Er war in ihrer Nähe verwirrt; der sanfte, fremde Wohlgeruch, der ihren Kleidern entströmte, die Augen, die sich zuviel mit seinem Gesicht beschäftigten, verwirrten ihn.
Er ging dann weiter neben ihr her, wies zuweilen auf ein Haus, an dem sie vorbeikamen, und nannte die Namen der Strassen und Gassen. Es war nicht besonders hell in der Gegend, und ein paarmal drängte sie sich ganz nahe an ihn heran, als fürchte sie, es könne aus einer der überschmalen Seitengassen, die hier einmündeten, eine jener mittelalterlichen Rotten hervorstürmen, die einstens die Kaufmannswagen samt Geleit vor den Toren der alten Mainstadt überfallen und von denen Christian Jost vorhin auf dem Römerberg erzählt hatte.
Ihre Nähe störte Christian, und zugleich schmeichelte es ihm, dass die schöne, reiche Frau ihm deutlich zeigte, dass er ihr gefiel.
Wie still es ringsum war! Ein Brunnen, auf dem eine Heiligenfigur stand, rauschte leise, eine Gasse endete, ein Platz öffnete sich vor ihnen, der Domplatz. Auch hier hatte Christian Jost das Gefühl, als höre Juliane ter Mer kaum zu, was er von dem Dome erzählte, als lausche sie nur seiner Stimme und nicht dem Sinn der Worte.
Sie gingen weiter und betraten die Gasse, in der er wohnte.
Jan van Straaten sagte wichtig: „Hier ist mein Freund daheim, gleich werden wir das Haus zu den Lilien erreicht haben.“
Am Nebenhause befand sich ein eiserner Arm mit einer Laterne, ihr Schein umschmeichelte Christian Josts Vaterhaus, zog es in Helle und Klarheit; kein anderes Haus hüben und drüben hob sich so deutlich aus dem schon nächtlichen Dunkel der Gasse hervor. Man konnte deutlich die Lilien in dem alten Wappen erkennen.
Juliane ter Mer zeigte hinauf.
„Führt Ihre Familie das Wappen, Herr Jost?“ fragte sie.
Er schüttelte den Kopf und erzählte, was er von der Geschichte des Wappens und des Hauses wusste, in dem er geboren war.
Sie hörte jetzt aufmerksam zu, er wunderte sich darüber; sein Vaterhaus schien sie mehr zu interessieren als der Römer und der Dom.
Plötzlich sagte sie wie zu sich selbst, und doch hörten es alle: „Es ist ein Wunder!“ Und dabei sah sie Christian Jost an, als befände sie sich allein mit ihm.
In der nächsten Sekunde lächelte sie. „Jetzt wollen wir in mein Hotel, aber nicht zu Fuss; suchen wir uns lieber ein Auto.“
Es ist ein Wunder! klang es in Christian Jost nach, und er grübelte: Was bedeuteten die vier Worte? Hatte Juliane ter Mer das alte Haus zu den Lilien damit gemeint? Oder vielleicht die nächtliche Stimmung in der stillen Gasse? Als sie es gesagt, hatte ihr Blick auf seinem Gesicht gelegen wie heute schon oftmals.
Eine seltsame Frau war die junge Holländerin, von der man sagte, sie reise in der Welt umher, weil sie etwas suche, wie sie selbst erzählt haben sollte, ohne aber zugleich das Rätsel zu lösen, was sie eigentlich suche.
Jedenfalls schien sie Lust zu einem kleinen Flirt mit ihm zu verspüren. Wahrscheinlich reichte die Lust aber nur für die paar Abendstunden von heute, und morgen würde sie dann plötzlich weiterreisen. Mochte sie vorhaben, was sie wollte, er war kein Spielzeug für eine kokette, durch die Welt abenteuernde, reiche Ausländerin.
Im Hotel fand man schöne Eckplätze in dem Seitenraum der Diele, in dem abgrundtiefe, weiche Sessel die Gäste aufnahmen; im grösseren Hauptraume, dem Speisesaale, spielte ein Orchester, das in ganz Deutschland bekannt und beliebt war.
Die Damen entschuldigten sich für kurze Zeit, sie wollten oben in ihren Zimmern ablegen.
Nun befanden sich Jan van Straaten und Christian Jost allein. Sie sassen nebeneinander und sahen sich an. Jan van Straaten sagte mit seiner leisen Stimme: „Du hast eine schnelle Eroberung gemacht, Christian; deutlicher als Frau ter Mer kann dir keine Frau zeigen, dass du ihr gefällst.“
Christian Jost fühlte sich jetzt frei von dem Netz, das die dunklen Augen über ihn geworfen. Er sah jetzt alles, was ihn noch kurz zuvor befremdet, ganz harmlos an.
Er schnippte mit den Fingern.
„Unsinn, Jan, solch eine Dame interessiert sich für keinen kleinen Uhrmachersohn aus Frankfurts Altstadt.“
Im Frankfurter Dialekt setzte er hinzu: „Sie hot e bissi mit dene Aagedeckel geklappert, hot an e dumm Oos probiert, ob sie gut klappere kann!“
Dazu reichte Jan van Straatens tadelloses Deutsch nicht aus, er erklärte, nicht verstanden zu haben.
Christian lachte. „Frau ter Mer hat, um nicht aus der Übung zu kommen und in Ermangelung eines anderen Partners, mit mir geliebäugelt. Manche Damen, die zu wenig oder gar nichts zu tun haben, finden an solcher Beschäftigung Vergnügen.“
Jan van Straaten hob abwehrend beide Hände.
„Ich kenne Frau ter Mer selbst nicht gründlich, bewahre! Aber für gefallsüchtig halte ich sie nicht. Im Gegenteil, ich habe in Amsterdam von Bekannten gehört, seit ihr Mann vor vier Jahren gestorben, spräche sie kaum mit Männern. Ich freute mich deshalb ganz besonders, dass sie im Ratskeller auf uns zukam und sich meiner erinnerte. Jetzt glaube ich aber, selbst wenn ich von ihr erkannt worden wäre, hätte sie mich wahrscheinlich doch nicht beachtet, hättest du nicht mit mir am gleichen Tisch gesessen. Ihre Aufmerksamkeit galt dir und gilt dir! Und darauf darfst du dir etwas einbilden, es gibt nicht viele Frauen ihrer Art!“
Christian Jost hob leicht die Schultern, er nahm sich vor, nach einem halben Stündchen Unterhaltung aufzubrechen, sich nicht allzulange von dem Glanz der dunklen Frauenaugen bedrängen zu lassen, falls Juliane ter Mer ihr seltsames Wesen von vorhin nach ihrer Rückkehr beibehalten sollte.
Eben traten die beiden Damen wieder ein, und Christian, der sich noch vor einer Sekunde frei und überlegen gefühlt, erschrak fast vor der blendenden Erscheinung der jungen Witwe.
Juliane ter Mer hatte sich mit Hilfe ihrer alten Verwandten blitzgeschwind umgezogen. Sie trug jetzt ein Kleid aus schwarz-weissem Samt, dessen schmale Streifen ihre Gestalt noch schlanker erscheinen liessen. Das Kleid war sehr lang und berührte mit seinem Saum den rotgemusterten Riesenteppich, der den ganzen Raum ausfüllte. Das Kleid war hoch am Halse geschlossen und hatte enge Ärmel. Wie in einer Haut steckte die schöne Frau darin, wie in einer schimmernden Haut, die nur Kopf, Hände und Fussspitzen freigab.
Die Blicke aller, die hier sassen, folgten ihr.
Bescheiden, im grauen Seidenkleide, ging Frau Kooper einen grossen Schritt hinter ihr, als fürchte sie, ihr auf das Kleid zu treten, das ein wenig nachschleifte.
Juliane ter Mer lächelte schon von weitem, lächelte unzweideutig nur Christian Jost zu.
Beide Herren erhoben sich, und die Damen nahmen Platz.
„So, jetzt wollen wir ein hübsches Plauderstündchen halten“, sagte Juliane ter Mer, und der Blick ihrer Augen, der voll auf Christian Josts Gesicht ruhte, schien zu verbessern: Nun wollen wir beide, du und ich, ein hübsches Plauderstündchen halten.
Juliane sass neben Jost in einen der Riesensessel gelehnt und lächelte ihn an. Der Kellner brachte Kaffee, kleine Kuchen, Liköre und Zigaretten.
Der Panzer, mit dem Christian Jost sich während der Abwesenheit der schönen Witwe gewappnet hatte, schmolz bald; dem von ihr ausgehenden Reiz zu widerstehen war sehr schwer, war zu schwer. Es war, als täte sich in dieser Plauderstunde eine neue Welt vor Christian Jost auf. Juliane ter Mer hatte auf ihren Reisen viel gesehen und wusste ungemein anregend darüber zu reden, Jan van Straaten ging dadurch mehr als sonst aus sich heraus, und es war, als ob beide farbenfrohe Bilder aus anderen Ländern malten, die zu betrachten Anregung und Zeitvertreib zugleich war.
Heisse Sehnsucht wurde in Christian Jost wach, die fremde, bunte Welt gleichfalls kennenzulernen, um nicht nur so mitzureden wie einer, der sich sein Wissen aus Büchern zusammengelesen.
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