„Ja“, kam ihre Antwort kurz zurück.
„Heckt ihr was aus? Ich hoffe nicht. Ja, macht. Ich schaffe das schon alleine.“
Ervin sagte beim Essen nicht viel, aber er hörte zu und an seinem Gesichtsausdruck konnte man viel ablesen. Auch, dass der Trubel, der gerade am Tisch geherrscht hatte, ihm doch etwas ungewohnt und zu viel war. Orsolya zog ihm seinen leeren Teller zwischen den aufgelegten Armen weg.
„Da musst du dich jetzt dran gewöhnen. Es ist halt zum Mittagessen wieder etwas mehr Leben im Haus, seit der junge Herr zurückgekehrt ist. Ich finde das wunderbar. Hier, nimm noch eine Pogatsche, die heitert dein grimmiges Gemüt auf.“
Gerade als Máriska den Löffel in ihren Nachtisch tauchen wollte, zog ihr Bruder das Schälchen weg und stellte es, überheblich grinsend, neben seines.
Ervin wunderte sich, aber die ältere Dame wusste genau, was dies zu bedeuten hatte. Máriska hatte gegen ihn beim Reiten verloren und so kommentierte sie lächelnd:
„Sag ich doch, manche Dinge ändern sich, Gott sei Dank, nie.“
Der Graf hatte sich gezwungenermaßen an den Besuch gewöhnt. Auch wenn er seinem Schwager immer noch Misstrauen entgegenbrachte, freute es ihn, zu sehen, wie seine Frau in seiner Gegenwart doch nun wieder aufzublühen schien. Als die Kinder zu Bett geschickt waren und nur noch der Hausherr, seine Frau und Máté am Tisch saßen, griff Dominik in sein Jackett und zog eine kleine Glocke hervor.
„Ich bin es leid, nach Orsolya immer lauter rufen zu müssen, nur weil sie in der Küche eingeschlafen ist oder immer schlechter hört. Ab heute werde ich läuten, ohne es trainiert zu haben, wird sie kommen. Sie ist zwar nicht zur Haushälterin geboren, aber eine treue Seele – eben wie ein Hund.“
Er läutete mit dem Glöckchen und stellte es dann erwartungsvoll auf den Tisch.
„Meine Mitarbeiter haben übrigens noch einmal recherchiert, was diesen Doppelmord angeht.
Morgen früh werde ich den Kindern mitteilen, dass sich niemand mehr im Dunkeln draußen aufzuhalten hat. Weder morgens, noch abends. Jedenfalls nicht allein und ohne Schutz.“
Er schaute empört zur geschlossenen Esszimmertür und läutete erneut. Allerdings heftiger und lauter.
„Hast du denn etwas herausfinden können?“, wollte Máté wissen.
Sein Schwager meinte:
„Auf jeden Fall, dass dieses Verbrechen nicht mit rechten Dingen zuging und so einige, eigentlich zu viele Fragen aufwirft. Wer immer da gewütet hatte, hat enorme Kräfte oder Zorn.“
Bianká öffnete neugierig die Tür und schaute ins Zimmer. Sie hatte ihre Haare offen und trug ein Nachthemd mit einem übergeworfenen Jäckchen.
„Ist denn schon das Christkind da? Warum hat denn das Weihnachtsglöckchen geläutet?“
Der Anblick seiner Tochter im nächtlichen Gewand ließ Dominik seine Beherrschung verlieren.
„Ist es denn zu fassen? Wie präsentierst du dich denn hier? Und das vor deinem Onkel!“
„Dominik, bitte!“, kommentierte Máriska diese überzogene Reaktion.
„Aber Papa, ich habe so ein Läuten zuvor nur an Weihnachten gehört. Verzeihen Sie meine Neugierde“, sprach sie und machte einen entschuldigenden Knicks.
„Na, immerhin. Das ist meine Erziehung. Die davor, die ihrer Mutter. Wenn du schon hier herumspringst, hole bitte Orsolya und sage ihr, ich habe nach ihr geläutet, Liebes. Richte ihr aus, dass sie uns den guten Weinbrand und drei Gläser bringen soll.“
„Vier“, fügte die Gräfin an.
Die Tochter eilte in die Küche, während der Hausherr an seine Worte anknüpfte.
„Wie ich sagte, dieser Doppelmord ist äußerst mysteriös. Es sind die rätselhaften Umstände und Fakten, die ungewöhnlich und auch irgendwie nicht zusammenzubringen sind. Aus diesem Grund verlässt hier niemand mehr nach Sonnenuntergang das Haus. Ich habe das mit den Fällen in Wien vergleichen lassen. Die einzige Gemeinsamkeit sind die nächtlichen Übergriffe im Freien. Sollte es sich um den gleichen Wahnsinnigen handeln, wäre er hier in Ungarn das erste Mal in ein Haus eingedrungen. Ich finde das sehr beunruhigend. Falls die Fälle überhaupt miteinander zu tun haben.“
Der Graf empfand plötzliche die Atmosphäre im Raum als angespannt.
„Habe ich irgendetwas verpasst? Was ist auf einmal mit euch beiden los?“, fragte er skeptisch nach. Orsolya stieß die Tür auf und servierte auf einem Tablett den Weinbrand.
„Hast du das Läuten bemerkt, Orsolya?“, interessierte sich der Hausherr.
Während sie konzentriert die Gläser einschenkte, antwortete sie keck:
„Mit dem Geklingel habt Ihr das ganze Haus aufgeweckt. Das arme Kind war doch schon eingeschlafen.“
Sie stellte vor jeden ein Glas und beäugte dabei das Glöckchen. Um es abzuwischen, nahm sie es in die Hand.
„Hübsch!“
„Freunde dich mit ihm an. Es ist zukünftig mein ‚Ruf‘ nach dir. Anstatt meine Stimme zu erheben, werde ich von nun an nach dir läuten. Wir müssen in diesem Haus wesentlich mehr auf Niveau und Gepflogenheiten achten“, verkündete der Familienvater und hob sein Glas.
Als sie das Glöckchen wieder auf dem Tisch stellen wollte, fiel das Pendel ab.
„Ups, das ist ja Schund. Habt Ihr den geschenkt bekommen, Herr Graf?“
Bevor sich der Besitzer des Glöckchens erzürnen konnte, hob Máriska ihr Glas, nahm die Einzelteile des Glöckchens an sich und rief:
„Auf unser aller Gesundheit, das Glöckchen und unsere Familie!“
Die gute Seele des Hauses setzte sich auf den Stuhl, den Máté ihr zurechtgestellt hatte, trank ebenfalls und war in diesem Augenblick einfach nur glücklich.
„Es wird dich irritieren, Orsolya, aber ich möchte, dass du von nun an hier schläfst oder vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause gehst und erst im Hellen wiederkommst. Der Zwischenfall mit dem getöteten Paar gibt Anlass zur Vorsicht. Nicht, dass ich besonders an dir hänge, aber ich möchte auch nicht, dass du unnötigen Gefahren ausgesetzt bist. Meine Frau würde mir das nie verzeihen, wenn dir etwas passieren würde, und … ich möchte auch nicht, dass sich das Untier an dir den Magen verdirbt.“
Mit einem bösen Grinsen nippte er an seinem Weinbrand. Die Haushälterin, tief getroffen von den Worten des Hausherrn, schaute schweigend zwischen den Geschwistern hin und her in der Erwartung, Unterstützung zu finden. Máté fand die Spitzen von Dominik in diesem Fall heftig und erklärte:
„Übersetzt heißt es, dass der Graf dich sehr schätzt und sich Sorgen um dich macht, wenn du allein in der Nacht unterwegs sein würdest. Er kann es nur nicht schöner ausdrücken.“
Dominik lachte laut auf.
„Man merkt, ihr beide seid verwandt. Eure Art zu beschwichtigen ist irgendwie die Gleiche. Ihr könnt einem auch jeden Spaß verderben.“
„Er kann nicht anders. Er muss aus jedem Gespräch als Gewinner herausgehen. Mach dir nichts draus, da stehst du drüber, Orsolya.“
Máté erkannte an ihrem Blick, dass sie sich verstanden. Sie nippte vergnügt an ihrem Cognac und meinte:
„Genau. Stehe ich drüber …“
Der Graf ließ es dabei bewenden und schmunzelte zur Verwunderung von Máriska. Sie nutzte die Chance und verkündete:
„Máté und ich wollen morgen zu einem alten Freund von ihm fahren. Er wird dort übernachten, aber ich komme nach Hause.“
Dominik schaute zu seiner Frau.
„Wie schön, kenne ich den Freund? Ich bringe übrigens morgen einen Gast zum Kaffeetrinken mit. Es ist Freitag und da komme ich immer früher nach Hause“, klärte er seinen Schwager auf.
Die Gräfin nahm einen Schluck, sah zu ihrem Mann und sagte:
„Ich bin erst gegen Abend da.“
Orsolya erhöhte ihre Aufmerksamkeit, denn sie ahnte, dass es jetzt spannend werden würde. Dominik betrachtete seine Gattin eindringlich.
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