Der Trapper schüttelte den Kof. „Wozu, Häuptling?“ fragte er. „Wollen sie nur meine Felle stehlen, so bedarf es keiner grossen Anzahl, — sind sie aber auf dem Kriegspfade begriffen, dann treffen wir sie am Missouri überhaupt gar nicht.“
„Desto besser!“ rief der Häuptling. „Dann hat der Gelbe Wolf mit seinen jungen Kriegern einen Spazierritt gemacht.“
Die Hand des Trappers streckte sich ihm entgegen, er antwortete nur mit den Augen. Später aber, als nach Auflösung der Versammlung sein junger Freund ihn am Arm ergriff, folgte er willig im Dunkel des Abends dem Häuptling zur Medizinhütte. „Lass uns Cristecooms Stimme hören!“ bat der Indianer.
Jonathan machte keine Einwendung. Seine roten Genossen wussten nicht, dass der alte Mann, seit er von den Weissen und seiner eigenen Abstammung gehört, sich nun auch in so mancher Beziehung über das farbige Volk erhoben hatte.
Der Medizinmann des Stammes war ein Greis von mehr als achtzig Jahren. Früher der tapfersten Häuptlinge einer, hatte ihn eine traurige Krankheit gezwungen, dem Kriegerhandwerk den Rücken zu kehren; er litt am grauen Star und konnte längst schon keinen Schimmer des Sonnenlichtes mehr sehen. Je weiter aber die Haut seine Augäpfel überzog, desto geheimnisvoller erschien der Alte den Indianern, und da naturgemätz mit der gänzlichen Trennung von allem äussren Leben das innere, geistige desto höher sich entfaltete, so wurde der Springende Hirsch Medizinmann und beherrschte vollständig die Gemüter der roten Krieger. Ein tiefer Denker wie so viele seines Volkes, ein Mann mit den Erfahrungen langer Jahre, konnte er, durch nichts abgezogen oder verwirrt, gewöhnlich leicht die kindlichen Fragen der Leute beantworten, konnte raten und trösten, wo niemand einen Ausweg wusste, — kein Wunder also, dass ihn alle die „Grosse Doppelmedizin“ nannten, und dass er sich des höchsten Ansehens erfreute.
Ganz in eine weite Tunika gekleidet, mit weissen Locken und einem Kopfputz aus Hermelin und Adlerfedern, hatte er die äussere Erscheinung eines Fürsten.
„Wi-ju-jon!“ sagte er mit geneigtem Kopfe lauschend. „Das Ohr des Blinden erkennt den Schritt eines Häuptlings.“
Der Trapper zog die Mühe vom Kopf. „Wünscht mir Gutes, mein Vater,“ sagte er, „denn ich ziehe dem Kampfe mit den Krähen entgegen.“
Der Medizinmann wiegte langsam wie in tiefer Betrachtung das Haupt mit den weissen Locken. „Die Krähen,“ sagte er sinnend, „die Assiniboins, die Sioux und die Chippewaer — wie oft habe ich in heisser Schlacht mit ihnen gestritten! Ob es recht war und dem Grossen Geiste angenehm? Es sollte nur Freunde geben unter den Söhnen der roten Stämme.“
Weder Jonathan noch der Gelbe Wolf wagten es, zu antworten, sie ehrten schweigend die Weisheit, welche von den Lippen des Blinden fiel. „Du selbst bist von Geburt ein Weisser, Wi-ju-jon!“ fuhr er fort, „ich erinnere mich so deutlich des frühen Morgens, an welchem meine Kundschafter aus den Zelten der Krähen heimkehrten, in ihren Mänteln ein Kind von wenig Wochen, der Sohn des Häuptlings, wie wir glaubten, das Unterpfand eines Vertrages. Die Abgesandten hatten es schlafend aus den Armen der Mutter gestohlen, und als ich’s ansah, ach, da war es ein kleines weisses Kind, dessen Mündchen begierig meine harten Finger erfasste. Die unschuldige Bewegung hat wohl damals dein Leben beschützt, Wi-ju-jon! Jung und ohne Erfahrung, wie ich war, dazu schwer enttäuscht und dem Spotte der Krähen preisgegeben, stand ich schon im Begriff, dich mit dem Tomahawk zu erschlagen, aber Cristecooms Absichten sind andere gewesen, er lenkte mein Herz, und ich trug dich zu der Mutter des Fliegenden Pfeiles, die damals ihr eigenes Kind säugte.“
Jonathans Seele wurde von den verschiedensten Empfindungen bestürmt. „Und mein Vater weiss nicht, woher die Krähen den gestohlenen Säugling genommen hatten?“ fragte er.
Der Blinde schüttelte den Kopf. „Wenige Männer, die schon damals denken konnten, leben bis auf diesen Tag,“ versetzte er. „Der Springende Hirsch ist der Letztgebliebene von allen seinen Brüdern, er hat länger die Mühseligkeiten des Daseins ertragen als die, welche mit ihm zugleich geboren wurden. Die Stelle, wo Wi-ju-jons Elternhaus stand, unweit der Stadt, welche von den Weissen St. Louis genannt wird, kennt er genau, aber den Namen ihrer Bewohner haben seine Ohren niemals vernommen.
„Nie?“ forschte in leidenschaftlichem Tone der Trapper.
„Nein!“ entgegnete fest der Greis. „Sie waren Engländer, das ist alles, was ich darüber erfahren konnte.“
Der Trapper hatte diesen letzteren Umstand früher schon gekannt, er wandte sich daher ziemlich enttäuscht ab und war offenbar bemüht, das im Augenblick verlorene seelische Gleichgewicht wiederzugewinnen, während der Gelbe Wolf dem Blinden erzählte, was sich heute morgen zwischen den Hügeln der Hundestadt zugetragen. „Was sagt der grosse Medizinmann der Schwarzfüsse,“ schloss er, „soll Wi-ju-jon die Warnung des Grossen Geistes in den Wind schlagen, oder soll er ihr folgen und den Gelben Wolf mit seinen jungen Leuten allein an die Missourifälle gehen lassen? Mein Vater möge sprechen.“
Die lichtlosen Augen des Greises sahen wie in eine andere, bessere Welt. „Wie-ju-jon soll gehen und als Mann und Häuptling sein Eigentum beschützen,“ sagte er nach einer Pause. „Der Grosse Geist kann nicht wollen, dass Diebe und feige Räuber ungestraft eines ehrlichen Jägers Erwerb an sich reissen, seine Warnung war das Wort eines weisen Vaters an den Gelben Wolf, er muss es nur richtig zu deuten wissen. Wi-ju-jons Medizin hatte den Häuptling verlassen, aber seines Bruders Sohn stand daneben und fand sie zur rechten Zeit! Hugh! Das ist klar und verständlich gesprochen. Ein Mann wäre zu wenig gegen fünfzig oder hundert Feinde, der Gelbe Wolf soll den Bruder seines Vaters begleiten und ihm vorangehen auf dem Wege der Tapferen!“
Ein Lächeln überflog die Lippen des Trappers. „Wi-ju-jon dankt seinem weisen Vater,“ sagte er herzlich, „er wird so tun.“
Der Gelbe Wolf erlaubte sich trotz des geheiligten Ortes ein leichtes Kopfschütteln, er war durchaus nicht überzeugt, aber nach dem bestimmten Ausspruch des Medizinmannes gab es keine Gegenrede mehr, und so blieb ihm nur übrig, sich mit dem Trapper zu verabschieden und seine Läufer durch das Dorf zu schicken, um für den nächsten Morgen die nötige Anzahl erprobter Krieger beisammen zu haben. Jonathan kam später, nachdem schon alles schlief, noch auf einen Augenblick in sein Zelt, um mit ihm zu beraten. „Wir ziehen etwa zwei Tage lang mit unserem Volk desselben Weges,“ sagte er, „aber denkt nicht der Gelbe Wolf, dass es für uns besser sei, schon vor ihnen aufzubrechen?“
Der Häuptling sah sorgenvoll aus. Seine abergläubische Furcht brach nochmals unwiderstehlich hervor. „Wi-ju-jon will sich beeilen, dem Verderben entgegen zu gehen!“ sagte er. „Der Häuptling, dessen Medizin verloren wurde, ist in Gefahr, — ist verurteilt.“
„Gut!“ rief Jonathan, „gut! aber der Mann, welcher den Feind fürchtet, ist wert, dass ihn dieser verachtet.“
„Hugh!“ rief der Indianer. „Ein Feind mit Händen und Augen und Füssen wie der Gelbe Wolf möge ihm begegnen wo er wolle, sein Skalp soll die Beute eines Tapferen werden! Aber ein Feind, der in der Luft lauert, der ist des Bösen Geistes Abgesandter!“
Jonathan schüttelte den Kopf. „Komm, wir wollen nicht streiten, Wolf, du und ich, wir standen ja schon in mancher Schlacht Seite an Seite, wir werden auch diesen Strauss ausfechten.“
Der Häuptling widersprach nicht länger, er ordnete seine Pfeile und brachte in den Köcher eine grosse Anzahl derjenigen, die, mit Widerhaken versehen, tief in den Körper eindringen und deren Spitzen vergiftet sind. Am meisten Sorgfalt verwendete er auf den Medizinbeutel; das ausgestopfte Murmeltier wurde mit dreifachen Schnüren befestigt, und erst als sein Eigentümer sah, dass menschliche Hände ausserstande waren, diese Knoten und Verschlingungen zu zerreissen, legte er sich beruhigt für den Rest der Nacht auf sein Lager.
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