Das Medaillonbild der blonden Frau
Frauenroman
Anny von Panhuys
Das Medaillonbild der blonden Frau
© 1953 Anny von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711592250
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Die Schritte der beiden Männer hallten in der nächtlich stillen Straße wider. Der Ältere beeilte sich, schneller zu gehen, aber der andere blieb an seiner Seite, und beim Licht der Laternen sah Franz Wittenborn den Blick des Jüngeren in zorniger Anklage auf sich gerichtet.
„Wie lange wollen Sie denn noch so neben mir herlaufen, Sie Bauer?“ zischte der Ältere.
Heinz Hausmanns Stimme war voll Härte, als er erwiderte:
„Ich weiche nicht und werde neben Ihnen herlaufen, bis Sie mir mein Geld wiedergegeben haben. Ich erklärte Ihnen das schon mehrmals.“
Der Ältere nahm jetzt einen fast väterlichen Ton an.
„Junger Mann, wenn man, wie Sie, in Berlin den Lebemann markieren will, muß man auch mit etwaigen Folgen fertig werden. Jetzt gehen Sie ins Bett und schlafen Sie sich aus, denn mir scheint, der Alkohol trägt auch ein bißchen die Schuld an Ihrem sonderbaren Benehmen. Deshalb will ich Ihnen Ihre bisherige Frechheit auch nicht weiter nachtragen. Also gute Nacht, Freundchen!“
Er wollte seinen Weg allein fortsetzen.
Heinz Hausmann ließ sich nicht abschütteln, er ging stumm und verbissen weiter neben Wittenborn her.
Ein Weilchen herrschte Schweigen zwischen den beiden.
Endlich sagte der Ältere knirschend: „Wenn Sie jetzt nicht machen, daß Sie fortkommen, rufe ich Hilfe herbei, Sie Unverschämter!“
„Ganz wie Sie wünschen“, erfolgte die Antwort. „Ich habe nichts zu verlieren, nur zu gewinnen. Wollen Sie mich los sein, dann geben Sie mir das Geld zurück, das Sie mir im Falschspiel abnahmen, Sie Bauernfänger. Sobald ich mein Geld habe, sind Sie von meiner Begleitung frei.“
Der Ältere schaute sich um. Er bedauerte, sich kein Auto genommen zu haben. Aber der Spaziergang durch die frische Nachtluft hatte ihn gereizt.
Wie hätte er auch ahnen können, daß sich dieser ländliche Mensch mit solcher Ausdauer an seine Fersen heften würde.
Er sann auf eine Gelegenheit, ihm zu entwischen, aber sein Begleiter beobachtete jede seiner Bewegungen mit unverkennbarem Mißtrauen.
Der Küstriner Platz war überquert, dort drüben in einem der ersten Häuser der Königsberger Straße wohnte Franz Wittenborn.
Er dachte, wenn nur der dickfällige Begleiter verschwinden wollte, denn er selbst war müde, verspürte gar keine Lust mehr nach langen Umwegen.
Er blieb schroff stehen.
„Mensch, nun türmen Sie aber, sonst läuft mir die Galle über!“
Der Jüngere lachte böse.
„Sie haben falsch gespielt und mir dadurch mein Geld abgenommen. Ich verlange meine fünfhundert Mark zurück, es ist mein ganzes Kapital und ich bin stellungslos.“
„Also sind Sie ein leichtsinniges Huhn“, höhnte der Ältere, „im übrigen Schluß mit der Geschichte. Da drüben kommen Leute und wir könnten auffallen.“
„Vor einem Weilchen drohten Sie doch sogar noch, Hilfe herbeizurufen“, warf ihm Heinz Hausmann entgegen, „also schadet es auch nichts, wenn wir auffallen. Keinesfalls werden Sie mich los, bevor Sie mir mein Geld wiedergegeben haben.“
Franz Wittenborn zuckte die Achseln, ging gerade auf das Haus zu, darin er wohnte, und schloß auf.
Der andere drängte sich neben ihn, stand bereits in dem hohen Hausflur, ehe ihn Franz Wittenborns Fuß betrat.
Jetzt drohte der Jüngere.
„Wenn Sie mich nicht mit in Ihre Wohnung nehmen, mir dort mein Geld wiedergeben, rufe ich hier so laut, daß Sie ein Bauernfänger, ein Falschspieler sind, bis alle Hausbewohner zusammenlaufen. Vor allem fordere ich eine Unterredung von Ihnen.“
Der Ältere sah keinen Ausweg, wenn er einen Skandal vermeiden wollte, und stieg schweigend zwei Treppen hinauf, begleitet von dem jungen Mann, den er erst am vergangenen Abend kennengelernt hatte. Der Lichtkegel der kleinen Taschenlampe schob sich gespenstisch voraus.
Vor einer Korridortür machte der Ältere halt, er hielt die Hand mit dem Taschenlämpchen so über das Namensschild, daß der andere nicht zu lesen vermochte, was darauf eingraviert war. Er hatte sich ihm unter falschem Namen vorgestellt.
Ein langer, schmaler Korridor tat sich vor den beiden auf, dann schritt der Ältere voraus in ein mäßig großes Zimmer, das sehr verwohnt aussah, dessen Möbel aber den Stempel einer gewissen Vornehmheit trugen, wenn auch nur den einer abgeschabten Vornehmheit.
Franz Wittenborn schloß, nachdem er das Gas entzündet, die Zimmertür, warf seinen Hut auf einen mit grünem Samt bezogenen Polsterstuhl und seinen Überzieher auf den Tisch.
Sein Gesicht war voll Hohn.
„Also, junger Mann, nun sagen Sie, was Sie mir sagen wollen, und zwar rasch, denn ich bin müde. Und reden Sie ein bißchen leise, meine Tochter schläft nebenan.“
Renate Wittenborn war schon wach geworden, als sie auf dem Korridor das Schreiten von zwei Paar Füßen gehört hatte. Sie wachte immer auf, wenn ihr Vater, meist lange nach Mitternacht, nach Hause zurückkehrte, aber sie stellte sich stets schlafend, weil er sehr zornig wurde, wenn er sie noch wach fand.
Sie hob ein wenig den Oberkörper und unterschied beim Lauschen deutlich zwei Stimmen. Die ihres Vaters und eine ihr völlig fremde Stimme.
Die fremde Stimme schrie ganz laut: „Geben Sie mir meine fünfhundert Mark wieder, um die Sie Falschspieler mich betrogen haben. Ich ließ mich leichtsinnigerweise leider verschleppen zum Trinken und Spielen, aber wenn Sie ehrlich gespielt hätten, würde ich gern die Zeche für meinen Leichtsinn tragen, doch beschwindeln lasse ich mich nicht. Ich bin doch stellungslos und mir blieb nichts, mir blieb nicht so viel, um ein paar Tage Essen und Schlafen bezahlen zu können. Also, geben Sie mir mein Geld, oder wenigstens die Hälfte zurück. Wer weiß, wie lange es dauert, bis ich Stellung finde.“
Renate hörte jetzt den Vater sagen: „Das hätten Sie sich früher überlegen sollen, Bürschchen, vor allem aber beleidigen Sie mich nicht mehr, ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht falsch gespielt. Aber ein gutes Herz habe ich und deshalb schenke ich Ihnen zehn Mark. Dafür können Sie ’ne ganze Weile in einem Asyl unterkriechen, und wenn es nicht mehr zu warmem Essen reicht, schmeckt trokkenes Brot auch ganz gut.“
Er hielt dem Jüngeren einen Schein entgegen, doch das sah das Mädchen natürlich nicht.
Jetzt vernahm Renate wieder die Stimme des Fremden.
„Verspotten Sie mich nicht noch, Sie Falschspieler, das Geld, das mein ist, will ich haben!“
Renate begriff den Sinn der erregten Unterhaltung nicht, die nebenan geführt wurde.
Ihr Vater sprach jetzt leiser. Sie verstand nichts mehr. Und nun sann sie, wer wohl bei dem Vater sei und was dieser Fremde damit meinte, daß er den Vater Falschspieler nannte.
Nebenan aber ging der erregte Wortwechsel weiter, obwohl die Stimmen jetzt gedämpft waren.
Wittenborn machte eine großartige Handbewegung und erbot sich, dem unwillkommenen Besucher zwanzig Mark zu geben.
„Was soll ich denn damit“, wehrte Heinz Hausmann ab. „Aber ich will vergessen, daß Sie das Geld auf unrechte Weise an sich brachten, und bitte Sie, es mir leihweise wiederzugeben, Sie erhalten es zurück, sobald ich Stellung gefunden habe.“
„Für wie dumm halten Sie mich eigentlich?“ höhnte der Ältere. Er zog eine breite silberne Börse hervor, hielt sie hoch. „Hier drinnen stecken Ihre Fünfhundert, probieren Sie mal, da ranzukommen!“
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