen Bundesländer haben sich dunkle Abenteuerspielplätze gebildet, doch die Gewalt ist kein reines Erbe der DDR
3 Erholung mit Begleitschutz
Heinrich Schneider ist Schiedsrichter in der Kreisliga A. Manchmal ist er froh, wenn er unversehrt das Spielfeld verlässt–doch aufgeben will er nicht
4 Feuerwehr auf dem Drahtseil
Seit 25 Jahren bewegt sich die präventive Fanarbeit in Deutschland zwischen Rechtfertigungsdruck und Existenzkampf
5 Balltanz in der Festung
Die Sicherheitsstandards in den modernen WM-Arenen haben dafür gesorgt, dass die Gewalt zumindest in der Bundesliga kein großes Thema mehr ist. Ein Rundgang durch das Berliner Olympiastadion
6 „Die Polizei wird von den Klubs über den Tisch gezogen“
Ein szenekundiger Beamter über Korruption in der Polizei, Tricks der Vereine und Wandlungen in der Hooligan-Szene
7 System der Leidenschaft
Die Ultras unterstützen ihre Vereine bedingungslos. Doch ihre Beziehung zur Polizei ist stark belastet. Führt dieses Reizklima zu einer neuen Gewaltwelle?
8 Wo die Mitte rechts ist
Der Rassismus im Fußball verdeutlicht die Fremdenfeindlichkeit einer ganzen Gesellschaft – und bedient sich einer subtilen Symbolik
9 Das Ende der Peinlichkeiten
Die offensive Antirassismus-Politik des DFB-Präsidenten Theo Zwanziger
10 Er will doch nur spielen
Beschimpft, bespuckt, geschlagen: Wie der Nigerianer Adebowale Ogungbure zu einer Symbolfigur im Kampf gegen Rassismus wurde
11 „Wir haben uns gefühlt wie die Affen im Zoo“
Der jüdische Funktionär Tuvia Schlesinger und der türkische Spieler Fatih Aslan über Rassismus und Antisemitismus in der Tiefebene des Fußballs
12 Denn sie wissen nicht, was sie brüllen
Der Antisemitismus im deutschen Fußball ist fast 100 Jahre alt – mittlerweile kommt er weitgehend ohne jüdische Spieler aus
13 „Fußball ist alles – auch schwul“
Die ehemalige Fußballerin Tanja Walther engagiert sich gegen Homophobie im Fußball. Sie gibt Einblick in eines der letzten großen Tabus
14 „Im Fußball liegt eine zerstörerische Kraft“
Der Philosoph und Sportsoziologe Gunter Gebauer über innere Zwänge, seltsame Süchte und die letzten Reservate der Männlichkeit
15 Das garstige Kind wird erwachsen
Die englischen Hooligans, einst gefürchtet in ganz Europa, sind von Politik und Vereinen zurückgedrängt worden – übrig geblieben ist nur der schlechte Ruf
16 Ultra rechts
Die faschistischen Fans in Italien haben einen großen Teil dazu beigetragen, dass der Calcio in eine bedrohliche Krise gestürzt ist Inhaltsverzeichnis
17 „Wir müssen immer Angst um unsere Jobs haben“
Die Fanarbeiter Illya Jongeneel und Martijn Pelle über kreative Hooligans, vererbte Rivalitäten und Existenzängste im niederländischen Fußball
18 Angst-Gegner
In Polen gibt es die meisten Hooligans in Europa – die Stadien dienen als Treffpunkte für Waffenschmuggler, Drogendealer und Neonazis
19 Rivalität ohne Blaulicht
Der Sportkonsum in den USA ist eine Angelegenheit der Mittelschicht. Gewalt in den Stadien gibt es so gut wie nie
20 Die Paten der Pralinenschachtel
Der Hang zur organisierten Kriminalität unterscheidet die argentinischen Barrabravas von den europäischen Hooligans
21 Chronologie der Gewalt
Anhang
Quellen
Der Autor
Danksagung
Fotonachweis
Einleitung
Mit einer Reklametafel prügelten sie auf ihn ein, später mit seinem eigenen Gewehraufsatz. Der französische Gendarm Daniel Nivel lag bewusstlos am Boden, das Blut war auf dem Asphalt verteilt. Doch die deutschen Schläger wollten nicht von ihm lassen. Bis sein Gesicht zertrümmert und sein Schädel gebrochen war. Diese Bilder aus Lens während der Fußball-WM 1998 in Frankreich gingen um die Welt. Daniel Nivel lag wochenlang im Koma, er wird nie wieder sein altes Leben führen können. Seine Peiniger wurden zu Haftstrafen zwischen dreieinhalb und zehn Jahren verurteilt. Die meisten von ihnen sind längst wieder frei, einer wurde schon wieder bei einer Prügelei in Brandenburg erwischt. Daniel Nivel wurde am 21. Juni 1998 zu einer Symbolfigur. In Deutschland setzten Hysterie und Panik ein. Die öffentliche Diskussion war geprägt von den Fragen: Hat der Anschlag auf Nivel die Renaissance des Hooliganismus eingeleitet? Wird die Gewalt in die Stadien zurückkehren?
Beide Fragen deuten auf Aktionismus und Kurzsichtigkeit hin. Wie so oft nach vergleichbaren Tragödien. Dabei ist die Gewalt im Fußball eine Konstante, nur ihre Form hat sich gewandelt: Der in die Jahre gekommene Hooligan, der sich verwegen gab, als unpolitisch bezeichnete und eine Sucht nach Schmerz verspürte, dominierte in Deutschland die 1980er und frühen 1990er Jahre. Er hatte sich gelöst von den Fankurven, legte Schal und Kutte in den Schrank. Er kleidete sich kostspielig, betrachtete sich als Teil der Elite. Toni Meyer, ein ehemaliger Hooligan aus München, wird in diesem Buch davon berichten. An jenem Sommertag in Lens wurde das Ende einer schwarzen Ära eingeleitet: Der Hooligan hatte seine eigenen Grenzen gesprengt, er schlug einen unbeteiligten Polizisten zum Krüppel, dabei wollte er seine Kräfte stets nur unter seinesgleichen messen. Der ohrenbetäubende Aufschrei in den deutschen Medien gab ihm zu denken. Er wollte seine Zukunft nicht mehr aufs Spiel setzen für ein bisschen Adrenalin.
Der klassische Hooliganismus trat in einen Auflösungsprozess, das ist in England, dem Ursprungsland, oder in den Niederlanden nicht anders. Auch dort hatten erst Katastrophen einen Bewusstseinswandel auslösen können. In England war es die Randale von Liverpooler Fans im Heysel-Stadion von Brüssel 1985 und die Massenpanik von Sheffield 1989, die 96 Menschen das Leben kostete. In den Niederlanden war es der Mord an Carlo Picornie 1997, einem führenden Hooligan von Ajax Amsterdam. Es scheint, als müsste erst die Welt vor dem Untergang stehen, damit eine Subkultur ihre Gefahren entdeckt und eine Gesellschaft reagiert. Beispiele dafür gibt es viele.
Die Gewalt ist nicht verschwunden – sie hat sich gewandelt. Die letzten Nostalgiker flüchten vor dem Licht der Öffentlichkeit. Sie prügeln sich im Verborgenen. Auf Wiesen, Parkplätzen oder Industrieanlagen. Sie sind mehr zu Kampfsportlern als Hooligans geworden. Die großen Stadien haben sie aufgegeben, die kleinen noch nicht ganz. Vor allem im Osten Deutschlands, in Dresden oder Leipzig, kämpft ein neuer Schläger-Typus um Aufmerksamkeit. Er kommt aus einem schwierigen sozialen Umfeld, schon in jungen Jahren fehlt ihm die Perspektive. Der Frust ist groß, und so ist er empfänglich für die Lockrufe von rechts. Die ostdeutschen Amateurligen verdeutlichen die Fremdenfeindlichkeit und den Antisemitismus der Gesellschaft wie unter einem Brennglas. Sie wird in der anonymen Masse offener ausgelebt. Die Grenze zwischen Hooligan und Rassist ist fließend. Daher ist die Form der Gewalt schwer zu greifen. Zumal Rassisten und Antisemiten subtil auftreten. Sie marschieren nicht mehr in Springerstiefeln und Reichkriegsflagge auf und ab, sie wählen Codierungen und streuen ihre Propaganda verdeckt. Auch in den Stadien. Eine neue Dimension? Für eine Antwort ist es noch zu früh.
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