Anny von Panhuys
Die geheimnisvolle Besucherin
Roman
Saga
Die geheimnisvolle Besucherin
© 1953 Ann von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711592168
1. Ebook-Auflage, 2017
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
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Albin Albus hatte als Vertreter einer grossen Wäschefabrik in ein sehr angesehenes, man konnte sagen „tonangebendes“ Wäschegeschäft Berlins hineingeheiratet.
Bald starben seine Schwiegereltern, dann, vor ungefähr einem Jahr, verschied auch seine junge Frau und nun lebte er mit seinem um zehn Jahre jüngeren Bruder Günter zusammen, der auf seine Kosten in Berlin Musik studierte. Sie stammten aus einem Krähwinkelort im Schwarzwald. Wie zwei Junggesellen lebten sie, und eine Wirtschafterin sorgte für den Haushalt.
Die Brüder ähnelten sich, aber die Züge des älteren verrieten Energie, manchmal eher Dickköpfigkeit; der jüngere hatte einen frauenhaft weich geschweiften Mund. Vielleicht hätte ein Menschenkenner Günter Albus für einen nicht ganz standfesten Charakter gehalten.
Es war etwas nach sieben Uhr abends, der Stunde des Geschäftsschlusses. Die Rolläden schoben sich langsam über die Schaufenster des Wäschegeschäfts von Edlow, Nachfolger Albin Albus, entzogen den Blicken der Vorübergehenden die geschmackvollen Wäschestücke, die auch das Herz einer verwöhnten Frau höher schlagen liessen. Nachtgewänder und Schlafanzüge lagen in den Fenstern, die in Mädchen und Frauen das heisse Verlangen erwecken, dergleichen tragen zu dürfen. Tageswäsche lockte, die von Feenhänden gearbeitet schien.
Das Beste und Eleganteste, was hier zur Schau ausgestellt wurde, war in der eigenen Arbeitsstube angefertigt worden, die Karola Michael seit dem Tod der jungen Frau leitete.
Sie war erst dreiundzwanzig Jahre alt, aber es ging ihr im Beruf alles spielend leicht von der Hand, so leicht wie einer, die über die Übung von Jahrzehnten verfügt. Der Vergleich passte nicht, denn Übung kann niemals Begabung voll und ganz ersetzen, Karola schien für ihren Beruf geboren. Sie entwarf lässig und schnell immer neue und schicke Modelle von Wäschestücken, stellte Stoffe und Spitzen und Stickereien so geschmackvoll und reizvoll zusammen, dass sie zu einmaligen Wunderwerken wurden.
Albin Albus wusste, was für eine besondere Könnerin seine Direktrice war, und hatte es sich schon überlegt, dass es am klügsten wäre, wenn er diese Perle für immer an sein Geschäft fesselte, indem er sie heiratete, was ihn ausser dem praktischen Beweggrund auch sonst ein ganz angenehmes Vorhaben dünkte. Denn Karola Michael war schlank und blond und auffallend hübsch.
Schon so manches liebe Mal hatte ihn ein ungestümes Verlangen, ihren frischen Mund zu küssen, beinah überwältigt, aber immer war ihm noch rechtzeitig eingefallen, er könne sich bei ihr durch Voreiligkeit schaden. Er musste eine passende Gelegenheit abwarten, um ihr zu sagen, wie er sich ihre gemeinsame Zukunft dachte.
Ja, die erstbeste passende Gelegenheit musste er dazu benützen.
Karola wollte eben als letzte die Arbeitsstube verlassen, als sich die Tür öffnete und Günter Albus hastig eintrat. Er lächelte Karola zärtlich an, sagte halblaut: „Ich konnte nicht über mich bringen, Dich ohne Abschiedskuss gehen zu lassen.“
Er trat näher und sie lächelte ihn auch an, machte ihm aber leise den Vorwurf: „Dasselbe erzählst Du mir fast jeden Abend und Du sollst doch vorsichtig sein! Ich glaube nicht, dass es Deinem Bruder recht wäre, wenn er wüsste —“
Sie verstummte. Günter Albus hatte ihren Mund mit seinen Lippen verschlossen. Er hielt die schlanke Blondine so fest in den Armen, als dächte er nicht daran, sie je wieder freizulassen.
Sie machte ein paarmal den Versuch, sich loszuwinden, aber er hielt sie fest und küsste sie weiter.
Neben der Arbeitsstube befand sich ein Raum wie ein grosses langgestrecktes Zimmer. Hier standen ein Dutzend Gliederpuppen von grosser Menschenähnlichkeit. Zwölf stumme, starre, aber sehr reizvolle Mannequins in Schlafanzügen, Nachtgewändern oder in geschmackvoller Tageswäsche hatten hier ihr Heim. Albin Albus nannte ihren Aufenthaltsort den „Ausstellungssaal“. Besonders schicke und teure Wäsche wurde hier an den schweigsamen, immer dienstwilligen Helferinnen ausgeprobt auf Sitz und Wirkung.
Junge Bräute, die sich die Leibwäsche für ihre Ausstattung anschafften, verliessen den „Ausstellungssaal“ manchmal mit Herzklopfen, so schwer war ihnen die Wahl geworden.
Jedes Wäschestück ist ein Gedicht! hatte einmal eine verwöhnte Dame vor den zwölf leblosen Vorführdamen entzückt ausgerufen. Albin Albus liess den Satz in grossen goldenen Buchstaben auf schwarzem Glashintergrund festhalten. In breitem gekehltem Rahmen von stumpfem dunklem Holz nahmen die Worte fast die halbe Wand des „Ausstellungssaales“ ein: Jedes Wäschestück ist ein Gedicht!
Durch die Tür, die von seinem Büro ins Reich der grossen Modepuppen führte, trat der Chef, und sein heller, immer kühl wirkender Blick überflog zufrieden die zwölf Getreuen. Heute nachmittag waren sie alle neu eingekleidet worden, und morgen würden wieder entzückte Ausrufe begeisterter Kundinnen das Werk loben, das die fleissige und begabte Karola Michael geschaffen hatte.
Er blieb vor einer blonden Puppe stehen, die ein loses, lachsfarbenes Morgenkleid mit der Anmut einer jungen lebenswarmen Frau trug. Es glitt ihm durch den Kopf, Karola selbst müsse in diesem Morgenkleid bezaubernd aussehen.
Er schmunzelte unwillkürlich. Es war ein reizvoller Gedanke, sich das vorzustellen, und weiter, Karola und er würden sich heiraten. Sie wären wirklich ein Paar, wie füreinander geschaffen.
Er dachte gleichzeitig vergleichend daran, dass seine Frau nur klein und ein bisschen dicklich durch ihr kurzes Leben gegangen. „Pummelchen“ war sein Kosenamen für sie gewesen. Er hatte sie sehr gern gehabt und sie aufrichtig als zuverlässigen Arbeitskameraden geschätzt. Sie hatte die Arbeitsstube oder wie sie zu sagen pflegte, das Atelier geleitet; auch sie hatte von Zeit zu Zeit ein neues Modell entworfen, aber ihr Können beruhte auf geschickter Nachahmung, ihr hatte Karola Michaels Begabung gefehlt.
Er dachte, wie schon so manches liebe Mal, es müsste schön sein, wenn Karola Michael ihren leergewordenen Platz einnähme.
Er reckte sich ein wenig gerade, und ihm war, als raune ihm eine Stimme zu: Warte nicht zu lange, sonst kommst Du zu spät mit Deiner Werbung. Eine Karola Michael bleibt nicht unbegehrt!
Er überlegte: Wahrscheinlich hielt sich Karola jetzt noch in der Arbeitsstube auf. Sie pflegte als vorletzte seines Betriebes fortzugehen. Hinter ihr schloss dann als letzter Emil Krettke, das Faktotum der Firma, genannt „der Mann für alles“, die Türen ab, um ihm danach zu melden, dass alles in Ordnung wäre.
Albin Albus lauschte unwillkürlich nach nebenan, ob sich noch jemand in der Arbeitsstube befände, und meinte, ein mattes Geräusch zu vernehmen.
Also wenn nicht Emil Krettke noch nebenan beschäftigt war, der sich im allgemeinen etwas lauter betätigte, dürfte sich Karola Michael in der Arbeitsstube aufhalten. Ein paar Worte im Sinne seines Wunsches, wollte er heute schon vorausschicken, um zu sehen, wie das Mädel diesen aufnehmen würde. Frisch gewagt, ist halb gewonnen!
Er freute sich schon darauf, Karolas vor Staunen sicher noch grösser werdende Augen zu beobachten und ihr ungläubiges, aber wohl glückliches Lächeln. Schliesslich war er nicht der Erstbeste. Er war noch jung, erst vierunddreissig Jahre, stellte etwas vor, war ein tüchtiger, angesehener Geschäftsmann, besass ein nettes Vermögen, eine elegante Wohnung im ersten Stock des eigenen Hauses und ein schickes Auto. Für Karola Michael bedeutete seine Werbung bestimmt so viel, als ob sie das Grosse Los gewänne. Vielleicht bedeutete es für ihn dasselbe, wenn Karola, woran er keine Sekunde zweifelte, seine Werbung annehmen würde.
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