Ronny Blaschke
Angriff von
Rechtsaußen
Wie Neonazis den Fußball missbrauchen
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ISBN 978-3-89533-772-7
Inhaltsverzeichnis
Ideologie der Ungleichwertigkeit
Einleitung
Stimmenfang am Stadion
Neonazis unterwandern die Fanszene des 1. FC Lokomotive Leipzig
Unparteiischer mit Parteibuch
Der NPD-Funktionär Stephan Haase ist seit 2007 Schiedsrichter in der Kreisliga C
Braunes Intermezzo
In Lübeck gründet die NPD 2006 einen Fanklub – ohne Erfolg
„Der DFB hat Angst, dass wir Kontakte zu Fans knüpfen könnten“
Interview mit Klaus Beier, Geschäftsführer und Pressesprecher der NPD
Lockruf im Vakuum
Der Neonazi Tommy Frenck führt über seinen Fußballverein SG Germania Jugendliche an die Kameradschaftsszene heran
„Das System wegschießen“
Neonazis feiern Fußballturniere als wichtigen Teil ihrer Erlebniskultur
„Das Stadion ist der einzige Ort, wo Abwertungsmuster eine breite Öffentlichkeit erreichen – ohne Sanktionen“
Interview mit dem Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer
Unfreiwillig unpolitisch
Kategorie C besingt Fußball, Freundschaften, Ehre. Die Bremer Rockband erhebt die Wolfsgesellschaft zur Leitkultur
Verschlüsselte Lebenswelt
Kleidermarken, Symbole und Codierungen von Rechtsextremen wandeln sich ständig. Der Fußball wird dabei systematisch als Marketing- und Geschäftsfeld erschlossen
Bilder vom rechten Rand
Comics bedienen Stereotype und pflegen Feindbilder auf einprägsame Art – auch in Fußball-Fanzines
Unterwanderung 2.0
Fans nutzen das Internet zum Informationsaustausch, zur Selbstdarstellung oder zur Abgrenzung von anderen Gruppen
Sheriffs fürs Grobe
Einigen privaten Sicherheitsdiensten in den Stadien werden Verbindungen zur rechtsextremen Szene nachgesagt
Die Schlichterin
Ein Funktionär der NPD als beliebter Jugendtrainer – ein Fall für die Sportmediatorin Angelika Ribler
„Wir können Minderheiten helfen, ein Stück mediale Gerechtigkeit zu erlangen“
Interview mit DFB-Präsident Theo Zwanziger
Hürdenläufer durch die Bürokratie
Islamfeindlichkeit wird oft zwischen zwei Toren ausgetragen
„Warum sollte ich nur Dönerfleisch essen?“
Interview mit dem Fußballprofi Halil Altintop
Sehnsucht nach Normalität
Antisemitismus ist im Amateurfußball weit verbreitet. Die Bewegung Makkabi stellt sich mit Bildungsangeboten gegen Diskriminierungen
„Wer heute miteinander Sport treibt, wird sich morgen nicht feindselig gegenüberstehen“
Interview mit Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden
Die Angst der Aussätzigen
Auch im Fußball wird Antiziganismus, die rassistische Ablehnung von Roma, weitgehend toleriert – doch langsam wächst Gegenwehr
Abenteurer im Archiv
Vereine haben sich lange gegen eine Aufarbeitung ihrer Rolle im Nationalsozialismus gesträubt. Stattdessen graben Fans in der Geschichte ihrer Klubs
„Vereine wollen pflegeleichte Spieler ohne politisches Profil“
Interviews mit Yves Eigenrauch, ehemaliger Profispieler beim FC Schalke 04
Die Horizont-Öffner
Seit drei Jahrzehnten entwerfen Sozialarbeiter für junge Fans kreative Erlebniswelten, um rechtsextreme Einstellungen gar nicht erst entstehen zu lassen
„Sozialarbeit sollte sich niemals in eine Allmachtsfantasie flüchten“
Interview mit dem Erziehungswissenschaftler Thomas Schneider
Klima des Misstrauens – Ein Ausblick
Literatur
Aktive Gruppen im Internet
Der Autor
Hobbykicker in Gefahr: Am 24. Oktober 2009 überfallen 50 Neonazis den Verein Roter Stern Leipzig in der sächsischen Kleinstadt Brandis.
Waffen im Sport: Mit Holzlatten und Eisenstangen gehen die Angreifer auf den Roten Stern los, ein Fan verliert fast sein Augenlicht.
Ideologie der Ungleichwertigkeit
Einleitung
Die Optik ist verzerrt, der Ton undeutlich, die Kamera wackelt. Junge Männer laufen durchs Bild, breitschultrig, aggressiv, ihre Gesichter vermummt, ihre Hände umklammern Eisenstangen und Holzlatten. Dazwischen ein dumpfer Schrei, Drohungen, Geräusche von schnellen Schritten. Das Video, das im Internet kursiert, zeigt einen gewalttätigen Angriff auf die Mannschaft von Roter Stern Leipzig in der sächsischen Kleinstadt Brandis. Rund fünfzig Hooligans und Neonazis überfallen am 24. Oktober 2009 den antirassistischen Verein während eines Auswärtsspiels in der Bezirksklasse. Freizeitspieler, die Tore schießen wollen, müssen sich in Kampfstellung verteidigen, ein Fan verliert fast sein Augenlicht. Selten wird Rechtsextremismus im Fußball so eindringlich dokumentiert. Sichtbar, hörbar, fast spürbar.
Wer sich in der Republik umhört, unter Funktionären, Schiedsrichtern, Trainern, der hört die immer gleichen Antworten: „So etwas gibt es bei uns nicht.“ „Bei uns ist es zuletzt ruhig geblieben.“ „Wir haben zwar Glatzen im Stadion, aber die lassen die Politik draußen.“ „Die Anfeindungen gegen schwarze Spieler sind stark zurückgegangen.“ Noch immer dominiert die Wahrnehmung: Rechtsextremismus könne nur gefährlich sein, wenn es zu lautstarkem Rassismus auf den Rängen kommt, wenn Spieler antisemitisch geschmäht werden, wenn die NPD vor dem Stadion ihre Wahlprogramme verteilt. Nach einem ähnlichen Muster verfahren viele Medien. Sie berichten lange und laut, wenn der Stürmer Gerald Asamoah in Rostock beschimpft wird, wenn sein Kollege Adebowale Ogungbure in Halle getreten wird, wenn der jüdische Verein TuS Makkabi Berlin aus Protest und Angst vor Attacken ein Spiel abbricht. Viele Fußballvertreter und Journalisten erzeugen den Eindruck, dass Rechtsextremismus eine Mode-Erscheinung sei, eine lose Kette von öffentlichen Ereignissen. Doch Rechtsextremismus ist in der Regel kein öffentliches Ereignis.
Rechtsextremismus ist laut dem Berliner Politikwissenschaftler Richard Stöss eine Kombination von Einstellungen, die einen gemeinsamen Kern haben: die Ablehnung der Gleichheit aller Menschen. Zu diesen Einstellungen zählen Rassismus, Antisemitismus, die Befürwortung eines Führers, die Verharmlosung des Nationalsozialismus oder die Herabsetzung von Minderheiten: von Homosexuellen, Menschen mit Behinderungen, Obdachlosen. Diese rechtsextremen Einstellungen müssen nicht zwangsläufig in rechtsextremes Verhalten übergehen, in Gewalt, Diskriminierung, Parteimitgliedschaft. Weder die Wählerstimmen für die NPD noch der Überfall auf den Roten Stern Leipzig geben ausreichend Auskunft über den Rechtsextremismus in Deutschland.
Wie tief Einstellungen in der Gesellschaft verankert sind, dokumentiert die Langzeituntersuchung zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ des Bielefelder Gewaltforschers Wilhelm Heitmeyer. Seit 2002 erforscht sie die Abwertung von gesellschaftlichen Gruppen. In der neunten Ausgabe dieser repräsentativen Studie, die im Dezember 2010 veröffentlicht wurde, stimmen 49 Prozent der Befragten der Aussage zu, dass in Deutschland zu viele Ausländer leben würden. 26 Prozent befürworten die Forderung, dass Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden solle. 16 Prozent geben an, dass Juden zu viel Einfluss hätten. Und elf Prozent stützen die Meinung, dass „die Weißen“ zu Recht führend in der Welt seien. Angesichts dieser Zahlen ist die oft bemühte Trennung zwischen einem intoleranten „Rand“ und einer toleranten „Mitte“ der Gesellschaft nicht mehr als eine politische Floskel. Rechte Positionen und die Ablehnung von Gruppen sind tief in der Gesellschaft verankert. Nur sind sie nicht immer – wie beim Überfall auf den Roten Stern Leipzig – sichtbar, hörbar oder spürbar.
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