Ronny Blaschke,geboren 1981 in Rostock, studierte Sport-und Politikwissenschaften in Rostock. Als Journalist und Autor beschäftigt er sich mit politischen Themen im Sport, vor allem für den Deutschlandfunk, die Süddeutsche Zeitung und die Deutsche Welle. Die Recherchen für seine Bücher lässt er in politische Bildung einfließen, in Vorträge, Moderationen und Konferenzen. Zudem entwickelt er Themenreihen wie „Fußball und Menschenrechte“ für das Onlineportal 120minuten. Blaschke wurde für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet.
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Coverabbildung: Armin Smailovic
Das Foto zeigt Fans des Sporting Club Jableh, Syrien, am 07.12.2018 bei einem Heimspiel gegen al-Dschaisch, den Fußballklub der Armee aus Damaskus.
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Satz und Gestaltung: Die Werkstatt Medienproduktion GmbH
ISBN 978-3-7307-0507-0
Inhalt
Aufbruch der Autokraten
Einleitung
Scharfschützen hinter der Tribüne
Auf dem Balkan zogen Hooligans in den Krieg, noch heute entladen sich ethnische Konflikte in den Fankurven
Offensive im Verborgenen
Wladimir Putin nutzt den Fußball für den russischen Sicherheitsapparat, immer weniger Aktivisten können dagegenhalten
Fansticker in der Waffenkammer
Ultras verbündeten sich in der Ukraine gegen das alte Regime, nun unterstützen sie ihre Vereine aus dem Exil heraus
Angreifer für die Abspaltung
In einigen Regionen Spaniens dient der Fußball als emotionale Kulisse für das Streben nach Unabhängigkeit
Hattrick für den Sultan der Neuzeit
Der türkische Präsident Erdoğan stärkt durch Fußball seine Allianz aus Staat, Wirtschaft und Religion – für Protest ist kaum Platz
Getarnter Hass
In Israel und Palästina ist der Fußball eine öffentlichkeitswirksame Plattform – für Feindseligkeit, aber auch für Annäherung
Spielfeld der Generäle
Beim Arabischen Frühling spielten Ultras eine wichtige Rolle, seither werden sie in Ägypten mit tödlicher Gewalt unterdrückt
Tod und Spiele
In den Kriegsgebieten des Nahen Osten bringen Diktatoren Spieler brutal auf Linie und nutzen Stadien als Militärbasen
90 Minuten Flucht
Im Iran überstimmt der erzkonservative Klerus oft die Politik – der Fußball wird zum Sprachrohr der Reformer
Megafon f ür Streit
Reiche Golfstaaten wie Katar rüsten sich für eine Zukunft ohne Öl, die umkämpfte Ware Fußball vertieft regionale Spannungen
Des Kaisers neue Spiele
Die Kommunistische Partei Chinas etabliert Fußball als Schaufenster ihrer globalen Expansion – die Bundesliga will profitieren
Ein Teamfoto als Lebensversicherung
In Ruanda ist Fußball auch ein Mittel zur Rekrutierung: im Bürgerkrieg, während des Völkermordes – und nun in der Entwicklungshilfe
Mord und Torschrei
Argentinien hat die lebendigste Zivilgesellschaft Lateinamerikas, doch Fußball spielt beim Gedenken an die Militärdiktatur kaum eine Rolle
Quellen
Aufbruch der Autokraten
Einleitung
Die Zukunft des Fußballs trägt den Namen Lusail. Am nördlichen Rand der katarischen Hauptstadt Doha soll das WM-Finale 2022 stattfinden, vor mehr als 80.000 Zuschauern im Lusail Iconic Stadium. Wassergräben und Säulen, Solaranlagen und Fassaden, die an traditionelle arabische Boote erinnern: das Stadion wird die Attraktion eines neuen Stadtviertels. Nach der WM wird die Arena verkleinert, sie macht dann Platz für Geschäfte, Schulen und eine Klinik. Katar arbeitet für den Bau mit chinesischen Unternehmen zusammen. Ein Meilenstein für Diplomatie und Handel zwischen beiden Ländern.
Vor zwanzig Jahren stellten die westlichen Industriestaaten 44 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung, inzwischen sind es nur noch 30. Im selben Zeitraum erhöhte sich der Anteil der sogenannten BRICS-Staaten von 18 auf 30 Prozent. Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika verdeutlichen, wie sich Wirtschaftsmacht und in der Folge politische Netzwerke von Norden nach Süden verschieben, aber mehr noch: von Westen nach Osten.
Seit bald anderthalb Jahrhunderten beansprucht Europa die Deutungshoheit über den Fußball. Wirklich angemessen war das nur in den ersten Jahrzehnten, doch spätestens zu Beginn des 20. Jahrhunderts breitete sich das Spiel auf fast allen Kontinenten aus. Fußball prägte die Alltagskultur in Argentinien, Ägypten oder Iran – und wurde damit auch interessant für die politischen Machthaber.
Die Fans der deutschen Vereine haben sich lange nicht für Entwicklungen außerhalb ihrer Bundesliga interessiert, das änderte sich erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Immer mehr große Wettbewerbe wurden nicht mehr nach Westeuropa und Nordamerika vergeben, sondern nach Südafrika, Brasilien oder Russland. Wahrscheinlich wird in den 2030er Jahren die erste WM in China stattfinden. Überdies sicherten sich Investoren aus Russland, China und den Golfstaaten Anteile an europäischen Vereinen – und erweiterten den politischen Einfluss ihrer Regierungen.
Sportfunktionäre erklären gerne, dass die globale Aufmerksamkeit des Sports Gesellschaften öffnen könne. Mehrere Studien halten dagegen. So wurden in den vergangenen dreißig Jahren mehr als zwei Millionen Menschen für die Organisation von Olympischen Spielen vertrieben. In fast allen Austragungsorten von Weltmeisterschaften und Olympia sind Strukturen entstanden: Flughäfen und Straßen, Wohnviertel und Nahverkehr. Doch in den meisten Regionen profitiert eine Minderheit: Politiker, Funktionäre, Baukonzerne. Das Land, das darunter besonders leidet: Brasilien. Vor der WM 2014 wurde der Sicherheitsapparat hochgefahren, vor allem in den Favelas stieg die Polizeigewalt. Viele der Stadien und der Sportstätten für die Sommerspiele 2016 in Rio werden kaum noch angemessen genutzt. Zugleich leiden Bildung und Gesundheitswesen unter Finanzknappheit.
Menschen nehmen immer Schaden
Sportereignisse und Menschenrechte: Man denkt bei diesem Themenfeld an geldgierige Autokraten, an Zwangsarbeiter auf Baustellen, an soziale Gruppen, die auseinanderdriften. Doch auch jenseits der Gastgeberländer von Großereignissen hängt in der Milliardenindustrie Fußball alles mit allem zusammen. Unser wohltemperierter Stadionbesuch in Westeuropa ist mit der Ausbeutung asiatischer Trikotnäherinnen verknüpft. Fans empören sich, wenn der DFB eine Serie von Freundschaftsspielen mit einer chinesischen Jugendauswahl verabredet. Aber es fällt ihnen weniger auf, dass Sponsoren und Vermarkter ihrer Lieblingsklubs längst mit chinesischen, russischen oder arabischen Konzernen verflochten sind. Fans forderten einen Boykott der WM in Russland, aber viele gehörten dann doch wieder zum TV-Millionenpublikum. Laut Schätzungen sollen ARD und ZDF 150 Millionen Euro für die Übertragungsrechte gezahlt haben. Wie kritisch man als Fußballkonsument auch sein mag – man ist Teil eines Systems, in dem Menschen Schaden nehmen.
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