Kommodore Ethel Simcoë
Wer von unseren Lesern sich nun im Geiste darauf mit einschifft, der wird den verschiedenen Vorkommnissen auf dieser Fahrt über den Stillen Ozean mit beiwohnen und es hoffentlich nicht zu bereuen haben.
Wir fügen hier ein, dass die größte Geschwindigkeit Standard Islands, wenn seine Maschinen ihre zehn Millionen Pferdekraft entwickeln, acht Knoten (zwei geographische Meilen) in der Stunde erreicht. Die gewaltigsten Wogen, die der Sturm aufwühlt, haben auf die Insel keine Wirkung. Durch ihre Größe entgeht sie jedem Schwanken vom Seegange, und deshalb gibt es darauf auch keine Seekrankheit. Während der ersten Tage »an Bord« empfindet man höchstens ein schwaches Erzittern, dass die Rotation der Schrauben im Unterbau hervorbringt. Mit einem Sporn von sechzig Metern am Vorder- und am Hinterteile ausgerüstet, zerteilt die Insel die Wellen ohne Schwierigkeit und durchläuft die ungeheure Meeresfläche ohne jeden fühlbaren Stoß.
Natürlich dient die in den beiden Werken erzeugte elektrische Energie außer der Fortbewegung von Standard Island auch noch anderen Zwecken. Mit ihr werden Land, Park und Stadt erleuchtet. Sie unterhält hinter den Riesenlinsen der Leuchttürme die mächtige Lichtquelle, deren Strahlen die Anwesenheit der Schraubeninsel bis weit hinaus verkünden und jeder möglichen Kollision vorbeugen. Sie liefert die verschiedenen Zweigströme, die telegrafischen, telephotischen, telautographischen und telefonischen Zwecken dienen, ebenso, wie sie die Bedürfnisse der Privathäuser und der Handelsquartiere befriedigt. Sie versorgt auch die künstlichen Monde von je fünftausend Kerzen Leuchtkraft, die jeder eine Kreisfläche von hundert Meter Durchmesser erhellen.
Zurzeit, von der wir reden, befindet sich dieses außergewöhnliche Bauwerk auf seiner zweiten Reise über den Großen Ozean. Vor einem Monate hatte es die Madeleinebai verlassen und sich nach dem fünfunddreißigsten Breitengrade begeben, um seine Fahrt, etwa in der Höhe der Sandwich-Inseln, 2anzutreten. Eben befand es sich nahe der Küste von Nieder-Kalifornien, als Calistus Munbar durch telefonische Mitteilung erfuhr, dass sich das Konzert-Quartett nach der Abreise von San Franzisko nach San Diego begeben wollte, und ihm der Gedanke kam, sich dieser hervorragenden Künstler für die Dauer der Reise sozusagen zu bemächtigen. Wir wissen schon, wie er das ausführte, wie er sie auf der, nur wenige Kabellängen von der Küste verankerten Schraubeninsel einschiffte, und wie infolge seines gelungenen Streichs den Dilettanten von Milliard City der Genuss einer vorzüglichen Kammermusik in Aussicht gestellt war.
Das ist also jenes neunte Weltwunder, jenes des zwanzigsten Jahrhunderts würdige Meisterstück menschlichen Geistes, dessen unfreiwillige Gäste zwei Violinen, eine Bratsche und ein Violoncell sind und die Standard Island nach den westlichen Teilen des Pazifischen Ozean entführt.
1 Führer eines Geschwaders bei der Kriegsmarine <<<
2 Die Südlichen Sandwichinseln sind eine Inselkette im subantarktischen Südatlantik. <<<
Sechstes Kapitel – Eingeladene … Inviti
Wenn man auch annehmen darf, dass Sébastien Zorn, Frascolin, Yvernes und Pinchinat Leute waren, die über nichts erstaunten, so wurde es diesen doch schwer, in gewiss begründetem Unwillen dem Calistus Munbar nicht an die Kehle zu springen. Es soll einer nur in dem Glauben leben, auf dem Boden des westlichen Amerika umherzuwandeln, und dann erkennen, dass man ihn aufs hohe Meer hinausbefördert! Man soll sich für einige zwanzig Meilen von San Diego entfernt halten, wo man am nächsten Tage zu einem Konzert erwartet wird, und dann ganz schlankweg hören, dass man auf einer schwimmenden Insel immer weiter davon hinwegtreibt! Wahrhaftig, ein Überfall wäre zu verzeihen gewesen.
Zu seinem Glücke hatte sich der Amerikaner einem solchen ersten Wutausbruche zu entziehen gewusst. Sich die Überraschung oder richtiger die Verblüffung des Konzert-Quartetts zunutze machend, verlässt er die Plattform des Turmes, betritt den Fahrstuhl und ist damit vorläufig vor den Vorwürfen und etwaigen Handgreiflichkeiten der vier Pariser geschützt.
»Solch ein Schurke!« ruft das Violoncell.
»Solch ein Untier!« fällt die Bratsche ein.
»Oho … wenn wir’s ihm zu verdanken haben, ein reines Wunder kennenzulernen …«, lässt sich die erste Violine vernehmen.
»Du willst ihn doch nicht gar noch entschuldigen?« meint die zweite Geige.
»Hier gibt’s keine Entschuldigung«, ruft Pinchinat, »und wenn sich auf Standard Island noch Gerechtigkeit findet, lassen wir ihn verdonnern, diesen Malefizkerl von Yankee!«
»Und wenn’s noch einen Henker gibt«, brüllt Sébastien Zorn, »dann lassen wir ihn aufknüpfen!«
Um so schöne Vorsätze auszuführen, gilt es freilich zuerst zum Niveau der Einwohner von Milliard City hinabzugelangen, da hundertfünfzig Fuß hoch in der Luft natürlich keine Polizei tätig ist. Das konnte ja in wenigen Augenblicken geschehen sein, wenn ein Abstieg möglich war. Der Fahrstuhl des Aufzugs ist aber nicht wieder heraufgekommen, und nirgends findet sich etwas wie eine Treppe. Das Quartett befindet sich also auf der Höhe des Turmes außer Verbindung mit der übrigen Menschheit.
Nach dem ersten Ausbruche der Enttäuschung und der Wut sind Sébastien Zorn, Pinchinat und Frascolin, die Yvernes seiner Bewunderung überlassen, endlich völlig still geworden und rühren sich nicht von der Stelle. Über ihnen flattert die Flagge an der langen Fahnenstange. Sébastien Zorn wandelt eine grimmige Lust an, die Hissleine zu durchschneiden und die Flagge wie die eines sich ergebenden Kriegsschiffes zu senken. Immerhin erscheint es besser, sich nicht in eine vielleicht schlimm auslaufende Geschichte einzulassen, und seine Kameraden halten ihn noch zurück, als er schon mit einem scharf geschliffenen Bowiemesser herumfuchtelt.
Seine Kameraden halten ihn zurück.
»Achtung, wir wollen vor allem nicht uns ins Unrecht versetzen«, mahnt der kluge Frascolin.
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