Anny von Panhuys
Frauenroman
Du bist das Glück
© 1951 Anny von Panhuys
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711570494
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
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Eine kleine Seitenpforte öffnete sich in der breiten und hohen Mauer, die das Zuchthaus umgab. Ein Auto wartete davor. Eine schlanke Dame, nach der Mode gekleidet, die man vor einigen Jahren getragen, trat zögernden Schrittes aus der kleinen Pforte, und der Beamte, der sie bisher geleitet, sagte im Dienstton, den die Jahre der Gewohnheit zu glatter Kühle poliert: „Das Auto dort wartet auf Sie.“
Er grüßte kurz, und hinter ihm schloß sich das Türlein mit leichtem Quietschen.
Der Führer des Autos stieg aus, kam auf sie zu, schüttelte den Kopf, als er die Frau willenlos mit geschlossenen Augen vor sich sah. Nicht einmal sein Näherkommen schien sie bemerkt zu haben.
Er blickte sich um; er hatte gar nicht aussteigen wollen und geglaubt, die Freigelassene würde ihm die Peinlichkeit der Situation durch schnelles Einsteigen in das Auto erleichtern.
Er rief ein wenig scharf: „Susanne, ich bitte dich, komm hier fort! Ich fühle mich hier wenig wohl. Steige ein!“
Die Augen der Frau öffneten sich, und ein müder, fremder Blick traf den vor ihr Stehenden, der groß und breit gewachsen war.
Sie atmete schwer. „Du bist selbst gekommen, mich abzuholen, Ewald! Ich danke dir.“
Sie schritt an seiner Seite auf das Auto zu, und es war, als ob sich ihr schmales Gesicht ein wenig erhellt hätte. Er zuckte die Achseln.
„Was blieb mir weiter übrig! Ich konnte doch den Schofför damit nicht betrauen, meine Schwägerin an der Zuchthaustür zu erwarten, nicht wahr? Wir kommen zum Glück erst bei vollkommener Dunkelheit daheim an.“
Susanne von Bergeners Gesicht war maskenstarr, als sie mechanisch sagte: „Du hast hoffentlich auch dafür gesorgt, daß mich niemand sieht, wenn ich dein Haus betrete.“
Er nickte. „Natürlich. Wir gehen durch den Gemüsegarten und das Treibhaus, wo uns Wanda erwartet. Wir werden dann in meinem Zimmer heute nacht Entschlüsse fassen, wie sich deine Zukunft gestalten soll.“
Ewald Förster drängte.
„Steig ein, Susanne, damit wir aus der zum mindesten unangenehmen Gegend kommen.“
Die schlanke, mittelgroße Frau antwortete nicht, aber sie folgte der Aufforderung wie einem Befehl. Kaum hatte sie im Innern des Autos Platz genommen, schoß der Wagen schon mit ihr davon. Sie bückte sich ein wenig und schaute durch die halb niedergelassene Scheibe hinaus. Sie sah nur einen Teil der Riesenmauer, aber nach einem Weilchen wurden die massigen Konturen der Zuchthausgebäude über der Mauer sichtbar.
Susanne von Bergener wandte den Blick und lehnte den verwirrten Kopf, von dem sie den Hut genommen, fest gegen die Polster. Sie war frei! Wie hatte sie seit sechs Jahren auf diesen Augenblick gewartet, wie hatte sie ihm entgegengebebt in ruheloser Ungeduld, und jetzt, wo es so weit war, empfand sie nichts als das Verlangen, wieder zurück zu dürfen in das große Haus.
Warum hatte Schwager Ewald ihr nicht die Hände entgegengestreckt, als sie so jämmerlich kaputt und müde am Pförtchen gestanden, warum hatte er nicht gesagt: „Gottlob, Susanne, daß wir dich wiederhaben! Nun wollen wir alles aufbieten, um deine Unschuld zu beweisen. Alles wollen wir daransetzen, um zu beweisen, was dir, du armes Weib, nicht gelungen ist!“
Statt dessen scheuchte er sie schnell in den Wagen, erzählte ihr, daß er sie bei vollkommener Dunkelheit in sein Heim bringen wollte.
Sie preßte die Lippen fest aufeinander. Auch ihr Kind, ihr Mädelchen, befand sich in dem Hause, das sie wie eine Diebin betreten sollte. Ein Beben ging durch ihren Körper. Sechs Jahre lang hatte sie ihr Kind nicht gesehen, drei Jahre war es damals gewesen, als man sie als Mörderin ihres Gatten zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilte und dazu noch behauptete, sie wäre nur so milde davongekommen, weil ihr Mann durch seinen leichtsinnigen Lebenswandel Grund zu höchster Erbitterung gegeben.
„Ich bin unschuldig!“ hatte sie bis zuletzt beteuert, aber niemand glaubte ihr. Sechs Jahre unschuldig im Zuchthaus! Hätte Ewald Förster eine Ahnung, was das bedeutete; vielleicht hätte er doch vorhin ein wenn auch noch so kleines, warmes Wort für sie gefunden.
Susanne Bergener blinzelte hinaus in die Landschaft, die Augen taten ihr weh. Sie hatte in den letzten Tagen und Nächten zuviel geweint. Sie sann, was nun werden sollte.
Als sich der Abend senkte, war man am Ziel. Weit draußen auf der Chaussee, abseits der kleinen Stadt, lag die Förstersche Tuchfabrik, ziemlich nahe davon das Wohnhaus im modernen Villenstil.
Das Auto hielt. Ewald Förster öffnete die Gartentür vor der schlanken Frau, flüsterte: „Geradeaus, du erinnerst dich natürlich noch des Weges.“
Es war nicht so vollkommen dunkel, daß man nichts hätte unterscheiden können. Susanne Bergener sah deutlich die Treppe, die hinauf in das Treibhaus führte. Man durchschritt es, dann öffnete sich eine Tür vor ihr, Lichtschein strömte ihr entgegen. Man war jetzt in einem kleinen Wintergarten. Susanne begrüßte die Helle wie etwas Angenehmes, Wohltuendes.
Eine kleine, üppige Frau von vielleicht dreißig Jahren stand inmitten der Helle und blickte ihr mit befangenem Gesicht entgegen. Es war, als wollte sie auf sie zustürzen, und ließ es dann doch. Vielleicht zwangen sie die warnenden Augen ihres Mannes, auf dem Platz zu verharren, wo sie stand.
Susanne aber bemerkte das Zögern der anderen gar nicht, mit leichten Schritten näherte sie sich ihr. Sie dachte jetzt an nichts weiter als an das Glück, die Schwester vor sich zu sehen.
„Wanda!“ Wie ein Schrei löste es sich von ihren Lippen, und sie breitete die Arme aus und zog die um einen halben Kopf kleinere an ihr Herz.
Wanda Förster schluchzte laut auf.
„O, Susanne, liebe, liebe Susanne, daß es so kommen mußte! Du tust mir schrecklich leid! Aber wir alle sind bemitleidenswert, denn, wie, um des lieben Himmels willen, soll jetzt deine Zukunft werden?“
Susanne konnte sogar lächeln. Ihr war ein wenig wohler und leichter geworden, seit sie die um ein Jahr jüngere Schwester im Arme hielt.
„Ach, Wandachen, das wird sich alles finden, vorerst bin ich froh, hier gelandet zu sein, und jetzt wollen wir keine Zeit verlieren, bitte, führe mich zu meinem Kinde! Jede Minute ist kostbar.“
Wanda Förster sah ihren Mann stumm fragend an, und Ewald Förster sagte ausweichend: „Du mußt dich noch etwas gedulden, Susanne. Das Mädel schläft jetzt, und es ist nicht gut für Kinder, wenn man sie aus dem Schlaf reißt.“
Susanne Bergener sah ihn groß an.
„Nicht einmal, wenn die Mutter heimkehrt ins Leben nach sechs langen Jahren? Wenn Marlene wüßte, ihre Mutter ist hier, um sie zu küssen, würde sie gerne ein bißchen Müdigkeit dafür in Kauf nehmen.“ Sie faßte den Arm der Schwester. „Hast du es ihr denn nicht mitgeteilt? Weiß sie denn nicht, daß ich heute komme?“
Die kleine, mollige Frau antwortete nicht, und langes Schweigen senkte sich auf die drei Menschen herab.
Ewald Förster unterbrach es: „Wir wollen nebenan in mein Zimmer gehen, da legst du erst einmal ab, und dann essen wir eine Kleinigkeit und reden über alles.“
Susanne Bergener folgte den beiden stumm.
Sie blickte sich in Ewalds Zimmer um. Es sah hier noch genau so aus wie vor sechs Jahren, nichts hatte sich verändert. Der Tisch in der Mitte des Zimmers war gedeckt. Aber es stand nur kalter Aufschnitt darauf, Brot und Butter, dazu eine Flasche Rotwein. Susanne Bergener dachte bitter, es war alles so arrangiert, damit niemand von den Dienstboten ins Zimmer zu treten brauchte. Warme Speisen hätten erst aufgetragen werden müssen.
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