Anny von Panhuys
Roman
Saga
Der Schwester Rache
© 1925 Anny von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711570302
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com– a part of Egmont, www.egmont.com
Margarete Römer stieg am Dönhofsplatz von der Strassenbahn. Der herbe und dennoch schon von einer ganz leichten, kosigen Frühlingssüsse durchzitterte Märzenwind hob ihr lockiges Braunhaar in neckischem Spiel, und Dr. Erich Dierssen konnte das kleine feine Ohr so recht bewundern. Wie reizvoll war das klare schmale Mädchenantlitz, wie seidenflockig das Haar! Der junge Chemiker besann sich nicht mehr, er wollte dem schönen jungen Mädel nachgehen, Gelegenheit suchen, es anzusprechen.
„Heute ist heut!“ dachte er leichten Sinnes; der Zufall hatte ihm lange kein so liebliches, liebenswertes Mädel in den Weg geführt. Seinen Besuch bei Professor Zander konnte er morgen ebenfalls machen.
Margarete Römer ging quer über den Platz und bog dann in die belebte Seydelstrasse ein. Hohe alte Häuser mit Dutzenden von Bureaus drängten sich hier zusammen zu einer Kette, die der straffe Faden Arbeit aneinanderreihte. Vor einem der Häuser blieb Margarete stehen, ihre grossen blauen Augen hefteten sich auf ein Schild, und dann trieb die heilige Scham ein dunkles Rot über die blassen Mädchenwangen. Aus tiefem Herzensbronnen entsprangen Tränen und drängten empor.
Ein schwerer, zitternder Atemzug hob Margaretes Brust, dann betrat sie festen Schrittes das Haus. Wie in einer Art von Erstarrung stieg sie die Treppe empor, und während ihre Linke sich leicht auf das schwarze, abgegriffene Geländer stützte, fühlte sie in jedem Nerv die Härte dieses Ganges.
Das schwarze Geländer schien unter ihren Fingern zu beben.
Daheim lag der tote Vater, weinte in fassungslosem Schmerz die kinderjunge Schwester, und sie ging mit den letzten Familienwertstücken, die noch von der frühverstorbenen Mutter stammten und die der Vater wie einen Schatz behütet, ins „Preussische Leihhaus“, um Geld dafür zu schaffen, damit der Vater, der geliebte Vater gut und anständig zur letzten Ruhe kommen sollte, damit er nicht im Armensarg unter der Erde zu schlafen brauchte, er, der ein Künstler gewesen und ein Idealist, ein gütiger Mensch voll von Künstlerträumen und Lebensunklugheiten.
Margarete ahnte nicht, dass ihr ein schlanker, vornehmer Herr bis ins Haus gefolgt war und ihr, als sie das kahle Geschäftszimmer des Leihhauses verlassen, weiter folgte.
In Dr. Erich Dierssen trieben mancherlei Gedanken ihr Spiel. Vor allem drängte es ihn, seine stumme Verfolgerrolle aufzugeben und das schöne junge Mädchen anzusprechen. Doch ihm, dem sonst so Kecken, gebrach es an Mut dazu; der traurige, völlig gegenwartsabwesende Gesichtsausdruck der Fremden lähmte sein Draufgängertum.
Sie war im Leihhaus gewesen: also war sie in irgend einer Notlage, brauchte Geld! Hmm — er hätte gern geholfen, aber er konnte doch nicht einfach auf sie zugehen und ihr seine Börse anbieten. So bestieg er hinter ihr wieder die Strassenbahn, blieb auf der Plattform, während sie im Innern des Wagens Platz nahm, und betrachtete heimlich das liebliche Gesicht, das den tauigen Schmelz wundersamer Mädchenreinheit trug. Unterwegs stieg die Fremde um, Erich Dierssen folgte ihr, und der Zauber, der von ihr ausging, war wie ein Netz, das sich immer dichter und dichter um ihn spann.
Draussen in Charlottenburg, in der lauten, grossstädtischlebhaften Wilmersdorfer Strasse war Margarete Römer daheim. Unfern ihrer Wohnung ging plötzlich ein hochgewachsener, schlanker Herr an ihrer Seite, ein scharfes bräunliches Männergesicht lächelte ihr entgegen und eine tiefe, werbende Stimme klang an ihr Ohr:
„Nun bin ich mit Ihnen zum Dönhofsplatz hin- und zurückgefahren, habe Sie also gewissermassen schutzengelhaft bewacht, jetzt erbitte ich mir dafür einen Blick und Ihr Versprechen, Sie wiedersehen zu dürfen.“
Lange dunkle Wimpern erhoben sich schwer und müde, tiefe dunkelblaue Augensterne blickten ihn ernst an. Ein weiches Organ, in dem ein Klang wie heimliches Weinen war, gab Antwort:
„Was wollen Sie von mir, und weshalb verfolgen Sie mich? Sie verlieren nur Zeit. Gehen Sie zu frohen Menschen! Ich bin traurig, denn gestern abend starb mein Vater, heute legt man ihn in den Sarg, morgen in die Erde.“
Ohne den unwillkürlich Stehenbleibenden weiter zu beachten, schritt Margarete vorwärts, ein grosses Haus nahm ihre Zierlichkeit auf — und Erich Dierssen starrte auf die Tür, die sie eingelassen, sann den Worten nach, die sie gesprochen und ging langsam zurück. Wie ein eiskalter Hauch aus duftenden Rosen hatten ihn die Worte aus dem Mund der schönen Fremden angeweht. Der Vater war ihr gestorben, Not hatte sie ins Leihhaus getrieben, Schmerz umhüllte die entzückende Mädchenblume und das hässliche Schleiergewebe stumpfgrauer Alltagssorge.
Armes junges Ding! dachte er mit schwacher Rührung. Er hob unternehmungslustig den Kopf. Nein, so schnell gab er das Spiel nicht verloren. Schliesslich war er ja nicht an das Heute gebunden. Die Zeit heilt Trauer und Gram, und es würden Tage kommen, wo die Augen der jungen, braunlockigen Schönen wieder heller und zuversichtlicher ins Leben blickten. Dann, ja dann — —
Erich Dierssen straffte seine Gestalt höher auf. Donnerwetter, er war doch wer, war ein hübscher forscher Kerl, gefiel den Frauen stets. Das süsse Mädel musste ihm gehören, ihr roter Mund sich dem seinen willig entgegenneigen, ihre Augen ihn anlächeln in jungem, strahlenden Liebesglück. —
Erich Dierssen kehrte noch einmal um, besah sich genau das Haus, in dem die liebliche Fremde verschwunden war, und merkte sich die Nummer. Er würde wiederkommen, bestimmt wiederkommen, zu gelegenerer Zeit. Er liebte zwar im allgemeinen das Warten nicht, aber in diesem Falle lohnte es sich, denn das schöne Mädchen hatte sein Verlangen mit brennender Sehnsucht aufgestachelt.
Und während Erich Dierssen vorwärts schritt durch die lauten Strassen, immer noch erfüllt von dem Bilde des lieblichen Mädchens, trat Margarete Römer in ein einfaches Zimmer, darin auf einer Lagerstatt ein toter Mann ruhte. Ein Mann mit feinem Gesicht und einem über den Tod hinaus festgehaltenen Lächeln der Menschenliebe.
Ein Mädchen zwischen vierzehn und fünfzehn Jahren mit rotverweinten Augen, das vor dem Toten gekniet, sprang auf und flog auf Margarete zu. Zitternde Arme streckten sich der Eintretenden entgegen, und scheu rang sich die Frage von den Kinderlippen:
„Bringst du Geld, Margarete? Brauchen wir keine fremde Hilfe, den guten Vater zu beerdigen?“
Margarete zwang ein mattes Lächeln um ihren Mund.
„Gottlob, Martha, ja, ich bringe Geld, ich erhielt für Mutters Schmuck mehr als ich erhofft. Vater soll gut schlafen gehen, gut wie ein Wohlhabender.“
„Wie schön das ist, Margarete, dass der Vater nicht wie ein armer Mann aus der Welt zu ziehen braucht! Er liebte die Schönheit ja so sehr.“
Margarete drückte die junge Schwester innig an sich, und durch ihren Sinn ging es: Vater liebte die Schönheit fast zu sehr! Die Tränen Marthas liessen ihren Schmerz neu hervorbrechen. Sich umschlungen haltend, traten beide zu dem Lager des toten Vaters und sahen nieder auf ihn, der das Leben überwunden, dieses Leben, das noch so gross und gewaltig und zukunftsunsicher vor ihnen beiden lag, gleich einem dunklen, riesigen Meer voll Untiefen und Gefahren.
Читать дальше