Verena steckte ihren Schlüssel ein, lächelte die Stewardeß freundlich an.
„Fräulein Marie, ich habe meine Schönheit wieder abgeschüttelt, mir ist so wohler.“
Sie nickte ihr lächelnd zu, eilte vorüber und war sehr belustigt über den verblüfften Ausdruck auf dem Gesicht der Stewardeß.
Ihr war so überaus wohl zumute, seit sich ihr Haar, von Wasser und Bürste gezwungen, wieder wie ein glatter Ebenholzrahmen über Stirn und Schläfen legte, seit sie die Farben von ihrem Gesicht gewaschen.
Sie fand Heinz Hausmann an einem versteckten Platz, wo sich im allgemeinen selten jemand hin verlor und heute wohl gar nicht.
Sie saßen beide stumm ein Weilchen zusammen, und der Sturm, der zum leichten Wind geworden, strich über Verenas Wangen, die unter starkem Blutandrang brannten in der Erwartung, was ihr der Mann an ihrer Seite beichten würde.
Es tat wohl, dieses kühle Streicheln des Windes, und der starke, scharfe Meeresgeruch schien erfrischend und belebend in jede Hautpore einzudringen.
Heinz Hausmann lauschte auf das Rauschen der Wogen und ihm war es, als glitte er mit der Frau neben sich hinaus in die Unendlichkeit, weit hinaus über alle Beschränkung, die Menschenhirne ersonnen und Menschenhände geschaffen. Als seien nur diese dunkelhaarige Frau und er allein im grenzenlosen Raume und hinter ihnen beiden liege weit, weit alles das, was die Menschen einfingen in die Netze Gesetz und Strafe.
Unirdisch schien ihm alles, so völlig wesenlos, er fühlte sich frei und unbeschwert.
Furcht! Was war Furcht?
Er wollte beichten! Würde es eine Beichte werden? Eine Beichte und ein Geständnis? Oder konnte er nur erzählen, wie man ein böses, trauriges Märchen erzählt, das man einmal gelesen?
Verena wartete geduldig, sie unterbrach das Sinnen des Mannes nicht, sie hatten ja beide Zeit.
Unten im Saal hatte der Tanz begonnen. Ein Charleston klang auf, matt und gedämpft.
Verena dehnte wohlig die Glieder, die Seide ihres Mantels rieb sich leise aneinander.
Wie wundervoll, daß sie nicht zu den anderen gegangen war, zu den Tanzenden, die sich jetzt auf ihre Art amüsierten. Sturm hatte das Meer aufgewühlt in seinen Tiefen, hatte die Menschlein in Angst und Zittern gejagt, und nun die Gefahr vorüber. tanzten sie.
Und sie selbst hatte mitmachen wollen.
Hatte dadurch, daß sie sich herausputzte. einem Manne gefallen wollen, dem irgendeine große Not das Herz zusammenpreßte.
Sie glaubte das Medaillonbild vor sich zu sehen. Aus den dunklen Wogen stieg es herauf, ward groß und größer. Riesenhaft vergrößert, schien das süße Antlitz mit den herrlichsten Augen, dem flimmernden Haar, neben dem Dampfer über den Wassern herzuschweben.
Verena fühlte, wie ihre Lippen zuckten, aber der Mann ihr zur Seite wußte nichts von dem, was sie dachte und was ihr so schmerzhaft wehe tat.
Eben begann er zu sprechen.
Seine Stimme war leise und nur, weil ihm Verena nahe saß, vermochte sie ihn zu verstehen.
Heinz Hausmann erzählte von seiner Kindheit in dem märkischen Dorf, vom Tode seiner Eltern, von seinem Studium, für das er die kleine Erbschaft verbraucht, und von den zwei Jahren auf dem Gutshof des verarmten märkischen Junkers als Inspektor. Er erzählte, wie er mit seinen paar Habseligkeiten und seinen paar hundert Mark nach Berlin gefahren, wie er bei einem kleinen Abendbummel, zu dem die große lebhafte Stadt verlockte, einen liebenswürdigen älteren Herrn kennengelernt, der sich als Führer erbot. Er erzählte von einigen Gläsern Wein, die ihm der Fremde vorgesetzt, von zwei lustigen hübschen Mädchen, von einer Spielergesellschaft, und er erzählte das furchtbare Geschehnis, das sein Leben völlig aus dem Geleise gehoben.
Gleichmäßig leise, gleichmäßig ruhig fügte er Satz an Satz.
Es klang wirklich nur, als erzähle er ein böses, trauriges Märchen, das er einmal irgendwo gelesen.
Und Verena lauschte.
Ihre Hände ruhten lose gefaltet im Schoß, nichts an ihr bewegte sich, aber ihr Herz klopfte in einer Erregung, wie sie ähnliches noch niemals empfunden.
Sie litt, weil Heinz Hausmann furchtbar gelitten haben mußte, ehe er sie zur Vertrauten seiner Schuld machte.
Sie zitterte, als er von dem Medaillonbildchen zu sprechen begann, und ihre Hände preßten sich fester gegeneinander.
Und nun erfuhr sie alles, was das Bild anging, der schwere Druck wich von ihr, denn keine schöne blonde lebendige Frau stand hinter dem Bild, das er geküßt. Nur seine Phantasie begeisterte sich dafür. Ein Schatten war sie, die sie so glühend beneidet, ein Schatten, den er niemals gekannt.
Das war wie eine große, riesengroße Freude, die sie fast überwältigte.
Seine Schuld ward erdrückt von der Freude.
Und Heinz Hausmann sprach weiter.
Er erzählte, wie sehr ihn sein Gewissen gequält und wie jetzt alles so still in ihm geworden in dieser Stunde unter dem leuchtenden Sternenhimmel weit draußen auf hohem Meer.
Verena hatte ihn nicht ein einziges Mal unterbrochen. Sie hatte gefühlt, damit unterbrach sie vielleicht den Zauber der Stimmung, der den Mann so ruhig sprechen ließ von Dingen, die ihn noch kurz zuvor mit Grauen erfüllt.
Und nun schwieg Heinz Hausmann und wartete, daß Verena etwas sagen sollte.
Aber sie schwieg. Zu viel war auf sie eingestürmt, darüber mußte sie nachdenken und sinnen.
Das Schweigen dauerte lange, dauerte dem Manne zu lange.
Schon kroch die alte Angst wieder an ihn heran gleich einer hinterlistigen Schlange, bald würde sie ihm wieder den Atem abschnüren, bald war er wohl wieder der unglückliche schuldbeladene Mensch, der vor seiner Schuld floh und ihr doch nicht entrinnen konnte, weil er sie mit sich trug, wohin er sich auch wenden mochte.
Er dachte erschreckt, nun hatte er sich wohl um das Letzte gebracht, was seinem Dasein Hoffnung und Freude gegeben, um die wohltuende Freundschaft dieses ehrlichen geraden Mädchens.
O, weshalb hatte er nicht geschwiegen und es der Zeit überlassen, ihn gegen die Gewissensbisse abzustumpfen.
Er sagte mit schwankender Stimme: „Ich bin ein Narr gewesen, ein großer Narr! Verzeihen Sie mir, Fräulein Saperas, daß ich versuchte zu beichten, wo Schweigen Pflicht gewesen. Sie ekeln sich jetzt sicher vor mir, ich verstehe Sie. Ich begreife mich ja selbst nicht mehr. Aber es war so schwer, so entsetzlich schwer, allein zu tragen. Und nun ist ja auch alles gleich. Gehen Sie, bitte, zum Kapitän, erweisen Sie mir diesen Dienst, und berichten Sie ihm, hier oben auf Deck sitze ein Mörder, oder richtiger ein Mörder und Dieb, und warte auf seine Verhaftung!“
Er rief das letzte fast laut.
Verena sprang empor, legte ihm flüchtig die Hand auf den Mund.
„Um des Himmels willen, wenn Sie jemand hörte! Seien Sie vor allem ruhig, so ruhig wie vorhin, als Sie beichteten. Und was mich anbelangt, dios mio, ich denke nicht daran, mich vor Ihnen zu ekeln, Mitleid empfinde ich für Sie, großes, warmes Mitleid, denn Sie sind nicht schuldig im allgemeinen Sinne.“
Er unterbrach sie, die weitersprechen wollte, fast heftig.
„Nicht schuldig, sagen Sie, nicht schuldig?
„Ja, aber warum leide ich denn seither so entsetzlich, weshalb bin ich verdammt, das Geschehen jener Nacht immer wieder vor mir zu sehen? Weshalb?“
Sie ließ sich in den Stuhl zurücksinken.
Wie ein Hauch kamen ihre Worte zu ihm herüber über Brücken, die Erbarmen und heimliche Liebe erbaut.
„Sie handelten in Notwehr! Ein Richter würde Sie deshalb wahrscheinlich, wenn Sie alles sofort offen bekannt hätten, kaum zu hoher Strafe verurteilt haben. Vielleicht wären Sie sogar freigesprochen worden. Aber daß Sie schwiegen und die Börse mit dem Geld behielten, das erscheint mir schlimm. Man würde aus diesem Grunde heute wohl möglicherweise Raubmord annehmen. Und das wäre böse für Sie. Bedenken Sie auch, daß Sie jetzt niemand damit helfen würden, wenn Sie sich schuldig bekennen. Der Spieler, der Ihnen im Falschspiel Ihr letztes Geld abnahm, ist tot und Deutschland ist ein Land der Ordnung, ein Land guter humanitärer Einrichtungen. Sie dürfen überzeugt sein, auch wenn das Kind keine Verwandten besitzt, daß man doch für sein Wohl sorgt. Ich rate Ihnen, vorerst lange Jahre im Ausland zu bleiben und erst hohes Gras über die traurige Geschichte wachsen zu lassen. Ganz spät einmal können Sie ja Erkundigungen nach dem Mädchen einziehen lassen, ihm dann, wenn es nötig sein sollte, auf irgendeine diskrete Art Hilfe spenden. Am klügsten ist’s jetzt, nichts aufzurühren. Ich jedenfalls sehe in Ihnen überhaupt keinen Schuldigen, sondern einen Unglücklichen.“
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