Heute liegen in dem Bassin nur ein halbes Dutzend Dampfer, wovon die einen Petroleum zuführen, die anderen Vorräte für den täglichen Bedarf gebracht haben, und außerdem einige mit elektrischen Apparaten versehene größere Boote, die zum Fischfang auf hoher See verwendet werden.
Frascolin beobachtet, dass der Eingang zum Hafen nach Norden zu liegt, und schließt daraus, dass er das nördliche Ende einer jener Landspitzen einnehmen muss, die sich von der Küste Nieder-Kaliforniens in den Stillen Ozean hinaus erstrecken. Er bemerkt auch, dass die Meeresströmung mit ziemlicher Intensität nach Osten hin verläuft, weil sie am Unterbau der Piers wie die an die Planken eines segelnden Fahrzeuges anklatschenden Wellen anschlägt – offenbar eine Wirkung der steigenden Flut, obwohl die Gezeiten an den Westküsten Amerikas nicht eben stark auftreten.
Frascolin beobachtet.
»Wo ist denn nun der Fluss, über den wir gestern mit dem Fährschiffe gekommen sind?« fragt Frascolin.
»Dem wenden wir jetzt den Rücken zu«, begnügt sich der Yankee zu antworten.
Nun gilt es aber, mit der Zeit zu geizen, wenn die Gesellschaft noch zur Stadt zurückkehren will, um den Zug nach San Diego zu benützen.
Sébastien Zorn erinnert Calistus Munbar daran, und dieser erwidert:
»Fürchten Sie nichts, liebe Freunde, wir haben Zeit genug. Die Trambahn befördert uns, nachdem wir am Ufer entlanggegangen sind, zur Stadt zurück. Sie hatten den Wunsch ausgedrückt, einen Überblick über diese Gegend zu haben, und vor Ablauf einer Stunde werden Sie den vom Turme des Observatoriums aus genießen können.«
»Sie stehen also dafür ein …«, begann der Violoncellist noch einmal.
»Ich stehe dafür ein, dass Sie morgen bei Sonnenaufgang nicht mehr da sein werden, wo Sie augenblicklich sind!«
Mit dieser etwas erkünstelten Antwort mussten sie sich wohl oder übel begnügen. Übrigens quält Frascolin die Neugier vielleicht noch mehr als die anderen. Es verlangt ihn, auf jenem Turm zu stehen, von wo aus der Blick nach Aussage des Amerikaners sich über einen Horizont von wenigstens hundert Meilen Umfang erstreckt. Erlangte man dadurch keine Klarheit über die geographische Lage dieser merkwürdigen Stadt, so musste man wohl für immer darauf verzichten.
Am hintern Teile des Hafenbassins mündet eine andere Trambahn, die längs des Meeres hin verläuft. Der abgehende Zug besteht aus sechs Wagen, in denen schon viele Fahrgäste sitzen. Diese Wagen werden von einer elektrischen Lokomotive gezogen, deren Akkumulatoren eine Kapazität von zweihundert Volt-Ampere haben, und ihre Geschwindigkeit erreicht achtzehn Kilometer in der Stunde.
Calistus Munbar nötigt das Quartett einzusteigen, und unsere Pariser konnten glauben, dass der Trambahnzug nur auf sie gewartet hätte.
Was sie von der Landschaft zu sehen bekommen, unterscheidet sich wenig von dem Parke, der sich zwischen Stadt und Hafen ausdehnt. Derselbe ebene und sorgfältig unterhaltene Erdboden. Grüne Wiesen und Felder statt der Rasenflächen, das ist alles; Gemüsepflanzungen, doch keine Getreideäcker. Eben jetzt ergießt sich, aus den unterirdischen Röhren hervorspringend, ein wohltätiger, reichlicher Regen auf die langen, nach Winkel und Richtscheit angelegten Rechtecke.
Der Himmel hätte ihn gar nicht so genau berechnet und zweckentsprechend verteilen können.
Die Gleise folgen dem Ufer, sodass sie das Meer auf der einen, das Land auf der anderen Seite haben. So rollen die Wagen fast vier Meilen – gegen sechs Kilometer – dahin. Dann halten sie vor einer Batterie von zwölf großen Geschützen, zu denen der Eingang die Aufschrift: »Rammsporn-Batterie« trägt.
»Hinterladekanonen, die sich niemals nach der falschen Seite entladen, wie das bei den Geschützen des alten Europa so häufig vorkommt!« bemerkt Calistus Munbar dazu.
An dieser Stelle zeigt die Küste einen sehr scharfen Rand und bildet einen spitz auslaufenden Vorsprung, der dem Vorderteile eines Schiffsrumpfes oder gar dem Sporn eines Panzerschiffes gleicht, an dem sich die Wellen zerteilen, indem sie ihn mit ihrem weißen Schaum benetzen. Offenbar ist das eine Wirkung der Strömung, denn draußen bewegt sich das Wasser nur in langer, flacher Dünung, 3die mit dem Niedergange der Sonne noch weiter abzunehmen verspricht.
Von diesem Punkte geht eine zweite Trambahnlinie nach dem Mittelpunkte der Stadt aus, während die erstere der Uferkrümmung weiter folgt.
Calistus Munbar steigt hier mit seinen Gästen um und meldet ihnen, dass sie nun geradewegs nach der Stadt zurückkehren werden.
Die Promenade ist auch lang genug gewesen. Calistus Munbar zieht seine Uhr hervor, ein Meisterstück von Sivan in Genf … eine sprechende, phonographische Uhr. Er drückt daran auf einen Knopf und man hört sie deutlich sagen: »Vier Uhr dreizehn Minuten.«
»Sie vergessen doch nicht, dass wir den Turm des Observatoriums besteigen wollen?« meldet sich Frascolin.
»Vergessen, meine lieben und schon alten Freunde! … Eher würde ich meinen eigenen Namen vergessen, der sich übrigens einiger Berühmtheit erfreut. Noch vier Meilen, und wir werden vor dem prächtigen Gebäude stehen, das am Ende der Ersten Avenue errichtet ist und die beide Hälften unserer Stadt scheidet.«
Der Wagen ist abgegangen. Jenseits der Felder, auf die noch immer »der Nachmittagsregen« – so sagte der Amerikaner – niederrieselt, zeigt sich wieder der mit Barrieren umschlossene Park mit seinen Baumgruppen, Rasenflächen und Blumenkörben.
Da schlägt es halb fünf Uhr. Zwei Weiser zeigen die Stunde auf einem riesigen Zifferblatte, das, an einem viereckigen Turme angebracht, etwa dem des Londoner Parlamentshauses ähnelt.
Am Fuße des Turmes liegen die für die verschiedenen Dienstzweige des Observatoriums bestimmten Gebäude. Einige derselben, die mit metallenen Kuppeln und verglasten Spalten in letzteren versehen sind, gestatten den Astronomen, den Lauf der Gestirne zu beobachten. Sie umschließen einen geräumigen Hof, in dessen Mitte sich der hundertfünfzig Fuß hohe Turm erhebt. Von seiner oberen Galerie reicht der Blick auf fünfundzwanzig Kilometer weit hinaus, da der Horizont von keinem Hügel, keinem Berg verdeckt wird.
Seinen Gästen vorausgehend, schreitet Calistus Munbar durch eine Tür, die ihm ein Diener in reicher Livrée geöffnet hat. Im Hintergrunde des Hausflurs befindet sich der mittels Elektrizität betriebene Aufzug. Das Quartett nimmt mit seinem Führer in dem Fahrstuhle Platz. Dieser steigt sofort sanft und gleichmäßig in die Höhe. Nach fünfundvierzig Sekunden hält er an der Plattform des Turmes an.
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