Anny von Panhuys
Frauenroman
Saga
Der Liebe Zaubermacht Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1953, 2020 Anny von Panhuys und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726629477
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Ilma von Rauberg stand neben ihrem Bruder Norbert, und beide sahen dem eben vom Hof reitenden schlanken Manne nach, der noch einmal leicht zurückwinkte.
Ilmas Gesicht, das noch eben ein kleines Lächeln gezeigt, wandelte sich, nachdem von dem Reiter nichts mehr zu sehen war, es zeigte plötzlich einen schmerzlichen Ausdruck.
Norbert bemerkte die jähe Veränderung auf den feinen und doch kraftvollen Mädchenzügen.
„Sei doch mutig, Ilma“, sagte er leise, „laß dich nicht unterkriegen, bist doch sonst so ein tapferes Frauenzimmerchen. Nimm den Bernd, werdet glücklich, denn so wie jetzt geht doch die Geschichte nicht weiter, ihr reibt euch ja beide dabei auf.“
Ilma schluckte tapfer die Tränen hinunter und wandte, sich rasch der kleinen Freitreppe zu, die ins Haus führte.
„Laß das ruhen, Norbert! Es gibt für mich kein Überlegen mehr. Bernd soll sich endlich in das Unvermeidliche finden, ich kann und darf seine Frau ebensowenig werden, wie die irgendeines anderen Menschen auf der Welt.“
„Du liebst Bernd doch, du liebst ihn doch.“
Fast heftig klang die Widerrede des Bruders.
Ilma strich sich mit müder Bewegung das hellbraune, natürlich gelockte Haar zurück, das der Wind ein wenig gelöst hatte.
„Wollen das Thema endgültig begraben, Norbert!“ bat sie traurig und ging, als fürchte sie Widerspruch, schnell die Treppe hinauf.
„So entwischst du mir nicht, Ilma!“
Schon befand sich der Bruder an ihrer Seite.
Ilma schüttelte den Kopf.
„Du solltest klug sein. Norbert, und nicht immer von neuem gewaltsam aufrühren, was kaum ein lautes Wort verträgt. Ich will mich nicht gegen das Schicksal auflehnen.“ Sie blickte sich scheu um, ob auch niemand in der Nähe sei, ehe sie leise vollendete: „Ich habe nicht den Mut, dem alten Fluch, der über den Raubergs liegt, Trotz zu bieten.“
Norbert blickte wehmütig ernst, er nahm den Arm der Schwester und zog sie mit leichtem Zwange nach rechts, wo eine breite und doch etwas gewundene Treppe in den ersten Stock führte.
Willenlos ließ sich Ilma leiten, sie wußte, der Bruder gab sich noch nicht zufrieden, er hatte noch Einwände gegen ihren Entschluß. Er wollte sie überreden, dem Schicksal ihren Willen entgegenzusetzen.
Oben angekommen, öffnete Norbert eine der vielen in den Gang des ersten Stockwerks mündenden Türen.
„Komm, Ilma, wollen uns noch einmal aussprechen. Es ist alles so halb, was wir bisher redeten über das, was deine Zukunft, dein Glück heißt.“
Der gemütlichste und zugleich größte Raum des nicht besonders großen Herrenhauses von Rauberg tat sich vor Ilma auf. Norbert folgte der Schwester, schloß die Tür wieder.
Ilma stand einen Augenblick unschlüssig. Fast sah es aus, als wollte sie die Bibliothek sofort wieder verlassen, doch eine bittende Bewegung des Bruders hielt sie zurück.
Sie neigte den Kopf, zuckte die Achseln.
„Wenn du es nicht anders willst, Norbert.“
Sie nahm in einem Armstuhl mit breiter, hoher Lehne Platz. Das Leder war verschabt, und man vermochte kaum noch zu erkennen, daß es einmal braun gewesen.
Norbert trat an eins der Fenster, zog die schweren, dunklen Tuchvorhänge weit zurück.
Bruder und Schwester sahen sich an, beinah ein wenig scheu. Wie ein stummes Fragen und Antworten ging es zwischen ihnen hin und her.
Endlich machte der Mann dieser Pause ein Ende.
„Ilma, ich fühle mich dazu verpflichtet, dir noch einmal recht, recht herzlich und eindringlich zuzureden, Bernd Storkum zu heiraten. Der arme Kerl sieht schon ganz hager und unglücklich aus, und du leidest auch unter dem, was du deine Pflicht und Schuldigkeit nennst. Du bist doch keine bleichsüchtig hysterische Mamsell, die sich um eines Aberglaubens willen um ihr Lebensglück bringt, dich und den Menschen, den du liebhast.“
Ilm wollte sprechen. Er aber bat sie mit leichter Handbewegung, noch zu schweigen.
„Es handelt sich wirklich nur um einen Aberglauben, Ilma, um eine Einbildung, die nicht nur dir, die unserer ganzen Familie, unseren Vorfahren seit langem den Kopf verdreht hat. Ein paar Zufälle, eine Art erbliche Belastung, die zuweilen in irgendeiner Generation der Raubergs ab und zu zum Vorschein kommt . . .“
Jetzt lachte Ilma bitter auf, riß dem Bruder das Wort vom Mund.
„Wie du dich ausdrückst, Norbert, wie milde und gut das meinen Ohren klingen würde, wenn ich es nicht besser wüßte. Leider!“
Sie betonte das „Leider“ scharf, und dann sprang sie empor, stand hochaufgerichtet neben dem alten Lederstuhl.
„Stelle dich nicht lau!“ kam es leise und doch erregt aus ihrem Munde. „Spiele mir keine Komödie vor, Norbert, die dir nicht liegt! Nenne es meinetwegen Aberglauben, was dir und mir und unserem Bruder Konrad gleich einem Alpdruck auf der Brust liegt, seit wir wissend wurden. Aber sie alle, die vor uns gewesen und unseren Namen trugen, haben gebebt und gelitten unter dem alten Fluch. Man schrieb das Jahr 1638, als er sich zuerst an einem Rauberg erfüllte, und er ist seither nicht erloschen.“ Sie tat ein paar zögernde Schritte auf ein düsteres Bild an der linken Wand zu. Es zeigte einen finster blickenden Mann im Eisenharnisch mit Spitzbart und einem harten Spottzug um den Mund.
„Herr Ottomar Erhard von Rauberg vererbte uns den Fluch, er brach seinem Kaiser den Eid in den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges, noch heute müssen die Raubergs unter den Folgen seiner Untreue leiden.“
Norbert versuchte den Schatten zu scheuchen, der auf seiner Stirn lag. Es galt zwei Liebende zum Glück zu zwingen. Er versuchte zu lächeln.
„Ilma, ich glaube nicht an den Fluch. Nenne es Zufall, Vererbung, nenne es wie du willst; aber mache dich frei von der Wahnvorstellung! Du weißt, die hängende dicke Unterlippe der Habsburger ist erblich, du hast vielleicht auch schon gehört . . .“
Er kam nicht weiter. Ilmas blaßrosiges Gesicht hatte sich stärker gefärbt.
„Bitte, Norbert, wollen uns nicht selbst etwas vormachen. Wollen uns nicht gebärden wie Kinder, die sich allein im Dunklen fürchten und dann laut pfeifen und singen, um sich mutig zu zeigen. Wollen doch offen sein, uns nicht die Augen zuhalten.“
Norbert trat rasch zu ihr.
„Laß das doch, Ilma!“ Er schlug sich vor die Stirn. „Wie konnte ich dich auch gerade hierher führen?“
Ilmas Lippen zuckten.
Wo wir das Thema auch besprechen, ob in einem anderen Zimmer oder im Freien, es ist gleich, das Resultat bleibt doch dasselbe: Es ruht ein Fluch auf unserem Geschlecht. Und weil ich fürchte, daß ein Kind von mir das unselige Erbe antreten muß, werde ich ledig bleiben.“ Sie deutete auf die Ahnenbilder an der Wand. „Warum verstecken so viele Vorfahren die rechte Hand oder halten sie in merkwürdig erzwungener Stellung? Weshalb sieht man bei ihnen nicht die fünf Finger ordentlich nebeneinander wie an der linken Hand?“ Sie neigte sich dem Bruder zu. „Weshalb verbirgst du, Armer, deine Rechte, und weshalb war Vater fast immer traurig und niedergeschlagen, steckte die Rechte in die Jackentasche, damit Mutters mitleidiger Blick nicht daran festhängen sollte?“
Norbert atmete mühsam und schwer.
„Ilma, weshalb mußt du mir mein eigenes Leid so scharf umrissen vorführen, warum tastest du so hart an eine Wunde, die mich immer schmerzt?“
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