Als fühle die Dame, dass man irgendwo in dem grossen Gastraume von ihr sprach, wandte sie jetzt den Kopf nach der Seite, wo die beiden Herren sassen. Ein Blick, der wie hinter leichten Schleiern wach wurde, traf Christian Jost, und als sähe sie etwas ganz Besonderes, stockte ihr Fuss, und das zu weisse Gesicht färbte sich mit jäher Röte, zerstörte die starre Maske, gab den Zügen plötzlich Leben.
„Eine interessante Frau!“ sagte Christian Jost und wunderte sich, weshalb die fast zu schmale, auffallend elegante Frau auf ihren Tisch zukam, ihn dabei fest im Auge behaltend.
Schon war sie ganz nahe, da erhob sich Jan van Straaten und ging ihr ein paar Schritte entgegen. Er verneigte sich tief und sprach sie holländisch an: „Sie erinnern sich meiner von Amsterdam her, gnädige Frau, das beglückt mich. Ich studiere zur Zeit in Frankfurt. Darf ich Ihnen meinen Studienfreund vorstellen?“
Ihre Augen hatten Christian Jost nicht für den Bruchteil einer Sekunde freigegeben, sie lächelte jetzt liebenswürdig: „Ja, ich erinnere mich Ihrer, Mijnheer van Straaten, und nun, bitte, stellen Sie mir Ihren Freund vor.“
Sie sagte das letzte in deutscher Sprache, die sie nicht so geläufig beherrschte wie Jan van Straaten, aber doch genügend.
Christian Jost verbeugte sich, er fühlte sich ein wenig geschmeichelt, von der jungen Frau nicht übersehen zu werden.
Die ältere Dame trat näher und nahm nach der Vorstellung mit am Tisch Platz, an dem man nun zu vieren sass. Sie war eine entfernte Verwandte Juliane ter Mers, von der sie Tante genannt wurde und bei der sie die Stellung einer Gesellschafterin einnahm. Sie hatte ängstliche Stielaugen und ein rotwangiges Porzellangesicht, das aussah, als wäre es schon einmal zerbrochen und wieder gekittet worden.
Die Stielaugen Frau Koopers schienen sich ebenfalls an Christian Jost festsaugen zu wollen, es fiel ihm unangenehm auf.
Juliane ter Mer fragte mit einer Stimme, in der es wie ein Beiklang von Leidenschaft mitschwang: „Sind Sie in Frankfurt zu Hause, Herr Jost?“
Er bejahte, und ihm war zumute, als ob die braunen Augen unsichtbare und doch fühlbare Netze nach ihm auswürfen. Was Jan van Straaten ihm vorhin über die Frau zugeraunt, war interessant, wenn es auf Wahrheit beruhte. Und warum sollte es nicht wahr sein? Warum sollte die junge Frau nicht in der Welt umherreisen, um etwas zu suchen, wenn auch niemand wusste, was. Reiche Leute können sich auch eine Verrücktheit leisten.
Vielleicht reiste Juliane ter Mer in der Welt umher und suchte nach einem besonderen Schmuckstück oder nach einem besonderen Bild, Tier oder Buch!
Der dunkle Blick, so schmeichelhaft er zu sein schien, begann ihn zu stören, und er war froh, als der Kellner auftauchte und nach den Wünschen der neuen Gäste fragte. Im Nu war er abgefertigt. Juliane ter Mer bestellte ein paar leichte Vorspeisen und zwei Gläschen Portwein.
Sie lächelte. „Wir lieben es beide nicht, abends viel zu essen, Tante nicht und ich nicht.“
Das Lächeln verlieh ihr Reiz. Sie sprach nichts mehr, liess Jan van Straaten und ihre Begleiterin sprechen. Sie ass zierlich wenige Bissen, sie nippte von dem Wein, und ihr Blick hängte sich dabei immer wieder in den Blick Christian Josts fest, der nicht recht damit fertig wurde. Das unsichtbare Netz schien ihn fester und fester in sich hineinzuziehen.
Es war ihm, als müsse er sich dagegen auflehnen und er besässe nicht die Kraft dazu. Was wollte die schöne, elegante Frau von ihm? Betrachtete sie alle neuen Bekanntschaften so eingehend? Ein bisschen peinlich war das, aber doch nicht unangenehm. So wundervolle Frauenaugen können nicht unangenehm sein.
Sie fragte: „Wohnen Sie in der Nähe des Bahnhofes, Herr Jost? Ich bin in einem Hotel gegenüber dem Bahnhof abgestiegen.“
Sie sah Jan van Straaten an.
„Wie wäre es, Herr van Straaten, wenn Sie und Herr Jost, falls Sie nicht allzu entfernt wohnen, in meinem Hotel noch eine Tasse Kaffee mit uns nähmen? Die Kapelle des Hotels spielt ausgezeichnet, ich hörte sie schon gestern abend nach meiner Ankunft. Ich war zuletzt in Strassburg und Köln.“
Christian Jost erklärte: „Ich wohne in der Altstadt, gnädige Frau.“
Sie schien über die Mitteilung erfreut.
„Oh, wie interessant! Da wissen Sie sicherlich in der Altstadt gut Bescheid und könnten mein Führer sein. Ich hörte, man dürfe sich einen Besuch der Altstadt nicht entgehen lassen, wollte man Frankfurt am Main richtig kennenlernen. Ausser dem Goethehause und dem Römer habe ich noch nicht viel von Frankfurt gesehen.“
Jan van Straaten lächelte. „Die Einladung zu einem Tässchen Kaffee in Ihrem Hotel nehmen wir gern an, ich glaube, da auch gleich für meinen Freund zusagen zu dürfen; und als Führer durch Alt-Frankfurt ist er ganz besonders zu empfehlen. Er ist in einem sehr alten Hause in einer sehr alten Gasse geboren, und das Haus gehörte schon viele Generationen vor ihm seiner Familie, es heisst das Haus zu den Lilien und befindet sich in der Nähe des Domplatzes.“
„Das ist wirklich herrlich, romantisch!“ begeisterte sich Juliane ter Mer, „bitte, Herr Jost, sagen Sie ja, zeigen Sie mir Alt-Frankfurt, und zeigen Sie mir auch das Haus zu den Lilien. Morgen schon, bitte!“
Christian Jost war es sehr unangenehm, dass Jan van Straaten so selbstherrlich über ihn verfügte. Er konnte doch die überelegante und sicher masslos verwöhnte Frau nicht in das Haus zu den Lilien bringen, in dem es stockig roch und in dem sein Vater mit Filzschuhen umherschlich, in dem der Gehilfe Hans Weigand in seiner dreisten Art, unbekümmert um andere, seine im Augenblick gedichteten Knittelverslieder sang oder Ulla Utten vielleicht gerade in der Werkstatt sass und dem Vater half.
In das Haus passte keine Juliane ter Mer.
Wenn Juliane ter Mer darauf bestand, sein Vaterhaus kennenzulernen, würde er ihr ein Briefchen ins Hotel senden und sich entschuldigen. Ausreden gab es ja genug. Vorläufig wollte er sich nicht ausschliessen, die Tasse Kaffee würde er also nicht ausschlagen.
Als man aufstand, fügte es sich wie von selbst, dass Juliane ter Mer an Christian Josts Seite blieb und das andere Paar folgte. Man machte den Weg zu Fuss, der Vorfrühlingsabend war so lind, als wäre man schon mitten im Mai. Über den Römerberg schritten sie in der Richtung, wo er nach dem Main zu abfällt, und dann gingen sie am Wasser entlang dem Hauptbahnhofe zu.
Christian fühlte sich befangen; die junge Frau an seiner Seite plauderte. Es war nichts Besonderes, was sie redete, und es genügte, wenn er ab und zu ein Wort einwarf, das seine Aufmerksamkeit bezeugte, aber von der schmalen Gestalt neben ihm kam der sanfte Duft eines fremden Parfüms, der ihn verwirrte. Plötzlich blieb Juliane ter Mer stehen, und ihre Stimme klang weich und lockend, als sie vorschlug: „Es ist noch früh, wollen Sie uns nicht gleich ein wenig Alt-Frankfurt zeigen, Herr Jost? Ich glaube, es wäre jetzt die rechte Stunde dafür.“
Der Mond spiegelte sich in dem dunklen Wasser, streute mattes Silberblinken darüber hin, und von irgendwoher hörte man Uhrenschlag.
Jan van Straaten half der Landsmännin. Er legte Christian Jost die Hand auf den Arm.
„Eine wundervolle Idee ist das. Eben ist es erst zehn Uhr, und wir können noch gut ein Stündchen durch die Hauptgassen zwischen Römer und Dom spazierengehen. Auch an deinem Hause vorbei.“
„Auch an Ihrem Hause vorbei!“ wiederholte Juliane ter Mer.
Christian Jost überlegte flüchtig und erklärte dann sein Einverständnis. Es war wohl klüger, nachzugeben, damit würde er ein für allemal davon frei sein, der Holländerin Alt-Frankfurt zeigen zu müssen.
Man machte kehrt und erreichte bald wieder den Römerberg, den die alten Häuser umstanden, die schon viele Jahrhunderte gesehen.
Mit kurzen Worten erzählte Christian Jost hier von fernen Tagen, und was der alte Platz schon alles erlebt, aber ihm war es, als höre Juliane ter Mer kaum zu, als blicke sie sich auch nicht richtig um, als sähe sie nur immer ihn an. Seine Rede wurde stockend, er fühlte seine Befangenheit und ärgerte sich darüber, er hätte am liebsten völlig geschwiegen.
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