Anny von Panhuys
Die aus dem Hause Villalta
Kriminal-Roman
Saga
Die aus dem Hause Villalta
© 1921 Anny von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711570456
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
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Still, kühl und vornehm lag die kleine Villenstrasse, kein Atemzug der grossen Stadt drang bis in ihre Ruhe, ihren Frieden. Und doch liefen kaum zehn Minuten von hier die Hauptverkehrsadern des grossstädtischen Strassennetzes zusammen. Wenn nicht ab und zu das halbverklingende Läuten einer Strassenbahn leise herübergeklungen wäre, hätte man meinen können, sich in einem Provinzstädtchen zu befinden.
Milder Frühlingssonnenglanz übergoss mit liebevoller Wärme die kleinen, meist zweistöckigen Häuschen, die sich so anmutig inmitten der Gärten lagerten, in denen schon ein lichtes Grün an Bäumen und Sträuchern sprosste. Ganz am Ende der Strasse, in dem grössten der Gärten, der mit seinen hohen alten Bäumen fast einem Parke glich, kauerte wie ein schneeweisses braves Kätzchen eine winzige Villa, das Weiss des neuen Anstrichs leuchtete förmlich.
Doch nur die Farbe des Häuschens war neu, im übrigen sah man sofort, dass die Form der Bauart einer überwundenen Geschmacksrichtung angehörte. Kein Erker, kein Türmchen zierte das weisse Gebäude, und vielleicht gerade deshalb wirkte es so eigenartig.
Zwei Männer, Kaufleute oder kleine Beamte, gingen vorüber, ihre lauten Schritte hallten aufreizend in die Stille, und auf das Häuschen deutend, sagte der eine: „Ein reizendes Besitztum, namentlich der grosse Garten! Für unsereinen, der mit Wohnungen in Mietskasernen fürlieb nehmen muss, eine Utopie.“
Der andere lächelte: „Gewiss, — und der Reichtum der Frau, die dieses Häuschen bewohnt, ist für uns gleichfalls etwas Unerreichbares.“
„Wer bewohnt es denn?“ gab sein Begleiter fragend zurück.
„Eine Frau von Scholz, die Witwe eines Chemikers, der die Zusammenstellung einer wertvollen Farbe entdeckte und mit Hilfe eines Kapitalisten diese Entdeckung gut ausbeutete. Doch hat das viele Geld keinen besonderen Wert für ihn gehabt, da sein einziger Sohn schon mehrere Jahre vor ihm begraben wurde. In der Villa lebt Frau von Scholz, die schon eine sehr alte Frau sein soll, ganz zurückgezogen von der Welt, doch heisst es, sie täte viel für die Armen, deshalb wollen wir ihr den Reichtum gönnen,“ schloss der Auskunftgeber.
Die beiden bogen um die Ecke. — — —
Vor der Gartentür des kleinen weissen Hauses stand ein Briefträger und läutete.
Ein Mann in mittleren Jahren, halb wie ein Diener gekleidet, öffnete.
„Guten Morgen, Herr Mellner, ich habe einen Einschreibebrief für die gnädige Frau,“ sagte der Briefträger und wollte dem mit Mellner Angeredeten ins Haus folgen.
„Die gnädige Frau ist heute noch gar nicht auf, wenigstens hat sie noch nicht nach ihrer Kammerfrau geklingelt,“ meinte Mellner, der schon seit langen Jahren die Stelle eines Hausmeisters in der Villa bekleidete. „Geben Sie den Brief her, ich werde sehen, ob Frau von Scholz wach ist,“ setzte er, die Hand ausstreckend, hinzu.
„Nein, Herr Mellner, den Brief muss ich der gnädigen Frau selbst einhändigen.“
„Meinetwegen,“ brummte der Hausmeister und griff sich nach dem Kopfe, als empfinde er dort einen heftigen Schmerz. „Kommen Sie,“ er öffnete die Tür und liess den Postboten eintreten. Ihm voranschreitend, stiess er die leicht angelehnte Küchentür auf, hinter der man Frauenstimmen vernahm. „Ist die gnädige Frau noch nicht wach?“ rief er fragend in die Küche, in der seine Frau, die als Köchin im Hause bedienstet war, sich mit Lina Birndl, der Kammerfrau, unterhielt.
„Die Gnädige hat noch immer nicht geklingelt,“ antwortete die letztere und fügte besorgt hinzu: „Sie wird doch nicht etwa krank sein, denn gewöhnlich verlangt sie doch so um neun herum nach ihrem Frühstück, und jetzt ist’s bereits halb elf.“
„Da müssen Sie mal die Ungnade der Gnädigen riskieren und hinaufgehen, um nachzusehen. Uebrigens ist der Briefträger mit einem Einschreibebrief da, das gibt Ihnen einen Vorwand,“ entschied Mellner.
Die Kammerfrau ging, doch man wartete und wartete, sie kam nicht zurück. Der Briefträger begann schon ungeduldig zu werden, da machte sich endlich der Hausmeister selbst auf den Weg und stieg die Treppe hinauf. Vorsichtig drückte er die Klinke zum Wohnzimmer der Herrin nieder, und da er die Kammerfrau hier nicht fand, rief er leise ihren Namen.
Keine Antwort.
Sacht über den Teppich schreitend, horchte er an dem Samtvorhang, der den Eingang zum Nebenraum abschloss, doch kein Laut verriet ihm, dass sich jenseits des dunkelblauen Vorhanges Menschen befanden. Unheimlich war die Stille.
Wieder griff die Rechte des Mannes an die Stirn, dann zog er schnell den Vorhang zurück und seine Augen spähten in das halbdunkle Schlafgemach der Frau von Scholz. Durch die geschlossenen Läden lugten neugierig ein paar Sonnenstrahlen und schufen im Verein mit dem finsteren Zimmer ein mattes Dämmerlicht.
Da, mitten in dem nicht allzugrossen Raume, unterschieden seine Blicke endlich die Gestalt der Kammerfrau, die ohnmächtig gewesen zu sein schien und sich eben stöhnend erhob, doch ihrer nicht achtend, forschten seine Augen weiter. Er erschauerte, dort, quer über dem Bette ruhte ein Frauenkörper. Zitternd tappte der grosse starke Mann vorwärts, ohne die Kammerfrau zu beachten, auf das Bett zu. Ein erstickter Schrei entrang sich seinen Lippen, als er den Laden des neben dem Lager befindlichen Fensters aufstiess.
Das Antlitz mit den Händen bedeckend, floh die Kammerfrau.
Er bemerkte es nicht. Er fühlte die Knie unter sich wanken. Ein irrer Glanz trat in seine Augen, und plötzlich stürzte er, wie von Furien gejagt, durch das Vorzimmer die Treppe hinunter.
Ihm war’s, als umwoge ihn blutroter Nebel, mit verzerrtem Gesicht fiel er drunten auf einen Küchenstuhl, und minutenlang mühten sich seine Frau und der Postbote um ihn, sie wussten ja schon von Lina, die laut weinend das Entsetzliche verkündet hatte, was geschehen war. Und doch erzitterten sie bis ins Innerste, als er endlich bebend hervorbrachte: „Die gnädige Frau ist ermordet worden!“
„Du gütiger Heiland, so ist es wahr? Ich meinte, die Lina rede irre. Mann, um Christi willen, so nimm dich doch zusammen,“ schrie die dicke Köchin auf und schüttelte den starr Dasitzenden, seine steinerne Miene war ihr unheimlich.
Doch der schien gefühllos, seine Augen sahen weit aufgerissen ins Leere und mechanisch wiederholte er immer aufs neue denselben Satz: „Die gnädige Frau ist ermordet worden!“
Die Frau fasste zuerst einen Entschluss: „Da musst du gleich auf die Polizei,“ redete sie ihm zu, doch er hörte und regte sich nicht, als wüsste er nicht, dass Menschen um ihn waren.
Kopfschüttelnd entfernte sich der Briefträger, man sah es ihm an, dass er darauf brannte, seine Neuigkeit weiter zu tragen, während die Köchin mit einem letzten Blick auf ihren noch immer wie erstarrt dasitzenden Gatten, beflügelten Schrittes auf die nächste Polizeiwache eilte.
Die Kriminalpolizei war sofort am Tatort erschienen, mit neugierigen Augen von der Menschenmenge empfangen, die sich bereits vor der kleinen Villa angesammelt hatte. Der Briefträger hatte schnell die neueste Mär herumerzählt, und mit Windeseile war sie weiterverbreitet worden. In den belebten Hauptstrassen wurden bald Extrablätter ausgerufen, die man den Händlern beinahe aus den Fingern riss, denn das Wort „Mord“ elektrisiert die grosse Menge sofort, nun gar, wenn dieses Wort im Zusammenhang mit einer der reichsten und wohltätigsten Bewohnerinnen der Stadt gebracht wird.
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