Wir bedienten uns des Ausdrucks: die Häfen von Standard Island; deren gibt es in der Tat zwei, und zwar an beiden Enden der kurzen Durchschnittslinie des Ovals, das die Schraubeninsel bildet. Der eine heißt Steuerbord-, der andere Backbordhafen, entsprechend den im Seewesen gebräuchlichen Bezeichnungen.
Auf keinen Fall ist eine Unterbrechung der regelmäßigen Zufuhren zu befürchten. Das kann nicht vorkommen, weil jene Häfen auf einander entgegengesetzten Seiten liegen. Sollte nun der eine infolge schlechter Witterung unzugänglich sein, so steht doch der andere den Schiffen offen, die die Insel also bei jeder Windrichtung anlaufen können. Entweder im Backbord- oder im Steuerbordhafen treffen also die verschiedenen, notwendigen Waren ein, das Petroleum mit Spezialdampfern, Mehl und Feldfrüchte, Wein, Bier und andere beliebte Getränke, ferner Tee, Kaffee, Schokolade, Gewürze, Konserven usw. – Hier landet man auch Rinder, Hammel und Schweine von den besten Märkten Amerikas, wodurch der Bedarf an frischem Fleisch gedeckt wird, und überhaupt alles, was selbst die verwöhntesten Feinschmecker von Nahrungs- und Genussmitteln nur wünschen können. Ebenso erfolgt hier der Import von Stoffen, Leinenwaren und Modeartikeln, wie sie der raffinierteste Dandy und die eleganteste Weltdame nur verlangen können. Alle diese Gegenstände kauft man dann bei den Zwischenhändlern auf Standard Island … zu welchem Preise, wollen wir lieber verschweigen, um nicht die Ungläubigkeit des freundlichen Lesers zu erwecken.
Dagegen liegt die Frage nahe, wie ein regelmäßiger Dampferverkehr möglich war zwischen der Küste Amerikas und einer Insel mit Propellern, die sich selbst fortbewegte und sich heute in dieser Gegend und morgen zwanzig Meilen weiter befand?
Die Antwort ist sehr einfach. Standard Island segelt nicht aufs Geratewohl umher. Die Ortsveränderung der Insel erfolgt nach einem von der obersten Verwaltungsbehörde festgesetzten Programme, nachdem darüber die Anschauung der Meteorologen des Observatoriums eingeholt war. Ihre Fahrt ist ein Spaziergang mit nur geringen gelegentlichen Abweichungen durch den Teil des Stillen Ozeans, der die herrlichsten Inselgruppen umschließt, und unter möglichster Vermeidung schroffen Witterungswechsels, dieser mächtigsten Ursache für vielerlei Lungenkrankheiten. Deshalb konnte Calistus Munbar auch auf eine diesbezügliche Frage antworten: »Winter? … Kennen wir nicht!« Standard Island bewegt sich nur zwischen fünfunddreißig Grad nördlicher und fünfunddreißig Grad südlicher Breite. Bei siebzig Breitengraden oder etwa vierzehnhundert Seemeilen steht ihr ein prächtiges Wassergebiet offen. Die anderen Schiffe wissen also das Juwel des Großen Ozeans stets zu finden, da seine Ortsveränderung zwischen jenen reizenden Inseln, die ebenso viele Oasen in der grenzenlosen Wasserwüste des Großen Ozeans bilden, stets im Voraus festgestellt ist.
Doch auch ohnedem wären andere Schiffe nicht darauf angewiesen, die Schraubeninsel hier oder dort auf gutes Glück zu suchen, obwohl die Kompanie deshalb nicht die fünfundzwanzig – sechzehntausend Meilen langen – Kabel in Anspruch nahm, die der Eastern Extension Australasia and China Co. gehören. Nein; die Schraubeninsel darf von niemandem abhängig sein! Das erreichte man durch Verteilung von mehreren hundert Bojen auf den befahrenen Meeresteilen, Bojen, die das Ende elektrischer Kabel tragen, welche mit der Madeleinebucht in Verbindung stehen. Diese Bojen läuft man an, verbindet deren Kabel mit den Apparaten des Observatoriums und sendet nun die nötigen Depeschen ab. Dadurch werden die Vertreter der Kompanie in der Madeleinebucht bezüglich geographischer Länge und Breite der Lage von Standard Island immer auf dem laufenden erhalten. So erklärt es sich, dass der Dienst der Proviantschiffe mit wirklicher »Eisenbahnverlässlichkeit« vonstatten geht.
Daneben gibt es aber noch eine andere wichtige Frage, die einer Lösung wert ist.
Wie verschafft man sich denn das nötige Süßwasser für die vielfachen Bedürfnisse der Bevölkerung?
Das Wasser?… O, das gewinnt man durch Destillation in zwei besonderen Anstalten neben den Häfen. Durch ein Röhrensystem wird es nach den Häusern geleitet und unter den Feldern hingeführt. So dient es für wirtschaftliche Zwecke wie zur Straßenbesprengung und fällt als wohltätiger Regen auf die Felder und Rasenflächen, die damit den Launen der Witterung entzogen sind. Und dieses Wasser ist nicht allein süß, sondern sogar destilliert, elektrolisiert und hygienisch vorzüglicher als die reinsten Quellen der beiden Welten, aus denen ein Tropfen, in der Größe eines Stecknadelkopfes, noch fünfzehn Milliarden Mikroben enthalten kann.
Noch bleibt uns übrig zu erklären, wie die Ortsveränderung der ganzen Anlage vor sich geht. Einer großen Schnelligkeit bedarf sie nicht, da die Insel binnen sechs Monaten über die angegebenen Breitengrade und über den Raum zwischen dem hundertdreißigsten und dem hundertfünfundvierzigsten Längengrad nicht hinauskommen soll. Zwanzig bis fünfundzwanzig Seemeilen binnen vierundzwanzig Stunden, mehr verlangt Standard Island nicht. Eine solche Fortbewegung hätte man mittels Zugseil erreichen können, wenn man etwa ein Kabel aus jener indischen, Bastin genannten Faser hergestellt hätte, die sehr fest und gleichzeitig so leicht ist, dass sie sich im Wasser schwimmend und gesichert gegen Verletzungen durch Scheuern am Meeresgrunde erhalten hätte. Dieses Kabel hätte sich dann über Zylinder, die durch Dampfkraft gedreht wurden, aufgerollt, und Standard Island wäre mittels »Tauerei« vor- und rückwärts gegangen, wie noch heute hie und da Schiffe auf den Flüssen der Alten und der Neuen Welt. Dieses Kabel hätte aber außerordentlich lang und stark sein müssen und wäre doch vielfachen Havarien ausgesetzt gewesen, und dann bedeutete diese Anordnung nur eine »gefesselte Freiheit« mit dem Zwang, einer unveränderlichen Linie zu folgen – wenn sich’s aber um die Freiheit handelt, bestehen die Bürger des freien Amerika unerschütterlich auf ihrem Scheine.
Eine der Anlagen
Glücklicherweise haben die Elektrotechniker so große Fortschritte in ihrem Fache gemacht, dass man von der Elektrizität, der Seele des Weltalls, so gut wie alles verlangen kann. Ihr fiel daher auch die Aufgabe zu, die künstliche Insel fortzubewegen. Zwei Anlagen genügen, Dynamos von fast unbegrenzter Leistungsfähigkeit, die elektrische Energie in Form eines Gleichstromes von zweitausend Volt liefern, in Bewegung zu setzen. Diese Dynamos wirken auf ein mächtiges System von Propellern, die in der Nähe beider Häfen angebracht sind. Sie entwickeln jedes fünf Millionen Pferdekraft – dank den Hunderten von Kesseln, geheizt mit Petroleum-Briketts, die weit weniger Raum einnehmen und weniger rußen als Steinkohlen, zugleich aber viel mehr Wärme entwickeln. Die betreffenden Werke unterstehen der Leitung der beiden Hauptingenieure, der Herren Watson und Somwah, denen zahlreiche Mechaniker und Heizer zur Seite stehen, während die Oberleitung in den Händen des Kommodore 1Ethel Simcoë ruht. Von seiner Amtswohnung im Observatorium aus steht der Kommodore mit den beiden Elektrizitätswerken in telefonischer Verbindung. Er bestimmt nach dem vorher festgestellten Reiseplane den Kurs der künstlichen Insel. Von da war auch in der Nacht vom 25. zum 26. der Befehl ausgegangen, mit Standard Island die Küste Kaliforniens anzulaufen, in deren Nähe es sich zurzeit des Antritts seiner jährlichen Reise eben befand.
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