Heinz Hausmann lauschte fast gierig, und was Verena sprach, legte sich wie Balsam auf sein wundes Herz, auf sein zerrüttetes Gemüt.
Heiße Dankbarkeit quoll in ihm hoch. Wie ein wirklicher Freispruch klang es ihm: Ich jedenfalls sehe in Ihnen überhaupt keinen Schuldigen, sondern einen Unglücklichen!
Seine Rechte tastete sich vor, langte nach der einen Hand Verenas, die er mit einer so inbrünstigen Dankbarkeit küßte, daß sie erschauerte. Sie fühlte ein paar Tränen auf ihren Handrücken niederfallen.
„Aber ich bitte Sie, erregen Sie sich nicht so sehr, ich bitte Sie herzlich.“
Sie sagte es weich und mütterlich.
„Es gibt kein Wort, mit dem ich Ihnen danken könnte“, sprang es ihm über die Lippen, „das beste und schönste Wort ist zu inhaltslos dafür.“
Sie lächelte glücklich, und er sah, als er den Kopf hob, in dem halben Lichte ihr ein wenig scharf geschnittenes Gesicht wie von einer wundersamen Verklärung überhaucht.
Staunend bemerkte er es.
Welche Wandlung war mit diesen herben Zügen vorgegangen?
Ihm schien es, daß Verena Saperas eigentlich doch schön war, von einer seltenen, eigenartigen Schönheit.
Von ganz nahe schauten sie einander in die Augen.
Heinz Hausmann erhob sich jäh von seinem Stuhle. Er durfte jetzt nicht seinem ihn beinahe überwältigenden Dankbarkeitsempfinden nachgeben, nicht seiner Stimmung, die ihn zu Füßen Verenas niederzwingen wollte.
Wie gerne wäre er vor ihr niedergekniet und hätte den Kopf in ihren Schoß gebettet, wie ein armes verirrtes Kind, das sich endlich heimgefunden.
Verena war verwirrt. Weshalb hatte sich Heinz Hausmann so plötzlich erhoben, welcher Gedanke hatte ihn so schroff emporgerissen?
Er stand in unschlüssiger Haltung und als er ein paar Schritte machte, die ihn von ihr entfernten, durchschoß sie eine wilde, wahnwitzige Angst.
Gleich darauf stand sie neben ihm, warf ihre Arme von rückwärts um seinen Hals.
„Du darfst dir nicht das Leben nehmen! Wenn du es schon fortwerfen willst, dann schenke es mir, denn ich habe dich lieb!“
Heinz Hausmann ließ sich umschlingen und ihm war es, als müsse er den Atem anhalten, um die Illusion dieses Traumes nicht zu zerreißen. Denn nur ein Traum spielte mit ihm, gaukelte ihm ein Glück vor, auf das ein Mensch wie er kein Anrecht mehr besaß.
Verenas Arme sanken langsam nieder. „Verzeihung, ich —“ Ihre Stimme schwankte. „Ich wollte, eigentlich, ich —“
Sie schwieg, die Scham überwältigte sie, weil sie gar so impulsiv der Regung ihres Herzens gefolgt war.
Heinz Hausmann aber dachte: Nun ist der Traum zu Ende!
Er sagte leise, wie zu sich selbst: „Zu schön war das eben, viel zu schön. O, wäre es wahr, hätte ich es glauben dürfen!“
Sie jauchzte laut: „Ich habe dich lieb, du!“
Er zog sie an sich, scheu und sanft, als getraue er es sich nicht recht.
Sie lachte fast übermütig.
„Mich darfst du schon ein bißchen fest anfassen, bin doch meines Vaters bester Vaquero. Weißt du, das ist was Ähnliches wie in Texas oder anderen Ländern der amerikanischen Südstaaten ein Cowboy.“
Sie schmiegte sich an ihn und er küßte sie innig.
Lange lag Lippe auf Lippe unter dem funkelnden Sternenhimmel auf hoher See.
Gedämpft erklang ein Swing. Unten im Saale wippte und stelzte, knickste und schlenderte man nach dem wirren Takt, absolvierte alle die Tänze, die für die Menschen weichgliedriger Rassen paßten, vergaß, daß man einmal schöne eigene Tänze besessen, die ihnen niemals ein Neger vorgetanzt. Mit Swing und Rumba dankte man dem Himmel, daß die Sturmgefahr vorüber.
Aber auf Deck standen zwei Menschen engumschlungen und Verenas Saperas sagte voll bebender Seligkeit: „Wir wollen Gott danken, daß er den Sturm bald beschwichtigte, weil wir nun leben dürfen füreinander.“
Sie hob ihr Antlitz den Sternen zu, und auch der Mann, der sie im Arme hielt, wandte den Blick nach oben, wo zu Ehren des Weltschöpfers Millionen heller Kerzen flammten und über den dunklen Ozean strahlten.
Die Wogen rauschten stark und eintönig ihren machtvollen uralten Sang, der Hauch der Unendlichkeit umfing die beiden Menschen und sie drängten sich dichter aneinander, erschauernd vor der Allgewalt der Schöpfung, in der es Sterne und Meer und das Schönste, das Herrlichste gab: Die wundervolle Menschenliebe zwischen Mann und Weib.
Der Dampfer näherte sich Montevideo, als Heinz Hausmann Verena fragte: „Wie meinst du nun, mein Lieb, daß alles zwischen uns werden soll? Du willst mir Stellung verschaffen, was ich mit Dank annehme, aber hoffentlich besteht doch die Möglichkeit, daß wir uns von Zeit zu Zeit sehen können?“
„Natürlich, ich werde es schon einrichten“, gab sie lächelnd zurück, „aber von unserer Liebe darf noch niemand etwas merken, denn es könnte dir und mir schaden. So derb und wirklichkeitsliebend unsere Pamperos auch die meisten Dinge auffassen, in der Beziehung sind sie alle ein bißchen spanisch empfindlich. Nenne es meinetwegen zimperlich.“
Sie standen beide an der Reeling und Verenas Augen flogen weit über die Wogen.
„Mit Tieren weißt du ja Bescheid, und wie es im allgemeinen auf den Estanzias gehalten wird, das mußt du eben lernen. Ich werde mit dem Vater von dir reden, natürlich ohne dabei unsere Liebe zu erwähnen, und er hat viele Freunde und Bekannte, von denen dich sicher einer aufnehmen wird. Alles Weitere wird sich dann finden! Vorerst ist es am besten, du bleibst in Montevideo. Ich kann dir dort eine nette, billige Pension empfehlen, unfern vom Hafen. Der Besitzer, Senjor Pablo Lopez, spricht auch deutsch und das ist für dich vorläufig sehr wichtig. Dorthin, in die Pension, gebe ich dir Nachricht, sobald ich kann.“
Sie sah ihn forschend an, fand ihn gedrückt und traurig aussehend.
„Was ist dir, Heinz?“ fragte sie besorgt. „Gefallen dir meine Vorschläge nicht? Ich vermag dir jetzt leider keine anderen zu machen, ich muß erst beim Vater sondieren. Überlasse mir nur alles, es wird schon gut gehen, aber ich darf mir doch nicht gleich offiziell einen Bräutigam mitbringen.“
„Ich sehe das ja alles ein“, gab er zurück, „aber jetzt, so dicht vor dem Abschied, überfällt es mich wieder mit Zentnerschwere, wie klein und unbedeutend ich gegen dich bin. Was und wer bin ich? Ein Nichts, ein Niemand! Euer geringster Vaquero weiß wahrscheinlich viel mehr als ich von dem, was man in eurem Lande von mir verlangen wird.“
„Warte das nur erst ab“, entgegnete sie lächelnd, „es ist ja alles nicht so schlimm und schwer, was man mit Lust und Liebe beginnt! Mußt nur immer daran denken, wenn du durch Arbeit etwas vorwärts gekommen, können wir uns heiraten. Vater hat oft gesagt, ich dürfte heiraten, wen ich wolle, aber es müßte ein Mann sein, der auf einer Estanzia gründlich Bescheid weiß, es müßte einer sein, dem er einmal gern seinen Platz einräumt.“
Heinz Hausmann sah sie ernst an.
„Wenn ich dich nur zuweilen sehen darf, dann wird mir das Ungewohnte leicht werden. Ach, mit dem bescheidensten Plätzchen würde ich zufrieden und glücklich sein in deiner Nähe.“ Er senkte den Kopf. „Fern von dir, fürchte ich, wird die grauenvolle Angst wiederkommen, die sich in deiner Nähe gar nicht heranwagt.“
Sie lächelte ihm beruhigend zu. „Ich möchte dich ja auch gern in meiner Nähe haben und will versuchen, es zu ermöglichen. Aber merke dir vor allem das eine, liebster Heinz: wenn du mit jemand von mir sprichst oder nach mir gefragt wirst, dann haben wir uns erst zufällig auf dem Schiffe kennengelernt. Und wenn wir uns in Gegenwart anderer wiedersehen, versprich dich nicht, nenne mich nicht etwa ‚du‘. Denke auch daran, daß mein Vater fast so gut deutsch spricht wie ich. Die Frau unseres toten Obercapataz, die ich nach Deutschland brachte, hat es ihm und mir in langen Jahren beigebracht.“
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