Und wie stark ist die Bevölkerung auf diesem künstlichen Stückchen Erde von achtzehn Kilometer Umfang?
Die Erde zählt den derzeitigen Angaben nach zwölf Städte – vier davon in China – mit mehr als einer Million Einwohner. Die Schraubeninsel hat deren nur gegen zehntausend – lauter Eingeborene der Vereinigten Staaten. Man wollte es vermeiden, dass jemals internationale Streitigkeiten unter den Bürgern aufloderten, die auf diesem Werke neuester Art Ruhe und Erholung suchten. War es doch schon genug, wenn nicht zu viel, dass sie in religiöser Beziehung nicht zu einem und demselben Banner hielten. Es wäre aber zu schwierig gewesen, nur den Yankees aus dem Norden, den Backbordbewohnern von Standard Island, oder umgekehrt den Amerikanern aus dem Süden, den Steuerbordbewohnern, das Recht vorzubehalten, sich auf dieser Insel häuslich niederzulassen. Darunter hätten die Interessen der Standard Island Company gar zu empfindlich gelitten.
Nach Fertigstellung des metallenen Unterbaues und Herrichtung des für die Stadt reservierten Teiles zur Bebauung, nach der Annahme des Planes für die Straßen und Avenues, beginnen die Baulichkeiten aus dem Boden zu wachsen. Hier erheben sich Prachtgebäude oder einfache Wohnstätten, dort für den Detailhandel bestimmte Häuser, öffentliche Bauwerke, Kirchen und Tempel, nirgends aber jene Wohnhäuser mit siebenundzwanzig Stockwerken, jene hässlichen »Skyscrapers«, d.h. »Wolkenkratzer«, wie man sie in Chicago findet. Das verwendete Baumaterial ist gleichzeitig leicht und widerstandsfähig. Das nicht oxydierbare Metall, das in den Konstruktionen vorherrscht, ist das Aluminium, das fast siebenmal so leicht ist wie Eisen von gleichem Volumen – das Metall der Zukunft, wie es schon Sainte-Claire Deville genannt hat – und das allen Anforderungen an ein solides Bauwerk entspricht. Mit dem Metall verband man künstlichen Stein, Zementwürfel, die sich bequem anpassten. Man verwendete auch gläserne, hohlgeblasene Werkstücke, die also wie Flaschen hergestellt waren, und vereinigte sie durch ganz dünne Mörtelschichten – durchsichtige Bausteine, mit denen das Ideal, ein Haus aus Glas, zu erreichen wäre. In der Hauptsache herrschte aber doch die metallene Armatur vor, wie man sie heutigentags in den Erzeugnissen der Schiffsbaukunst findet. Standard Island ist ja schließlich nichts anderes als ein ungeheuer vergrößerter Schiffskörper.
Das Ganze ist Eigentum der Standard Island Company. Alle Bewohner der künstlichen Insel sind, wie groß auch ihr Vermögen sei, nur Abmieter. Übrigens wurde bezüglich des Komforts und der Zweckmäßigkeit hier alles vorgesehen, was die unglaublich reichen Amerikaner nur erwarten konnten, diese Leute, neben denen die Souveräne Europas und die Nabobs Indiens nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Wenn statistisch nachgewiesen ist, dass der Goldvorrat der Erde achtzehn Milliarden und der Silbervorrat zwanzig Milliarden beträgt, so besitzen die Bewohner dieses Juwels des Stillen Weltmeers davon in der Tat einen recht beträchtlichen Teil.
Von Anfang an hat sich das ganze Unternehmen übrigens finanziell vorzüglich gestaltet. Einzelhäuser und Wohnungen wurden zu gradezu fabelhaften Preisen vermietet, sodass solche zuweilen mehrere Millionen übersteigen, denn nicht so wenige Familien waren in der beneidenswerten Lage, derartige Summen alljährlich nur für ihr Unterkommen anzulegen. Die Company erzielte damit schon aus dieser einen Quelle einen Überschuss. Hiernach wird jedermann zugestehen, dass die Hauptstadt von Standard Island den ihr beigelegten Namen mit Recht verdiente.
Von jenen überreichen Familien abgesehen, gibt es hier mehrere hundert andere, deren Mietzins hundert- bis zweihunderttausend Francs beträgt und die sich mit solchen bescheidenen Verhältnissen begnügen. Die noch übrige Einwohnerschaft umfasst dann Lehrer jedes Faches, Lieferanten, Angestellte, Dienstboten und Fremde, deren Zufluss nur gering ist und denen nicht gestattet wird, sich in Milliard City oder sonstwo auf der Insel anzusiedeln. Von Advokaten gibt es nur wenige, wodurch auch Prozesse nur selten sind; Ärzte noch weniger, wodurch die Sterblichkeit auf eine lächerlich tiefe Stufe herabsinkt. Jeder Bewohner kennt übrigens sehr genau seine Konstitution, seine am Dynamometer gemessene Muskelkraft, seine mittels Spirometer festgestellte Lungenkapazität (Atmungsgröße), die am Sphygmometer beobachtete Zusammenziehungsfähigkeit seines Herzens und endlich seine am Magnetometer ablesbare allgemeine Lebenskraft. In der Stadt gibt es übrigens weder Schankstätten, Cafés oder Restaurationen, überhaupt nichts, was den Alkoholismus befördern könnte. Niemals ist hier ein Fall von Dypsomanie – sagen wir für die des Griechischen nicht kundigen Leser: von Trunksucht – vorgekommen. Vergessen wir nicht anzuführen, dass der Stadt elektrische Energie, Licht, mechanische Kraft, Wärme, verdichtete und verdünnte, sowie kalte Luft, Druckwasser geliefert und ihr pneumatische Telegramme und telefonische Nachrichten durch öffentliche Werke übermittelt werden. Geht jemand mit Tode ab auf dieser Schraubeninsel, die jeder klimatischen Unbill entzogen und gegen jede Beeinflussung durch Mikroben geschützt ist, so geschieht das, weil man, wenn die früher aufgezognen Federn der Lebensmaschinerie nach langer, langer Zeit abgelaufen sind, doch eben einmal sterben muss.
Auch Soldaten gibt es auf Standard Island, nämlich eine Truppe von fünfzig Mann unter dem Befehle des Colonel Stewart, denn man durfte nicht außer acht lassen, dass die weiten Gebiete des Stillen Ozeans nicht immer sicher sind. In der Nachbarschaft gewisser Inselgruppen ist es ein Gebot kluger Vorsicht, sich gegen Überfälle durch mancherlei Seeräuber sicherzustellen. Dass diese Miliz einen sehr hohen Sold bezieht und der gewöhnliche Mann sich besser steht, als ein höherer Offizier im alten Europa, ist ja selbstverständlich. Die Anwerbung dieser Soldaten, die auf öffentliche Kosten untergebracht, ernährt und gekleidet werden, geht ohne Schwierigkeiten vor sich. Der gleich einem Krösus bezahlte Anführer der Truppe hat dabei nur die Qual der Wahl.
Auf Standard Island existiert auch eine Polizei – nur einige schwache Rotten, die aber völlig hinreichen für die Sicherheit einer Stadt, in der keine Ursache vorliegt, diese Sicherheit gestört zu sehen. Es bedarf ja stets besonderer Genehmigung der obersten Verwaltungsbehörde, um sich hier häuslich niederzulassen. Die »Küsten« sind Tag und Nacht durch eine Abteilung Zollbeamter überwacht. Nur in den Häfen ist eine Landung überhaupt möglich. Wie sollten Übeltäter also Eingang finden? Was etwa Leute beträfe, die sich erst hier Ungebührlichkeiten zuschulden kommen ließen, so würden solche kurzerhand verhaftet, abgeurteilt und im Westen oder Osten des Großen Ozeans irgendwo an der Neuen oder Alten Welt ausgesetzt werden, sodass sie nach Standard Island niemals zurückkehren könnten.
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