Ob die Kleine Verwandte besaß, die sich ihrer angenommen hatten?
Eine schöne Mutter hatte sie besesen, eine wunderschöne Mutter.
Er zog das Bildchen hervor und strich unwillkürlich mit zärtlicher Hand über das entzückende Gesicht, das so gleichmäßig lieb lächelte, als sei das Lächeln nur ein einziger Weg der Freude.
„Wenn du mir so begegnet wärest, dich hätte ich geliebt“, flüsterte er auf das Bildchen nieder, von dem, so oft er es auch betrachtete, immer wieder jener eigentümliche, berauschende Reiz ausging, der ihn wie in einen Zauberbann zog.
Er hob die kleine Elfenbeinmalerei an die Lippen, sann verzweifelt, er hatte dem Kinde dieser liebreizenden Frau den Vater, den Beschützer genommen. Vielleicht auch das letzte Geld.
Gleichviel, ob es im Falschspiel gewonnen oder durch irgendwelche Arbeit erworben war, es handelte sich um eine ganze Menge Geld, das der kleinen Waise zugute gekommen wäre.
Als er das Bildchen an seine Lippen hob, hatte sich leise ein wenig die Tür geöffnet, Verenas dunkle Augen spähten in den Raum.
Sie war Heinz Hausmann gefolgt, getrieben von Mitleid und Güte, getrieben von einem Erbarmen, über das sie sich selbst nicht klar ward.
Der Mann hatte das Öffnen der Tür nicht bemerkt.
Verena aber erspähte das Bildchen und ein eigentümliches Empfinden durchströmte sie.
Sie beneidete sie, deren Bild Heinz Hausmann mit solcher Inbrunst küßte, und sie verschwand wieder, zog die Tür leise hinter sich zu.
Sie begab sich in ihre Kabine und in ihr war etwas erwacht, was sie vor dem heutigen Tage, was sie vor dieser Stunde noch nicht gekannt, die Eitelkeit.
Sie schloß sich ein, betrachtete sich gründlich im Spiegel.
Schön war sie nicht. Vielleicht aber hübsch, wenn sie es verstände, ihr Äußeres besser zur Geltung zu bringen.
Sie klingelte einer Stewardeß, mit der sie sich sehr gut stand, und sagte lächelnd zu ihr: „Ich möchte heute beim Ball recht hübsch aussehen, liebes Fräulein Marie, aber ich verstehe nicht, wie man das macht. Würden Sie mir dabei helfen?“
Sie hielt der Stewardeß einen Geldschein entgegen, die über das ganze Gesicht lachte.
„Natürlich helfe ich Ihnen gern, auf so etwas verstehe ich mich, und Sie sehr hübsch zu machen, ist nicht schwer, Senorita.“
Sie holte dann allerlei herbei und nun mußte Verena Saperas verschiedenes durchmachen, wovon sie bisher keine Ahnung gehabt.
Erst gab es ein Gesichtsdampfbad, dann stäubte heller Puder auf die bräunlichen Wangen nieder und die Augenbrauen wurden künstlich verlängert.
Danach ward Blau auf die Lider getupft und verrieben, die Lippen zu brennender Röte gezwungen durch einen Stift. Zuletzt ward das schwarze, straffgescheitelte Haar durch ein heißes Ondulationseisen aufgelockert zu losen Wellen. Endlich wählte die sich emsig mühende Stewardeß aus Verenas Garderobe ein dunkelrotes Seidenkleid. Sie trennte die Ärmel heraus und vertiefte mit kühner Schere den Halsausschnitt.
Als Verena sich, nachdem sie fertig angekleidet, im Spiegel beschaute, mußte sie zugeben, sie sah ganz anders aus als vorher, und die Stewardeß meinte stolz: „Man hat Sie bis jetzt kaum unter den Passagieren bemerkt, Senorita, von nun an werden sich die Herren die Augen nach Ihnen ausschauen.“
Verena dachte, daß ihr daran herzlich wenig lag, daß sie aber sehr zufrieden wäre, wenn der Mann, der das liebliche Medaillonbild so versunken geküßt, wenigstens bemerken würde, daß auch sie nicht zu den häßlichen Frauen gehörte.
Und doch, nachdem sie die Stewardeß verlassen, war sie nahe daran, das Kleid wieder abzuwerfen, ihr Haar wieder in der alten Weise zu ordnen. Es schien ihr mit einem Male töricht und aussichtslos, gegen eine Frau anzukämpfen, die sie nicht kannte.
Sie sann, weshalb hatte wohl Heinz Hausmann die schöne Blonde verlassen und was trieb ihn so weit von ihr und Deutschland fort?
Sein Zusammenzucken bei den zwei furchtbaren Silben „Mörder“ hatte sie zu deutlich gesehen.
Trieb den Mann, dem sich ihr eigenes Herz so überschnell zugeneigt, eine schwere Schuld von der schönen Blonden und aus der Heimat fort?
Und welche Schuld?
Sie kam sich in dem festlichen Kleid, mit dem geschminkten Gesicht, dem gelockten Haar wie eine schlecht zurechtgemachte Komödiantin vor. Der Mann, den ihre Gedanken umflogen wie Tauben ihren Schlag, dieser Mann litt; sie sah und fühlte es und gefiel sich doch in der Rolle des geputzten Weibchens, um ihm zu gefallen, seine Blicke auf sich zu ziehen.
Sie kämpfte mit sich. Sollte sie sich wieder umkleiden?
In diesem Augenblick klopfte es an.
Verena öffnete, Heinz Hausmann stand vor der Tür ihrer Kabine.
Er starrte sie an, als müsse er es sich erst klarmachen, daß sie es wirklich war.
Er rief betroffen: „Wie so ganz anders sehen Sie aus, Fräulein Saperas, aber —“
Er stockte. Nein, er durfte wohl nicht sagen, was sich ihm auf die Lippen drängte.
Verena ermunterte ihn: „Sprechen Sie nur frei heraus, sprechen Sie zu Ende. Ich kann eine herbe Wahrheit besser ertragen als eine schmeichlerische Unwahrheit.“
Er stand mitten im Rahmen der Tür, seine blauen Augen blickten sie treuherzig und doch ein bißchen verlegen an.
„Sie gefielen mir vordem viel besser als jetzt, Fräulein Saperas. Ich verstehe ja wohl nicht viel von dergleichen, aber ich finde, die Locken unterbrechen den metallenen Glanz Ihrer Haare. Ihr Haar ist viel schöner, wenn es glatt anliegt. Und Ihre Haut gefiel mir ohne Puder auch besser. Ihre Arme aber sind viel zu schön, um jedes dummen Gaffers Blick auf sich zu ziehen.“
Das letzte sagte er sehr leise.
Sie fühlte Freude, erwiderte rasch: „Ich werde mich sofort wieder in die alte Verena Saperas zurückverwandeln, denn ehrlich gestanden, ich gefalle mir so ebenfalls nicht.“
In seinen Augen leuchtete es auf.
„Ich kam eigentlich, um Sie zu bitten, nach dem Abendessen ein wenig mit mir an Deck zu gehen. Das Wetter hat sich beruhigt und die Sterne glänzen schon über dem Meer. Ich meine, man sollte nicht tanzen nach der Angst, die noch vor kurzem jeden verwirrt. Und zu Ihnen paßt das auch eigentlich gar nicht.“
„Weshalb, bin ich dazu zu häßlich?“ warf sie ihm scharf entgegen. Sie konnte nicht anders.
Er schüttelte lebhaft den Kopf.
„Ich weiß nicht genau, ob Sie schön oder häßlich sind, ich weiß nur, daß zu Ihnen all der Firlefanz der Durchschnittsgeschöpfe nicht paßt. Ich weiß, daß Sie klug und gütig sind und ein prächtiger Kamerad sein können, und das kleidet Sie. Ich habe an mir erfahren, daß Ihre Stimme allein wie Trost und Stärke ist, und danach sehnte ich mich vorhin. Deshalb bat ich Sie, mit mir später auf Deck zu gehen. Unter dem Sternenhimmel möchte ich Ihnen etwas erzählen, etwas beichten. Ich bin es Ihnen schuldig, und mich wird es erleichtern.“
Sie lächelte weich, ihre dunklen Augen ruhten auf seinem blassen Gesicht.
„Also ich kleide mich um, und nach dem Abendessen, wenn man im Saal über das Tanzen vergißt, daß es Stürme und Wetter gibt, treffen wir uns oben. Die Nacht unterm Sternenhimmel auf offenem Meer kümmert sich nicht um tanzende Pärchen, aber sie wird uns beiden gut tun.“
Sein dankbares Lächeln blieb bei ihr, und während sie sich umkleidete, trällerte sie ein Liedchen vor sich hin.
Als Verena nach dem Abendessen ihre Kabine abschloß, um auf Deck zu gehen, kam die Stewardeß den Gang entlang, ihr entgegen.
Sie blieb ein paar Schritte vor ihr entgeistert stehen. Ja, was bedeutete denn das? Erst ließ sich die Senorita Seperas von ihr schön machen, gab ihr dafür ein Trinkgeld, das nicht übel war, und jetzt sah sie doch wieder genau so aus wie früher.
Es sollte ein schwerreiches Mädchen sein, diese Uruguayerin, und so eine darf sich natürlich die dümmsten Launen gestatten und sie mit üppigen Trinkgeldern bezahlen.
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