Es war jetzt Spannung in seinem Blick, als er fragte: „Und wie lebt es sich in Uruguay?“
Sie schaute zum Himmel empor.
„Dort droben ist es blauer als hier und die Luft ist zitternd von wohliger Wärme.“ Ihre Augen blickten geradeaus. „Aber der Bürgerkrieg hat unser kleines, schönes Land zu oft geschüttelt. Vater sagt, der Boden wanke davon immer ein wenig. Viehzucht ist Uruguays Haupterwerbszweig, und wir Einheimischen haben spanische, portugiesische oder indianische Vorfahren. Man fragt nicht mehr so genau, wir haben die Heimat lieb, nur darauf kommt es an. Wir haben die Heimat lieb, und unter den Farben weiß-blau verbindet uns die gemeinsame Treue zu unserer engen, schönen Heimat.“
Sie hatten die Haltestelle einer Elektrischen erreicht. Die Mietskasernen begannen, die Straßenreihen erwuchsen dichter, strebten in hohen, einförmigen Häusern himmelan.
Beide waren stehengeblieben.
Er fragte: „Wollen Sie fahren?“
Sie nickte: „Ich laufe schon seit ein paar Stunden herum.“
Er dachte, vielleicht war ihr seine Begleitung nicht mehr angenehm, und als eben ein Straßenbahnwagen hielt und sie Miene machte einzusteigen, zog er grüßend den Hut.
Sie sagte nichts, reichte ihm aber die Hand.
Der Schaffner klingelte heftig ab. Da sprang sie in den Wagen.
Da erst fiel ihm ein, wie weltungewandt er eigentlich war. Er hatte sich nicht einmal vorgestellt. Und das hätte er wohl eigentlich tun müssen, das erforderte die einfache gesellschaftliche Höflichkeit.
Er stand noch immer an der Haltestelle, nachdem noch ein halbes Dutzend weiterer Elektrischen vorübergefahren, und dachte, wie schade, daß er nun wieder allein war. Die klare, ein wenig tief gefärbte Stimme der Fremden war so angenehm gewesen und hatte in ihm ein wenig die Angst zum Schweigen gebracht, die er seit der unseligen Tat mit sich herumtrug.
O, nur erst Schiffsplanken unter sich spüren, nur erst die Wogen des weiten Ozeans sehen und wissen, am Ziel des Schiffes liegt das Land, wo er mit aller Kraft, mit eisernem Willen Wurzel fassen wollte, um ein neues Leben zu beginnen.
Endlich bestieg Heinz Hausmann den erstbesten Straßenbahnwagen, es war ihm gleich, wohin er fuhr, und fand sich dann in einem alten Stadtteil, sah das pittoreske Hamburg.
Trübe Kanäle zogen an dunklen, altersmüden Gebäuden dahin, Häuser mit Lastkranen nach der Wasserseite und offenen Paternostern sah er. Er stieg aus und lief durch Gassen, die während des ganzen Tages im Dämmer lagen.
In dunklen Konturen brannte Licht, damit man arbeiten konnte.
In diesen dunklen Gassen, durch die das Wasser trüber Kanäle zog, residierte manch namhafter Kaufherr, dessen Villa und Park an der Alster einen Traum von Reichtum und schöner Ruhe träumten.
Hier herrschte das Geschäft, hier war die Arbeit Königin, auch im düsteren, fleckigen, unansehnlichen Gewande.
Heinz Hausmann kümmerte sich nicht darum, wohin sein Fuß ihn trug. Er grübelte nur der Frage nach: In welchem Lande sollte er einen Platz suchen für sich? Es war die höchste Zeit, sich zu entscheiden. Ein Zufall konnte für ihn die schlimmsten Folgen heraufbeschwören, weil er ein Mörder war, ein Mörder und Dieb.
Mehrmals streckte er die Hand nach Tageszeitungen aus. Er wollte nachsehen, was die Blätter über seine Tat zu berichten wußten.
Aber ihm fehlte der Mut, weil er fürchtete, zugleich die Gewißheit zu erhalten, daß man ihm auf der Spur sei.
Er setzte sich, um Mittag zu essen, in eine kleine Hafenkneipe. Arbeiter und Heizer aßen hier. Sie unterhielten sich in ihrem breiten Hamburger Platt, er verstand nicht viel davon.
Ein sauber gekleideter Mensch nahm an seinem Tische Platz. Er grüßte freundlich, bestellte beim Kellner Essen und redete zu Heinz Hausmann ein paar allgemeine Worte. Aus seiner Rocktasche sah der Kopf einer Berliner Zeitung hervor.
Heinz Hausmanns Blick irrte immer wieder dorthin.
Der andere bot ihm, weil er den Blick bemerkt hatte, die Zeitung an.
„Wollen Sie lesen? Es steht heute allerlei Interessantes darin. Zum Beispiel wurde vorgestern nacht in Berlin ein Mord unter ganz seltsamen Umständen begangen. Es handelt sich um eine geheimnisvolle Sache. Lesen Sie es nur selbst, es ist sehr interessant, wirklich.“
Heinz Hausmann wehrte ab.
„Nein, nein, ich lese so etwas nicht gern!“
Ihn fror plötzlich und gleich danach ward ihm siedendheiß.
Vorgestern nacht! Ein Mord unter seltsamen Umständen!
Er sah in diesem Augenblick ganz deutlich das mit verschabter Eleganz eingerichtete Zimmer, sah den Erwürgten zu seinen Füßen und hörte das Mädelchen im weißen Nachtgewande fragen: Was fehlt denn dem Vater, ist er krank geworden?
Er bestellte sich ein Glas Rum.
Ihm war mit einem Male elend und übel zumute.
Der andere lachte. „Ihnen wird wohl schon flau, wenn man von so was wie einem Mord redet?“
Heinz versuchte, Haltung zu bewahren.
„So schlimm es is nun gerade nicht, mir ist schon den ganzen Morgen flau.“
Er redete noch allerlei, zwang sich dazu, denn jählings war in ihm die Angst erwacht, der Mann neben ihm könnte vielleicht ein Kriminalbeamter sein.
Schließlich vermochte er die Nervenanspannung nicht mehr zu ertragen, er zahlte, erhob sich und grüßte.
Ihm ward leichter, als er merkte, er wurde nicht verfolgt.
Er schalt sich kindisch. Niemand dachte daran, ihn zu verfolgen, weil niemand ihn verdächtigte.
Dennoch, solange er sich auf deutschem Boden befand, würde ihn die wahnwitzige Angst quälen, ihm nicht die kleinste Ruhepause gönnen, um frei zu atmen.
Ob er sich wegen seiner Überseereise irgendwo beraten lassen sollte? Aber wer weiß, welchem Schwindel und welchen Gaunereien er da ausgesetzt war.
Uruguay! Ganz laut meinte er das Wort zu hören.
Bunte Plakate im Fenster eines Schiffahrtsbureaus lockten an, versuchten in Farben die Reize fremder Länder anzupreisen. Unter einem mächtigen Dampfer auf grellblauen Wogen las er mit riesigen Lettern das Wort Uruguay. Die Buchstaben strebten ihm förmlich entgegen und das Wort war ihm doch noch gestern so fremd und unbekannt gewesen, wie es ihm heute schon vertraut schien.
Er betrat das Bureau, ließ sich die Fahrpreise sagen, fragte allerlei und erhielt freundliche Auskunft. Er hörte, der nächste Dampfer nach Montevideo, der Hauptstadt von Uruguay, würde Mitte der kommenden Woche von Bremerhaven abfahren.
Da mußte er an die Fremde denken.
Er fragte, wann das Konsulat geöffnet sei, alle seine Papiere trug er ja bei sich.
Man antwortete ihm, wenn er sich eile, käme er noch zurecht, ehe geschlossen würde. Und er eilte sich sehr.
Vor der Tür des Konsulats traf er die Fremde wieder. Sie trat aus dem Hause, blieb stehen, begrüßte ihn wie einen alten Bekannten.
„Nun, Sie wollen doch nicht etwa auf das Konsulat für Uruguay?“
Er nickte. „Doch! Denn ich weiß ja nun, wohin meine Fahrt gehen soll. Nach Uruguay! Sie haben mir Lust gemacht, das Land kennenzulernen. Und weil ich Landwirt bin, hoffe ich dort Arbeit zu finden.“
Sie sah ihn sehr ernst an.
„War Ihr Entschluß auch nicht vielleicht übereilt? Ich möchte nicht die Schuld tragen, falls Sie vielleicht drüben bei uns im Lande nicht das Glück finden, das Sie erwarten. Sie dürfen sich nicht davon beeinflussen lassen, daß ich meine Heimat lobte.“
„Nein, nein“, versicherte er hastig. „Hoffentlich ist das Konsulat noch geöffnet?“
„Ja, es ist noch geöffnet“, gab sie zurück. Sie meinte nachdenklich: „Vielleicht macht man Ihnen aber für die Einreise Schwierigkeiten. Ich werde deshalb, wenn es Ihnen recht ist, wieder mit hingehen und erklären, Sie seien von meinem Vater durch mich engagiert, was ja, da Sie Landwirt sind, durchaus glaubwürdig ist. Ich habe mir vorhin Briefe vom Konsulat geholt.“
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