Mit der Insel, von der wir hier reden, liegt die Sache ganz anders; sie sollte auf dem Meere schwimmen … für immer, soweit das Werk der Menschenhand eben Bestand hat.
Wer weiß denn, ob die Erde nicht eines Tages zu klein werden wird für ihre Bewohner, deren Anzahl im Jahre 2072 der Rechnung nach auf sechstausend Millionen steigen dürfte, wie es Ravenstein und andere Gelehrte mit erstaunlicher Sicherheit behaupten? Wenn das Festland dann überfüllt ist, muss man sich doch entschließen, als Wohnstätte das Meer zu Hilfe zu nehmen.
Aus Einzelbehältern zusammengesetzt.
Standard Island ist eine Insel aus Stahlplatten, und die Tragfähigkeit und Widerstandskraft ihres Rumpfes wurden unter Berücksichtigung des ungeheuern Gewichtes, das darauf lasten sollte, berechnet. Sie ist aus zweihundertsiebzigtausend Einzelbehältern zusammengesetzt, von denen jeder sechzehn Meter siebzig Zentimeter hoch und je zehn Meter lang und breit ist. Die Oberfläche jedes Behälters misst also zehn Meter an jeder Seite oder umfasst ein Ar, gleich hundert Quadratmeter. Alle durch Bolzen und Nieten miteinander verbundene Behälter bilden die etwa siebenundzwanzig Millionen Quadratmeter oder siebenundzwanzig Quadratkilometer große Insel. Bei der ihr gegebenen ovalen Gestalt misst sie sieben Kilometer in der Länge und fünf Kilometer in der größten Breite und hat in runder Zahl einen Umfang von achtzehn Kilometern. Zur Vergleichung diene, dass die Befestigungslinie von Paris neununddreißig, die alte Mauer um die Stadt dreiundzwanzig Kilometer lang ist. Der eingetauchte Teil des Rumpfes hat bei voller Belastung etwa zehn Meter, der über Wasser stehende gegen sieben Meter Höhe. Daraus ergibt sich, dass das Volumen von Standard Island vierhundertzweiunddreißig Millionen Kubikmeter misst und sein Deplacement (Wasserverdrängung), gegen drei Fünftel des Volumens, zweihundertneunundfünfzig Millionen Kubikmeter erreicht.
Der ganze untertauchende Teil der Behälter ist mit einem lange Zeit vergeblich gesuchten Präparate – der Erfinder desselben wurde dadurch Milliardär – bestrichen, das jedes Anlegen von Muscheln und Seetieren verschiedener Art an die vom Wasser bespülten Teile unbedingt verhindert.
Der »Untergrund« der neuen Insel ist gegen Formveränderung und Bruch vollständig gesichert, denn der stählerne Rumpf wird durch mächtige Querriegel versteift, und auf das Vernieten und Verbolzen aller Teile wurde die denkbarste Sorgfalt verwendet.
Natürlich mussten zur Herstellung dieses riesenhaften Bauwerkes erst besondere Werften geschaffen werden. Das übernahm die »Standard Island Company«, nachdem sie die Magdalenenbucht nebst deren Uferland am Ausläufer der langen Halbinsel Nieder-Kalifornien, ganz nahe dem Wendekreise des Krebses, zu diesem Zwecke erworben hatte. In dieser Bucht wurde die Arbeit ausgeführt, und zwar unter Leitung der Ingenieure der Standard Island Company und unter der Oberleitung des berühmten William Terson, der wenige Monate nach Vollendung seines Riesenwerkes ebenso mit Tod abging, wie Brunnel, nachdem er seinen, leider ziemlich nutzlosen »Great-Eastern« vom Stapel gelassen hatte. Standard Island ist ja auch kaum etwas anderes als ein modernisierter Great-Eastern, nur nach einem tausendfach vergrößerten Modell geschaffen.
Selbstverständlich konnte von einem wirklichen Stapellauf der Insel keine Rede sein. Sie wurde vielmehr stückweise hergestellt, indem man die einzelnen Stahlbehälter auf dem Wasser der Bucht selbst miteinander verband. Diese Stelle der amerikanischen Küste wurde auch der Nothafen der beweglichen Insel, nach dem sie sich zur Vornahme etwaiger Reparaturen allemal begibt.
Der Unterbau der Insel, ihr Rumpf, wie man sagen könnte, der, wie erwähnt, aus zweihundertsiebzigtausend Einzelbehältern besteht, wurde, mit Ausnahme des für die Stadt in der Mitte bestimmten und deshalb besonders verstärkten Teiles, mit einer dicken Schicht guter Erde überschüttet. Diese Humusdecke genügt für die Vegetation, die auf Rasenflächen, Blumenbeete, Gesträuche, einige Baumgruppen, Weideplätze und Gemüsefelder beschränkt ist. Es war nicht ratsam erschienen, auf diesem künstlichen Erdboden auch noch Getreide und Futter für Schlachttiere erbauen zu wollen, und so wird der Bedarf an beiden durch regelmäßige Zufuhr gedeckt. Dagegen hatte man Vorsorge getroffen, wenigstens die nötige Milch, den Bedarf an Eiern und Geflügel von jener Einfuhr unabhängig zu machen.
Drei Viertel des Bodens von Standard Island, d.h. etwa einundzwanzig Quadratkilometer, sind für die Kultur von Nutzpflanzen und für Rasenflächen bestimmt, die in immerwährendem Grün prangen, während die intensiv ausgebeuteten Felder Gemüse und Früchte liefern und künstliche Wiesen einigen Viehherden als Weideplätze dienen. Hier bedient man sich eifrig der Elektrokultur, d.h. der Mitwirkung permanenter elektrischer Ströme, die das Wachstum der Pflanzen überraschend befördern und Gemüse von kaum glaublicher Größe hervorbringen helfen. So züchtet man z.B. hier Radieschen von fünfundvierzig Zentimeter Länge und erntet Mohrrüben von drei Kilo Gewicht. Die Zier- und Küchengärten, sowie die Obstanlangen können mit den schönsten in Virginien und Louisiana wetteifern. Kein Wunder: auf der Insel, die mit Recht das »Juwel des Stillen Ozeans« genannt wird, spart man keine Kosten, um alles in vollendetster Weise durchzuführen.
Ihre Hauptstadt Milliard City nimmt ungefähr ein Fünftel der Oberfläche ein, bedeckt also gegen fünf Quadratkilometer oder fünfhundert Hektar, bei einem Umfange von neun Kilometern. Unsere Leser, die ja Sébastien Zorn und seine Kameraden auf deren Spaziergange begleitet haben, kennen sie schon so weit, dass sie sich darin schwerlich verirren würden. Übrigens verirrt man sich überhaupt nicht in amerikanischen Städten, wenigstens nicht, wenn sie gleichzeitig das Glück und das Unglück haben, neueren Ursprungs zu sein – das Glück, wegen der Vereinfachung des Verkehrs und das Unglück wegen ihres vollständigen Mangels an künstlerischer Bedeutung. Wir wissen, dass Milliard City ein Oval bildet, das durch eine zentrale Verkehrsader, die First Avenue, die etwas über drei Kilometer lang ist, in zwei Hälften geteilt wird. Das an dem einen Ende derselben aufragende Observatorium hat am anderen als Pendant das großartige Stadt- oder Rathaus. In diesem finden sich die Amtsräume für die Behörden, für Wasser- und Wegebau, für Anpflanzungen und Promenaden, für die städtische Polizei, den Zoll, die Markthallen, für Beerdigungswesen, Hospize, die verschiedenen Schulen, sowie für die Kirchensachen und die Künste in bequemster Weise vereinigt.
Читать дальше