Anny von Panhuys
Liebe ist die größte Macht
Saga
Liebe ist die größte Macht Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1955, 2020 Anny von Panhuys und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726629415
1. Ebook-Auflage, 2020
Format: EPUB 3.0
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Der Gutsherr von Arnsdorf, Ferdinand von Arnsdorf, lief aufgeregt im Zimmer auf und ab. Seine Frau saß am Fenster und machte ein verstimmtes Gesicht. Inge, seine Tochter, und Waltraut, seine Nichte, drückten sich dicht an der Tür herum, als stände sie auf dem Sprunge, im nächsten Augenblick das Zimmer eilig zu verlassen.
Beide Mädchen waren sehr schön. Inge war dunkelblond. Rötliche Lichter lagen auf dem weichwelligen, gut ondulierten Scheitel, während das silberblonde Haar Waltrauts sich von Natur lockte und sich in wirrem Gestrudel um das schmale Köpfchen legte.
Inge hatte große braune Augen und eine schmale, leicht gebogene Nase; Waltrauts große Augen waren grau, die Nase war gerade, vielleicht ein wenig zu kurz. Der Mund beider aber hatte Familienähnlichkeit aufgefangen, er war scharf herzförmig geschnitten. Doch während Inges Kinn weich war und ein Grübchen zeigte, war das Waltrauts kräftig geformt.
Waltraut hatte ihre Eltern schon in ihrem achten Jahr verloren. Ihr Vater war der einzige Bruder des Gutsherrn, war Arzt in der Kreisstadt gewesen, und sie war hier, zusammen mit Inge, wie eine Tochter erzogen worden. Beide Mädchen galten im ganzen Kreise als Schönheiten, und wenn Gelegenheit dazu war, machte man ihnen den Hof. Aber gediegene ernsthafte Freier waren knapp gesät, man munkelte es schon zu laut, um Gut Arnsdorf stände es sehr schlecht, der Gerichtsvollzieher wäre dort ständiger Gast. Ferdinand von Arnsdorf, ein Mann von fünfzig, mittelgroß, sehr breit, mit derben Gesichtszügen und dickem Schnurrbart, fuhr sich mit der Rechten über das braune, schon leicht graumelierte dünne Haar.
„Ihr seid alle besessen, Weibsvolk. Wo soll ich denn das Geld hernehmen für eure Wünsche. Wir geben kein Frühlingsfest. Quatsch ist die Idee. Heutzutage ist dergleichen geradezu grober Unfug, wenn man sich das Geld dazu erst mit tausend Opfern verschaffen muß.“
Berna von Arnsdorf — sie hieß eigentlich Bernhardine — widersprach:
„Wenn man eine Tochter hat und eine Nichte mit Tochterrechten, beide erst neunzehn Jahre alt, muß man eben solche Opfer bringen oder man ist ein schlechter Vater und Onkel. Außerdem muß man es aus Klugheit tun. Herr Ulrich interessiert sich für Inge, und wenn er sich entscheidet, sind wir mit einem Male aus unserer schwierigen Lage heraus. Ein Schwiegersohn wie er, kann ohne besondere Anstrengung unser Gut schuldenfrei machen.“
Inge lächelte: „Ja, Vater, das könnte er wohl. Man sagt, er wäre unerhört reich.“
Waltraut mischte sich ein: „Du liebst ihn nicht, und es wäre sehr häßlich von dir, wenn du ohne Liebe seine Frau würdest.“
Inge erwiderte gereizt: „Du bist ja bloß neidisch, weil er mich so sehr auszeichnet!“
Waltraut wandte sich ab.
„Schäme dich, so etwas zu sagen!“
Es klopfte. Ein Mädchen kam, brachte auf kleiner Silberschale eine Besuchskarte. Herr von Arnsdorf nahm die Karte, brummte: „Wenn man den Wolf nennt, kommt er gerennt!“
Er sagte dem Mädchen Bescheid, sie solle Herrn Ulrich in das sogenannte blaue Zimmer führen, wo man Besucher zu empfangen pflegte.
„Macht euch ein bißchen zurecht“, wandte er sich an seine Damen, „ihr müßt ihm doch auch guten Tag sagen!“
Waltraut wandte leise ein: „Mich befreist du wohl von dem Gutentagsagen, Onkel. An meiner Gesellschaft liegt Herrn Ulrich ja doch nichts, und ich habe noch allerlei zu tun.“
„Mach, was du willst!“ warf ihr der Gefragte hin und ging, seinen Besucher zu begrüßen.
Frau von Arnsdorf blieb mit den Mädchen allein. Sie lächelte:
„Herr Ulrich hat sich bis jetzt selten bei uns blicken lassen, und ich weiß bestimmt, vor vierzehn Tagen auf der kleinen Abendgesellschaft bei Landrats, fiel sein Werben um dich schon auf. Er ist aber ein äußerst korrekter Mensch und fängt keine Liebelei hinter dem Rücken der Eltern an. Mir sagt eine Ahnung, er besucht uns deinetwegen, Inge.“ Sie umarmte die Tochter. „Schön wäre das! Dann kämen wir mit einemmal aus aller Bedrängnis heraus, und du würdest eine reiche Frau, eine steinreiche Frau.“
„Du darfst nicht ohne Liebe seine Frau werden!“ Waltraut stand vor Inge und sah sie bittend an. „Du würdest doch nur unglücklich und er auch. Wir brauchen ja gar nicht so nötig Hilfe. Vater verkauft Arnsdorf, und wir behalten das Vorwerk, richten uns da ein.“
Inge lachte laut auf. „Waltraut, jeder ist seines Glückes Schmied. Laß mich das meine allein schmieden. Nein, ich liebe Fred Ulrich nicht, er ist mir zu ernst oder richtiger ausgedrückt, zu langweilig, aber ich liebe auch keinen anderen, und er wirkt sehr dekorativ trotz seines bürgerlichen Namens. Laß gut sein, Waltraut! Wenn er mich will, nehme ich ihn. Ich habe es satt, daß Vater wegen jeden Kleides oder Hutes, den ich brauche, gleich Lärm schlägt, als wenn ich Unerhörtes von ihm fordere, und ich habe die ewige Angst satt, daß uns eines Tages Arnsdorf über den Kopf weg versteigert wird. Nebenbei bemerkt, bin ich ziemlich sicher, er ist meinetwegen gekommen.“
Die Mutter nickte. „Heutzutage muß man ein bißchen nüchtern denken. Es geht wohl auch ohne die große Liebe. Wer weiß denn, ob die jemals zu Inge kommt? Und dann sitzt sie da und drückt sich als Altjüngferchen herum bei fremden Leuten, falls Arnsdorf uns verlorengeht. Inge ist nur für ein gutes Leben geboren. Sie braucht Reichtum wie der Fisch Wasser. Du bist anders, trotzdem du auch schön bist und Ansprüche machen könntest. Auch möchten wir Arnsdorf halten, Joachims wegen. Der Junge ist doch wichtig. Er hängt an Arnsdorf wie an einem Heiligtum.“ Sie ermunterte: „Los! Wollen uns umkleiden. Inge, zieh dein braunes Samtkleid an! Es steht dir am besten!“
Es schien, Waltraut wollte noch etwas sagen; doch sie schwieg und verließ still das Zimmer.
Es war Frühling, und um Gut Arnsdorf blühte und grünte es wundervoll. Im Park standen die Bäume im Schmuck der frischen glasigklaren Blätter so stolz und freudig, und die Sonne lag darüber, versprühte aus unerschöpflichem Born ihr herrliches Goldgeflimmer.
Weit in den Park lief Waltraut hinein. Aber sie sah nicht das wundervolle Grün, nicht das überwältigend goldene Licht ringsum, sie lief, als wäre sie stumpf gegen all den verschwenderischen Reichtum des Frühlings um sie her, lief auf einen kleinen Pavillon zu, der ganz am Ende des Parkes auf einem Hügel stand, und dessen Rückwand, in die hohe Abschlußmauer des Parkes übergehend, wie ein Luginsland mit zwei Fensterchen weit über die Wiesen und Felder blickte bis zu den fernen Bergen.
Uralt war der Pavillon und Waltrauts Lieblingsaufenthalt. Sommersüber wohnte sie oft tagelang hier und hatte sich alles in die zwei Stuben geschleppt, was im Herrenhaus überflüssig geworden war und ihr gefiel. Sie öffnete die schmale, schwere Eichentür mit einem Schlüssel, den sie immer bei sich trug, und schob nach dem Eintreten in den kleinen Vorflur den Riegel vor. Plötzlich schluchzte sie; sie konnte das Weinen nicht länger zurückhalten, das sie quälte. Dann öffnete sie das Zimmer zur Rechten. Es enthielt nicht viele Möbel, und alle stammten aus der Rumpelkammer des Herrenhauses; aber es war anheimelnd hier unter den alten Möbeln und Bildern. Tüllgardinen bauschten sich vor dem Fenster, und ein kleiner gutgefüllter Bücherschrank enthielt Waltrauts Lieblingslektüre.
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