Anny von Panhuys
Saga
Der Heiratsschwindler Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1952, 2020 Anny von Panhuys und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726629446
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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„Lotte, ich bitte dich, lass den Kerl laufen, er ist mir einfach widerwärtig“, sagte Hans Wendel in beschwörendem Ton zu seiner Schwester, die eben ein Stenogramm des Bruders aufgenommen.
Die Geschwister führten als Erben ihrer Eltern gemeinsam die kleine Druckerei und den Haushalt weiter und vertrugen sich ausgezeichnet, bis Lotte, die zweiunddreissig Jahre alt war, einen Herrn kennengelernt hatte, der in ihren Augen das Ideal eines Mannes verkörperte.
Seitdem hatte sie allerlei Geheimnisse vor dem Bruder, und da er vier Jahre jünger war als sie und sie ihn von je ein wenig bemutterte, wagte er sich manchmal mit seiner Kritik nicht so recht an sie heran. Vielleicht war das eine sehr törichte Scheu, aber er kam nicht ganz darüber hinweg.
So sehr er die Schwester auch liebte, war sein Urteil über sie doch dadurch nicht befangen. Er wusste, Lotte war unscheinbar, war eine „kleine graue Motte“, auch die hübschesten Kleider und Hüte vermochten das nicht zu ändern.
Lotte fuhr mit der Hand über ihr krauses rotbraunes Haar, das wirklich schön war, und sie schalt erregt: „Du sollst dich nicht in meine persönlichen Angelegenheiten mischen, Hans. Ich glaube nämlich, jeder Mensch besitzt ein Selbstbestimmungsrecht, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, noch dazu in meinem Alter. Und kraft dieses Rechtes kann ich mich verlieben, in wen ich will, und den Mann, den ich mir ausgesucht habe, auch heiraten.“
„So weit bist du schon mit diesem Menschen?“ fragte er erschreckt.
„Ja, so weit bin ich schon mit diesem Menschen!“ gab sie zu, und ihre Stimme war rauh vor Zorn.
Hans Wendel, dessen Gesicht dem der Schwester unverkennbar ähnelte, nur dass seine Züge ins Hübschere übertragen waren und seinem Haar der kupferne Glanz fehlte, sah sie nicht an.
„Liebe Lotte, wenn du schon so weit mit ihm bist, dürfte nicht mehr viel dagegen zu machen sein; jedenfalls bitte ich dich, mir endlich diesen Herrn vorzustellen. Ich bin dein Bruder, und die Geheimniskrämerei, die du um den Mann machst, mag ich nicht. Dieses spätabendliche Treffen gefällt mir nicht, wie es mich auch keineswegs begeistert, dass alles so rasch gegangen ist. Hätte ich dich nicht letzthin zufällig mit diesem Menschen getroffen, wüsste ich jetzt noch nicht, was schuld daran ist, dass du dich seit einiger Zeit so auffallend verändert hast. Ich wiederhole dir, der Mann gefällt mir nicht! Er hat etwas von einem Talmikavalier an sich, er sieht zu geleckt aus.“
Sie trumpfte auf: „Er stammt aus gutem Hause, mein lieber Hans, aus sehr gutem Hause! Man merkt, du hast nicht den richtigen Blick, um Echtes von Talmi zu unterscheiden.“ Ihre Stimme wurde weich und schwingend: „Ich habe ihn lieb, und das ist doch wohl die Hauptsache.“
Er wehrte ab: „Nein, das ist nicht die Hauptsache. Es geht vor allein darum, wes Geistes Kind er ist und wie gesagt —“
Er brach ab. Schliesslich durfte er sich gegen einen Mann, den er nicht kannte und den er nur ein einziges Mal in Gesellschaft seiner Schwester in einem Berliner Bierlokal entdeckt und beobachtet hatte, nicht zu Ungerechtigkeiten hinreissen lassen.
„Wie heisst er eigentlich?“ fragte er.
Sie antwortete gewichtig und mit einem glücklichen Lächeln: „Klaus von Tannstätten. Er ist Oberingenieur gewesen und leitet jetzt in einem Vorort Stettins ein eigenes Unternehmen. Er hat hier geschäftlich zu tun.“
Hans Wendel überlegte. Er begriff nicht, dass ein Oberingenieur, der ein eigenes Werk leitete und einen klangvollen Namen trug, dem sicher die Wahl unter den schönsten Mädchen freigestellt war, sich ausgerechnet in seine zweiunddreissigjährige Schwester verliebte. Dieser Baron von Tannstätten gehörte ausserdem zu den Männern, die den Frauen leicht gefallen. Ein sogenannter Herzensbrecher war er, gross, hübsch und von zuvorkommendem Benehmen. Ihm aber war dieser Herr von Soundso auf den ersten Blick unangenehm gewesen, geradeheraus gesagt — unausstehlich. Immerhin wollte er sich nicht zu einem Urteil über jemanden hinreissen lassen, mit dem er bisher noch kein einziges Wort gesprochen hatte.
Er fragte geradezu: „Wo hast du ihn eigentlich kennengelernt, Lotte?“
Sie lächelte vor sich hin.
„Ich sah ihn das erste Mal in einer kleinen Konditorei, in der ich manchmal eine Tasse Kaffee trinke. Er sass am Nebentisch und guckte heimlich zu mir herüber; ich merkte es bald und dachte erst, mein Hut sässe schief oder ich hätte irgend etwas Komisches an mir. Schliesslich sprach er mich an. Ach, es ist nichts Besonderes gewesen, was er sagte, aber es hat mich berührt.“
Ihre schmalen, sehr hellen Augen blickten verloren ins Weite; über ihre fahle Wangenhaut zog fliegende Röte und verjüngte das unschöne Gesicht. „Er sagte, ich solle ihm nicht böse sein und mich durch seine Blicke nicht etwa belästigt fühlen, ich hätte sehr grosse Ähnlichkeit mit seiner frühverstorbenen Schwester. Er würde durch mich so stark an sie erinnert, und er müsste mich deshalb immer wieder ansehen.“
Hans Wendel erging es jetzt nicht anders, er musste Lotte ebenfalls immer wieder ansehen. Sie schien ihm mit einem Male völlig verwandelt — in ein junges glückliches Mädchen verwandelt, das von seiner ersten Liebe schwärmt.
Er verlor den Mut zu jeder weiteren misstrauischen Bemerkung und wäre sich roh vorgekommen, wenn er noch etwas von dem, das er dachte, geäussert hätte.
Er sagte lebhaft und warmherzig: „Mich soll es bestimmt nicht stören, falls du eine Frau von Tannstätten würdest, und ich will meine Abneigung gegen den von dir geliebten Mann bekämpfen und versuchen, mich mit ihm anzufreunden; aber sorge dafür, dass ich ihn recht bald kennenlerne, Lotte. Schiebe mich nicht einfach länger beiseite, als wenn ich nicht zu dir gehörte, wo es doch um dein Lebensglück geht.“ Er legte seine Rechte auf ihre im Schoss ruhenden gefalteten Hände. „Lotte, ich wünsche dir viel, viel Glück, aber diese Heimlichkeit wäre nicht nötig gewesen. Mit der soll es nun vorbei sein.“
Sie neigte zustimmend den Kopf.
„Ja, Hans, das verspreche ich dir. Doch möchte ich erst noch einmal mit ihm allein reden. Heute abend will ich ihm sagen, dass du alles weisst. Er war eigentlich dafür, dass ich dir noch nichts verraten sollte, das bisschen gemeinsame Heimlichkeit wäre so schön. Und ich fand das auch.“
Hans grübelte verwundert, wie die Liebe den Menschen zu verändern vermochte. Lotte, die nüchterne, praktische Lotte, redete wie ein blutjunges Mädchen. Er war sehr begierig, den Mann kennenzulernen, der das zustande gebracht hatte.
Und doch hatte Lotte dem Bruder keine Andeutung davon gemacht, wie sie sonst noch mit dem Geliebten stand. Etwas hatte sie absichtlich unterschlagen. Es schien ihr auch nicht besonders wichtig. Klaus von Tannstätten hatte ihr zudem auf die Seele gebunden, zu niemandem darüber zu sprechen. Er hatte ihr erzählt, dass er in augenblickliche Geldschwierigkeiten geraten sei, da er für eine Maschine, die er gegen Barzahlung gekauft hatte, einige tausend Mark mehr hätte anlegen müssen, als er ursprünglich gerechnet habe. Sie hatte ihm daraufhin Geld angeboten, das die Eltern eigens für sie gespart, und er hatte es mit vielen herzlichen Worten angenommen. Fünftausend Mark waren es. Für zwei Wochen brauchte er es nur. Wozu also erst Hans gegenüber etwas davon zu erwähnen?
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