Eine andere Stimme erwiderte: „Vor allem muß er Arnsdorf halten, besonders für deinen jungen Bruder. Vater weiß oft nicht mehr ein und aus. Also sei klug, Inge. Und dann für später den Rat: Laß Ulrich nie merken, daß du ihn nicht liebst. Alles verzeiht ein Mann seiner Art eher als das. Einer wie er will Illusionen.“
Der große Foliant zitterte in den Händen Fred Ulrichs. Er schob ihn lässig sacht wieder in die Reihe, der er ihn entnommen, ging auf den Zehenspitzen in das blaue Zimmer zurück, nahm auf dem Stuhl von vorhin Platz und tat, als hätte er sich gar nicht von hier fortbewegt, seit Herr von Arnsdorf ihn verlassen.
Der Gutsherr trat jetzt ein. Er hatte ein vergnügtes Lächeln um den dicken, braungrauen Schnurrbart hängen. Der Verkauf der Wiese war geglückt, ein für übermorgen drohender Wechsel konnte bezahlt werden.
Lächelnd kam er näher, sagte ein wenig burschikos: „So, nun wollen wir von dem reden, was Sie heute hierhergeführt, Herr Ulrich, Sie sagten vorhin, es wäre eine wichtige Sache.“
Fred Ulrich war dunkelhaarig, viel größer als Herr von Arnsdorf und war schlank. Sein scharfgeschnittenes Gesicht sah beinahe ein wenig spöttisch aus, als er aufstand und sagte: „Ich bin gekommen, um Sie um die Hand eins der bekannt schönen Arnsdorfmädchen zu bitten. Ich habe noch nicht mit ihm über meinen Wunsch gesprochen, denn ich hielt es für richtiger, mir erst bei Ihnen die Gewißheit zu holen, daß ich auch Ihnen mit einer Bitte willkommen bin.“
Ferdinand von Arnsdorf, sehr zufrieden durch den Verkauf der Wiese, erst recht in froher Stimmung durch die Gewißheit, einen der reichsten Männer der ganzen Gegend bald Schwiegersohn nennen zu dürfen, klopfte ihm auf die Schulter.
„Sie sind ein bißchen verlegen, mein Verehrtester, ich verstehe! Liebe macht befangen, wenn man noch nicht ganz genau weiß, woran man ist. Aber beruhigen Sie sich, das Mädel ahnt schon, um was es heute geht, und ich kann Ihnen verraten, sie hat sich bereits in Wichs geworfen, damit sie Ihnen das Jawort würdig geben kann. Meine Frau und ich nehmen Sie natürlich mit weitgeöffneten Armen in unsere Familie auf. Und nun wollen wir das Verfahren abkürzen, ich rufe das Mädel.“
Er war schon zur Tür hinaus, und Fred Ulrich sah ihm nach; ein scharfer Zug prägte sich um seine Lippen ein. Seinen Züge schienen hart geworden.
Gleich darauf wurde die Tür geöffnet. Frau von Arnsdorf, in schwarzem Seidenkleid, das Gesicht leicht überpudert, das dunkle Blondhaar glänzend gebürstet, trat zuerst ein. Ihr folgte in strahlender Schönheit Inge; zuletzt kam der Gutsherr.
Doch ehe jemand der drei Eingetretenen auch nur ein Wörtchen zu sagen vermochte, lächelte Fred Ulrich: „Sie verrieten mir doch eben offenherzig, lieber Herr von Arnsdorf, das Mädel ahne schon, um was es heute geht, und hätte sich bereits in Wichs geworfen. Warum kommt es dann aber nicht mit? Ich erwarte es doch voll Unruhe. Es braucht sich ja gar nicht so schön zu machen für mich; mir gefällt das Fräulein auch im einfachsten Hauskleid.“
Inge erblaßte, und der rotgeschminkte Mund sah jetzt fast zu brennend aus in dem bleich gewordenen Gesicht. Frau Berna fühlte ihre Knie wanken, und der Hausherr stieß ein wenig plump hervor: „Von wem reden Sie denn eigentlich? Meine Tochter Inge steht doch vor Ihnen.“
Inge rief heftig erregt und krampfhaft lächelnd: „Ich verstehe dich nicht, Vater! Was hat denn Herrn Ulrichs Besuch mit mir zu tun?“
Ein seltsamer Blick aus den dunklen Männeraugen traf sie.
„Natürlich, gnädiges Fräulein, Sie errieten wohl längst den Grund meines Besuches. Ich kam, um Ihre verehrten Eltern um die Hand Fräulein Waltrauts zu bitten.“
Herr und Frau von Arnsdorf wechselten einen raschen und sehr verständnislosen Blick, Inge aber, der zumute war, als hätte der schlanke Mann ihr mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, behielt Haltung. Sie konnte sogar scheinbar vergnügt lachen, und unter Lachen brachte sie hervor: „Mein Vater hat anscheinend geglaubt, Sie und ich ―“
Sie brach jäh ab, als könne sie vor Lachen nicht weiter, sagte schließlich atemlos: „Zu komisch ist das! Nicht wahr?“ Sie sah ihren Vater an. „Ich sagte dir doch erst gestern, Herr Ulrich müsse sich sehr für Waltraut interessieren, ich hätte das beobachtet.“ Sie schnippte mit den Fingern. „Ein Glück, daß Sie nicht meinetwegen kamen, denn dann hätten Sie sich einen ordentlichen Korb geholt.“
Komödiantin! dachte Fred Ulrich, aber er lächelte und wandte sich zu Frau von Arnsdorf: „Darf ich wohl hoffen, daß Fräulein Waltraut mir günstig gesinnt ist?“
Berna von Arnsdorf hatte sich schnell mit der neuen Hoffnung angefreundet. Sie nickte eifrig. „Ich glaube dessen sicher zu sein!“ Sie hatte überlegt, schließlich war es wohl ziemlich gleich, welches der beiden Mädchen die glänzende Partie machte. Da Inge ja Fred nicht liebte, würde sie über die Enttäuschung rasch wegkommen.
Sie beauftragte Inge: „Hole doch Waltraut und bereite sie vor!“
Inge ging sofort; aber Frau von Arnsdorf folgte ihr bald. Man konnte bei Waltraut nicht wissen, wie sie die überraschende Werbung aufnahm.
Die Herren unterhielten sich ein bißchen bedrückt. Es war jetzt etwas zwischen ihnen wie eine Mauer von Peinlichkeit.
Im ganzen Haus suchten Inge und ihre Mutter Waltraut vergebens. Schließlich dachten sie an den Pavillon. Inge ging neben ihrer Mutter her wie ein Automat. Sie fühlte das Bewegen ihrer Glieder wie einzelne Rucke, und ihr Gesicht war kalkweiß von der Erregung, die in ihr zurückgeblieben infolge der Enttäuschung, die sie eben erlebt — eine Enttäuschung, die sie wie eine fressende Wunde spürte. Im Hause hatte sie über die Enttäuschung kein einziges Wort verloren — aus Furcht, sich zu sehr gehen zulassen, aber als sie neben der Mutter durch den Park schritt, dem Pavillon zu, brach es wie ein Wutschrei aus ihrer Brust: „Was bedeutet das nur, Mutter? Er hat bestimmt ganz deutlich merken lassen, er wäre in mich verliebt. In mich! Und ich hatte das ganz sichere Empfinden, er wollte schon auf der Gesellschaft bei Landrats etwas zu mir sagen. Ich konnte also nur annehmen, er käme heute meinetwegen. Warum handelte er nun so befremdend, so ganz unverständlich? Nie habe ich bemerkt, daß er Waltraut besonders beachtete. Er war stets freundlich und höflich zu ihr, mich aber zeichnete er aus. Seine Blicke suchten mich immer und immer wieder.“ Sie faßte die Mutter am Ärmel. „Bleibe doch einmal stehen, Mutter, ich kann ja kaum weiter vor grenzenloser Aufregung. Sprich doch endlich, wie denkst du über das Unglaubliche?“
Berna von Arnsdorf war stehengeblieben. Sie war genauso erstaunt, ja, verblüfft gewesen über die Werbung Fred Ulrichs um Waltraut, wie Inge selbst, aber sie hatte sich schon damit abgefunden. Und so, wie sie jetzt die Dinge ansah, wollte sie alles auch der Tochter klarmachen.
Sie lächelte. „Von meiner Verwunderung habe ich mich inzwischen erholt, und da es eigentlich gleichgültig ist, ob durch dich oder Waltraut unser Gut vor dem Zusammenbruch gerettet wird, bleibt doch im Grund alles, wie es gewesen. Es ist nur ein wahres Glück, daß du dich nicht in Fred Ulrich verliebt hast.“ Sie schmunzelte: „Wenn man so aussieht wie du, findet man noch Männer genug. Wollen uns damit trösten, daß Ulrich wenigstens um eine von euch beiden angehalten.“
Inge sah die Mutter mit flackernden Augen an.
„Ganz so einfach, wie du das auffaßt und auch mir klarmachen möchtest, sieht die Sache für mich doch nicht aus. Nein, bestimmt nicht. Fred Ulrich hat mich gekränkt, hat mich schwer beleidigt. Ich mußte glauben, er wollte mich zur Frau. Denke nur an die peinliche Szene, als er vor mir stand und Waltrauts Namen aussprach. Er mußte uns allen ansehen, was wir erwarteten, und das hat er auch getan. Ich habe sogar das ganz bestimmte Gefühl, es machte ihm Freude, mich ordentlich zu demütigen.“ Sie riß am rechten Ärmel der Mutter herum. „Aber ich komme nicht dahinter, warum das alles. Er wollte mich demütigen und hat es getan, aber der Anlaß dazu ist rätselhaft.“
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