Er hing an dem jüngeren Bruder, sein Vorwärtskommen lag ihm sehr am Herzen. Weg mit aller Selbstsucht und Kleinlichkeit!
Er rasierte fest darauf los, schnitt sich, schimpfte und sagte polternd: „Wenn die Bekanntschaft von gestern abend soviel für Dich bedeutet, Günter, dann freue ich mich selbstverständlich ebenfalls darüber, und um elf Uhr werde ich tüchtig den Daumen drücken, damit sich Deine kühnsten Hoffnungen erfüllen, die Du an den Besuch knüpfst.“
„Endlich sprichst Du vernünftig“, lobte Günter und ging zur Tür. „Beim Frühstück können wir uns über die Angelegenheit weiter unterhalten, ich habe eingesehen, beim Rasieren bist Du ziemlich ungemütlich.“
Beim Frühstück erfuhr Albin dann noch, dass Karl Bauers Tochter auf überraschende Weise die Bekanntschaft zwischen Günter und ihrem Vater vermittelt hatte. Der Bruder schwärmte ihm vor: „Eine junge Dame ist das, Albin, wie ich bisher noch keine gekannt habe.“ Er erklärte: „Guck mal, Albin, Augen von der Grösse hat sie!“
Er legte die äussersten Spitzen von Daumen und Zeigefinger leicht zusammen, um anzudeuten, wie gross Gisa Bauers Augen wären.
Albin empfand unwillkürlich wieder Ärger. Das Mädchen mit den grossen Augen, hatte auf Günter sofort einen überaus starken Eindruck gemacht, das war unverkennbar.
Er erwiderte gereizt: „Das müssen ja wahre Stallfenster sein!“
Günter lachte. „Beinahe! Aber die Augen sind wunderschön. Dunkel und leuchtend und klug. Die ganze Person ist ausserdem von einem so unbeschreiblichen Reiz, dass ich keine junge Dame kenne, die es auch nur annähernd mit ihr aufnehmen dürfte. Und das ohne eigentlich schön zu sein, was man im allgemeinen darunter versteht.“
Ein scharfes Wort drängte sich auf Albins Zunge, aber er sprach es nicht aus. Er wollte dem Bruder nicht unrecht tun. Schliesslich durfte Günter, auch wenn er Karola liebte, die Tochter des grossen Musikers bewundern. Noch dazu, wo er ihr die Bekanntschaft des grossen Künstlers verdankte, an den er sonst wohl nie herangekommen wäre.
Pünktlich um elf Uhr klingelte Günter Albus an der Tür des Hauses im Tiergarten. Der Diener öffnete und führte ihn sofort in das Zimmer, in dem der Flügel stand. Er sagte: „Herr Professor Bauer wird gleich kommen.“
Kaum war der Diener gegangen, da trat der Professor auch schon ein, und Günter sah jetzt bei scharfem Tageslicht, wie müde und abgespannt die Züge des kaum Fünfzigjährigen waren. Arbeit, viel Arbeit lag hinter ihm und noch vor ihm, begleitete ihn überallhin und erhielt sein Ruhmesschild golden und blank.
Nach kurzer Begrüssung nahm man Platz und Professor Bauer veranlasste Günter, von seinem Werdegang zu sprechen.
Günter Albus erzählte, er sei spät ans eigentliche Musikstudium gekommen, obgleich er schon mit zwölf Jahren als tüchtiger Klavierspieler gegolten. Er hätte erst nach dem Tod des Vaters, auf Kosten seines Bruders, seiner Neigung frei folgen dürfen. Er berichtete, dass er jetzt bei Professor Sandhut studiere, und wurde gefragt, ob er selbst schon etwas komponiert hätte.
„Eine ganze Menge“, war die rasche Antwort, „aber bei Professor Sandhut wagte ich mich nicht damit heraus. Er behauptet nämlich, alle Erstlingsarbeiten, die seine Schüler ihm bisher gebracht, wären Säuglingsgeschrei. Er ist ziemlich schroff im Umgang und Urteil und hat mir geraten: Legen Sie mir nur die Komposition vor, von der Sie felsenfest überzeugt sind, sie ist wirklich etwas, was sich anzuhören lohnt. Ich lasse meine Ohren nicht gern malträtieren!“ Günter bekannte: „Deshalb habe ich nach einigen Versuchen überhaupt keinen Mut mehr aufgebracht, ihm weitere Arbeiten vorzulegen.“
Bauer lächelte. Wie ein Schatten geisterte das Lächeln über sein Gesicht.
„Wenn ich Sie bitten darf, spielen Sie mir etwas von sich vor. Haben Sie Noten mitgebracht?“
Günter verneinte und erklärte: „Was ich komponiert habe, das steht alles fest in meinem Kopf, wie mit Notenschrift eingegraben, das spiele ich auch ohne Noten.“
Bauer glaubte ihm das sofort. Der junge Mensch hatte ihm gestern bewiesen, als er die „Uralte Legende“ nachgespielt, dass er über ein beneidenswertes Gedächtnis verfügte.
Günter nahm dann am Flügel Platz und begann zu spielen. Er empfand nicht die geringste Beengung. Die einfache Liebenswürdigkeit Bauers hatte heute überhaupt gar keine Befangenheit aufkommen lassen.
Er spielte ungefähr eine halbe Stunde lang. Bruchstücke verschiedener Kompositionen reihte er aneinander, flocht geschickte Übergänge ein und warf manchmal, wo es ihm geboten schien, ein kurzes erklärendes Wort ein.
„Genug!“ unterbrach ihn der Professor plötzlich.
Günter zog erschreckt und mitten im Takt die Hände von den Tasten. Doch der Professor sah ihn freundlich an. Er lächelte. „Warum sind Sie so verdattert, Herr Albus? Weil ich Sie unterbrach? Es blieb mir nichts anderes übrig, leider, weil ich zu einer wichtigen Besprechung muss. Nur deshalb! Im übrigen haben Sie mir genügend vorgespielt, um über Ihr Können Bescheid zu wissen. Ich karge im allgemeinen ebenfalls mit meinem Lob, aber nebenbei bemerkt, glaubte ich schon gestern abend Bescheid zu wissen, als Sie mir mein neuestes, noch so gut wie unbekanntes Werk mit ein paar Ihrer eigenen Gedanken durchflochten, vorspielten.“ Er nickte ihm zu. „Bei Professor Sandhut scheinen Sie nicht ganz am richtigen Platz zu sein.“
Er strich sich über das dichte ergraute Haar. „Wir reden noch über alles. Vielleicht morgen am Sonntag, nicht wahr? Dann habe ich etwas mehr Zeit. Kommen Sie wieder um elf Uhr, Sie können dann gleich zu Tisch bleiben. Übermorgen muss ich weiter nach Leipzig und Dresden, nach Wien und Budapest. Danach kommen vielleicht die Balkanländer an die Reihe oder London und Paris.“ Er sagte hastig: „Also auf morgen, Herr Albus, nicht wahr? Vorausgesetzt, Sie wollen mehr von mir hören.“ Er wartete keine Antwort ab, drückte Günter die Hand und liess ihn einfach allein.
Gleich darauf trat der Diener ein, und geleitete ihn, half ihm in der Diele in den Überzieher, reichte ihm den Hut.
Erst auf der Strasse, als scharfer Herbstwind ihn umwehte, begriff Günter Albus, seine Ahnung hatte ihn wohl kaum betrogen, die Ahnung, dass der berühmte Mann ihm helfen würde, vorwärtszukommen.
Er grübelte flüchtig: Warum hatte sich Gisa Bauer nicht wenigstens einen Augenblick sehen lassen? Schliesslich konnte er das nicht von ihr verlangen, aber er war richtig gespannt, ob sie sich am Abend, wie verabredet, einfinden würde. Er wagte nicht recht daran zu glauben.
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