Anny von Panhuys - Irenes Liebeslied

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Ein Roman über die Sorgen und Nöte des verarmten Adels und einer jungen Frau, die nicht aufgibt: Irene von Felsen lebt in sehr einfachen Verhältnissen zusammen mit ihrer Mutter, die trotzdem nicht möchte, dass ihre Tochter Karriere als Operettensängerin macht, da sie es für eine Adlige als nicht schicklich ansieht. Zusätzlich zu den Reibereien und Geldsorgen kommen auch noch Liebeswirrungen hinzu. Doch Irene lässt sich nicht beirren, und so meint es das Schicksal schließlich doch gut mit ihr!-

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Anny von Panhuys

Irenes Liebeslied

Frauen-Roman

Saga

Irenes Liebeslied Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1950, 2020 Anny von Panhuys und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726629453

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

I

Irene von Felsen war soeben mit der Teepuppe fertig geworden, das letzte Samtschleifchen saß fest an dem breit- und steiffaltigen, roten Seidenrock, das weiße Spitzentuch kreuzte sich graziös über der Brust der Rokokodame, deren süßes Porzellangesicht unter der Puderperücke bewußt hochmütig dreinschaute.

Irene blickte kritisch auf ihr Werk nieder, das vor ihr auf dem Tisch stand, seufzte dann leise. Die Mutter, die von ihr abgewandt am Schreibtisch saß, brauchte nicht zu wissen, wie unbefriedigt sie diese Beschäftigung ließ. Die Mutter fand es großartig, daß sie sich Geld verdiente durch das Anfertigen von Teepuppen, Lampenschirmen, Kästen, und wie die verschiedenen Gegenstände noch heißen mochten, die sie auf der Kunstgewerbeschule herzustellen gelernt. Die Mutter war bescheiden geworden, freute sich über das Geld, das auf diese Weise dem engbegrenzten Haushaltungsbudget zu Hilfe kam. Und wieviel mehr hätte sie doch wahrscheinlich verdienen können, wenn die Mutter endlich zugeben wollte, daß sie ihrer Neigung folgen durfte. Wozu hatte ihr der liebe Herrgott die klare Stimme gegeben, wenn niemand sie hören sollte als die Mutter und ein paar alte Verwandte, die vor dem Wort „Theater“ drei Kreuze schlugen und die Ahnen aus ihren Gräbern heraufbeschworen ob des Wortes, sobald sie es aussprach. Lächerlich war das und rückständig!

Irene blickte fast böse auf die Puppe, die sie als Büfettschmuck für die dicke Frau Bäckermeister von nebenan geputzt hatte. Die feine, hochmütige Rokokomarquise würde sich wenig wohl in ihrer neuen Umgebung fühlen.

Sie mußte plötzlich lachen. Ein komischer Gedanke reizte sie dazu.

Die Baronin Felsen drehte sich um, die Augen in ihrem vergrämten, blassen Gesicht fragten.

Irene lachte noch immer.

„Verzeih, Mutter, aber es war so drollig, was mir eben einfiel. Ich stellte mir nämlich meine kleine Marquise hier“, sie strich zärtlich über die weißen Locken der Puppe, „auf dem Teetisch der Frau Klaußmann vor, sah zugleich eine ganze Tischrunde, denn ich kenne doch Frau Klaußmanns Freundinnen. Eine ist immer dicker und röter als die andere, und der Abstand zwischen ihnen und meiner Marquise ist zu groß. Ich weiß, sie wird von allen bewundert werden und wird sicher mehr als einmal das Kompliment hören müssen: Ach, was e schee Püppche! Aber eigentlich ist das Lästerung, denn meine Marquise war doch früher eine sehr gefeierte Dame am Hofe Augusts des Starken und hat seiner Geliebten, der Aurora von Königsmarck, sicher böse Konkurrenz gemacht. Sie ist die Hofluft gewöhnt, leises, gemäßigtes Sprechen, ist gewöhnt, bedient zu werden, und hinter ihrer glatten Stirn wohnen kluge, intrigante Pläne, sie —“

Die Baronin stand auf, trat kopfschüttelnd zu der Tochter.

„Irene, was phantasierst du denn nur alles zusammen über das kleine, starre Etwas, das unter deinen geschickten Händen allerdings ein Kunstwerk geworden ist? Unsere Zeit ist nüchtern und rauh. Es gibt keine Marquisen mehr, wie sie deine Phantasie malt. Alles ist in Geld und greifbare Werte umgewandelt, die Ideale von einst liegen auf dem Schutt oder in den Rumpelkammern. “

Sie lächelte trübe, und ihr schmales Gesicht sah dabei unendlich hochmütig aus: „Unsere Zeit ist vorbei! Glanz und Hofluft, Titel und Orden gehören der Geschichte an. Von drüben über dem Weltmeer wehte ein starker Hauch, der hat alles infiziert, nüchterne Geldmenschen modelte er, wehte fort, was uns groß und mächtig und ewig schien.“

Irene fand in diesem Augenblick eine Ähnlichkeit zwischen dem hochmütigen Gesicht der Puppe und dem der Mutter. Es war fast derselbe Ausdruck, aber auf dem Mutterantlitz störte er sie.

„Ach, weißt du, Mutter, einer toten Zeit soll man nicht nachjammern, soll sich lieber in die lebendige, neue zu finden suchen. Was ich da vorhin geredet, war ja ohne jeden tieferen Sinn, es belustigte mich nur, daß meine ,Dame der ganz großen Welt‘ ausgerechnet Frau Klaußmanns Hausgenossin wird. Im übrigen ist mir Frau Klaußmann sehr sympathisch. Sie sucht für uns immer die größten Brötchen aus dem Korb heraus, und die Torte an meinem Geburtstag war doch wirklich eine liebe Überraschung von ihr.“

„Kindskopf!“ Die Baronin nahm Irenes beide Hände, zog die hübsche, schlanke Tochter ganz nahe an sich heran. „Ist dir für eine geschenkte Torte deine Gesinnung feil? Unsereins hat doch Tradition im Blut, und wenn man auch noch so sehr bestrebt ist, der neuen Zeit Zugeständnisse zu machen, man stolpert doch immer wieder dabei. Ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll, aber ich meine, Menschen wie wir sind zu spät geboren. “

Ihre Augen blickten verloren geradeaus, blieben dann auf dem breiten Wappen am Bilderrahmen eines Herrn in schwarzer Rüstung haften. „Ich muß zuweilen denken, es geht uns wie Menschen, die zu einer Vorstellung wollen und aufgehalten werden, nur noch den tragischen Schlußakt sehen, ohne das große Stück kennengelernt zu haben. Wir sind zu spät gekommen, viel zu spät. Wir durften nur mitspielen, traten ab ohne Beifall, lautlos, und sehnen uns, sehnen uns nach dem, was vor uns gewesen.“

Nun klang ein heimliches Weinen durch die Worte.

Dem Mädchen tat die Mutter leid, die sich so gar nicht in die veränderten Verhältnisse zu fügen verstand.

Sie war anders, und hätte sie ihr Leben nach ihrem eigenen Ermessen anpacken dürfen, so würde sie mit aller Kraft, Sorge und Alltagsnot von der Schwelle dieses kleinen Heims scheuchen.

Aber die Mutter verbaute ihr den Lichtblick auf eine sorgenfreie Zukunft für sie beide durch eine hohe Mauer. Wie ein grimmiger Wächter stand vor ersehnter Zukunftssorglosigkeit die „Tradition im Blute“. Ihre schöne Stimme durfte sich nicht für Geld hören lassen, damit der Name Felsen nicht auf einem Theaterprogramm stand, sich niemand mit einer Einlaßkarte das Recht erkaufen konnte, eine Baronesse von Felsen in der Operette singen zu hören.

Selbst unter einem Künstlernamen wollte es die Mutter nicht erlauben. Aber sie hatte nichts dagegen, daß Irene Teepuppen und Lampenschirme fertigte.

„Meine Tochter schafft sich ein kleines Taschengeld!“ pflegte sie zu sagen, man tat dem Namen damit keinen Abbruch, man stand dadurch über der Situation.

Irene lächelte wehmütig. Die Mutter war wirklich recht wenig lebensklug. Die lieben Bekannten und Nachbarn waren nicht so ahnungslos, die kleine Dreizimmerwohnung, die alten, vertragenen Kleider und Hüte genügten vollkommen, jedem ein richtiges Bild ihrer Lage zu geben.

Aber über dergleichen durfte sie nicht mit der Mutter sprechen, sie würde ihr wehe tun, ohne irgendetwas zu erreichen. Wie oft hatte sie es vergebens versucht, jetzt fügte sie sich, dachte nur häufig, eines Tages würde es nicht weiter so gehen, denn man war schon beim Rest des ehedem ganz netten Kapitals angelangt.

Und wie leicht hätte man die Sorge bannen können!

Frau Leipholz, bei der sie in besseren Tagen Gesangunterricht genommen und zu der sie sich noch jetzt oft heimlich fortstahl, schalt auf den Eigensinn der Mutter, die von der Vergangenheit träumte und vor der Gegenwart die Augen schloß. Einmal war Frau Leipholz selbst gekommen, hatte der Baronin erzählt, welch große Operettensängerin ihre Tochter sein würde, doch es hätte nicht viel gefehlt, dann wäre die liebenswürdige Dame, die noch heute zu den Stützen der Frankfurter Oper zählte, von der adelsstolzen Mutter hinausgeworfen worden.

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