Eine schnelle Bewegung des Indianers antwortete ihm, blitzschnell, aber dennoch um Sekunden zu spät. Ein erschütternder grässlicher Schrei brach aus der Kehle des Pferdes hervor, es taumelte, wand sich und fiel in Zuckungen zu Boden, während durch die Reihen aller seiner Genossen das Stampfen und Sichsträuben fortlief, während die Präriehunde bellten und der Trapper seinem Genossen einige Worte zurief.
Gleich darauf war er neben dem gefallenen Tiere, von dessen rechtem Hinterfuss der Indianer soeben mittels seines Messers den Körper einer Klapperschlange in Stücken lostrennte, worauf er die hornige Schwanzspitze, eben die Klapper, sorgfältig in die Weidtasche schob.
„Euer Pferd hat unglücklicherweise auf eine im Gras versteckt liegende Schlange getreten, Mister Everett,“ sagte der Trapper, „es ist verloren und muss daher sogleich getötet werden. Steigt ab, Herr, — was beschliesst Ihr über das Gepäck, welches der Coriolan trug?“
Der Newyorker schien zum ersten Male betroffen. „Aber ist denn das alles gewiss?“ fragte er unentschlossen, „sollte der Häuptling kein Gegengift kennen?“
„Steigt ab, Herr,“ wiederholte energisch der Trapper, „ich sage Euch, es geht nicht anders.“
Everett sprang aus dem Sattel, seine Reitgerte traf ungestüm den nächsten kleinen Präriehund, der sich schleunigst mit einem Wehegeheul in seine unterirdische Klause zurückzog, dann fuhr er unschlüssig mit der Hand durch das Haar. „Ich kann von diesen Sachen durchaus nichts entbehren,“ sagte er verdrossen, „Taschentücher, Hemden, Westen, Handschuhe und mein Pelz!“
„Schweigt jetzt, Herr, und helft uns.“
Mehrere Männer hatten das Gepäck vom Rücken des sterbenden Tieres abgeschnitten und zogen es aus den Reihen der übrigen hervor. Eine mitleidige Büchsenkugel machte seinen schrecklichen Qualen ein Ende; Jonathan nahm das Geschirr und näherte sich dem ganz verzweifelten Everett. „Lasst den Kram liegen,“ sagte er verächtlich, „für den Wald passt doch das feine Gewebe nicht.“
„So soll ich als Wilder nach Neuyork zurückkehren? Sehr verbunden, Freund Jonathan, aber das wäre doch des Guten zu viel. Heda, ihr übrigen, etwas von meinen Sachen nimmt jeder in Verwahrung, denke ich!“
Er reichte diesem ein Bündel Wäsche, jenem ein Pappkästchen und dem dritten eine Schachtel; trotz aller dieser Bemühungen aber gelang es nicht, die grosse Menge von Gegenständen unterzubringen, und so blieb zwischen den Höhlenreihen der unterirdischen Stadt ein ansehnlicher Stapel feinster Neuyorker Leinenwäsche und ostindischer Tücher im Morgenwinde liegen.
Die Unterhaltung schwieg wieder. Drei Stunden im Sonnenschein über einen unebenen, zu beständigen Kreuz- und Quersprüngen nötigenden Boden zu marschieren und dabei mehrere Pferde hinter sich her zu ziehen, das verdirbt die Laune.
Gegen Mittag wurde Pemmikan und Schiffsbrot gegessen.
„In zwei Stunden müssen wir dein Volk treffen, Sagamore,“ sagte da Jonathan.
Der Häuptling streckte die Hand aus. „Wenn der Sonnenball über den Wipfeln dieser drei Fichten steht, dann sind die Söhne der Schwarzfüsse an den Ufern des fischreichen Sees angelangt,“ versetzte er. „Ihr Weg und unser Weg laufen eine Zeitlang nebeneinander“ der Gelbe Wolf will den Medizinmann fragen, ob dieser Zug von Glück begleitet sein wird.“
„Bah,“ lächelte der Trapper, „das sagst du im Scherz, Sohn meines Bruders. Was könnte erfahrenen Kriegern begegnen?“
Der Indianer schüttelte den Kopf. „Es liegt eine Wolke auf unseren Häuptern, Wi-ju-jon!“ fuhr er leise sprechend fort.
Der Trapper schien plötzlich ernst zu werden. „Was meinst du, Sagamore?“ forschte er. „Es ist unmöglich, dass dir hier die Spur eines der Krähen oder Assiniboins begegnet wäre!“
Der Gelbe Wolf schüttelte seinen ausdrucksvollen Kopf. „Die Krähen und Assiniboins mögen kommen,“ versetzte er, „ein Tapferer ist bereit, ihre Skalplocken an seinen Gürtel zu hängen, er nennt sie die Söhne von Hündinnen und will sie erschlagen wie diese! — Wi-ju-jon, es sind nicht solche Feinde, die in Fleisch und Blut vor ihm stehen, es sind nicht Menschen, die der Sohn deines Bruders fürchtet.“
Eine Zeitlang gingen die beiden an der Spitze des Zuges wortlos nebeneinander dahin.
„Will Wi-ju-jon die Wolke sehen, welche mit uns gen Westen zieht?“ fragte der Häuptling plötzlich.
„Sprich, Sohn der Fliegenden Pfeilspitze,“ entgegnete Jonathan. „Der, dem deine Worte gelten, ist ein Mann.“
„So schau her!“
Und der Gelbe Wolf zeigte dem Alten in seiner hohlen Hand, sorglich versteckt von den Falten der Tunika, jenes kleine ausgestopfte Vögelchen, an das sich für den Besitzer so teure Erinnerungen knüpften, — Jonathans Medizinbeutel, den er immer an einer getrockneten Hirschsehne um den Hals zu tragen pflegte. „Das fand ich im Gras neben dem Leichnam des erschossenen Pferdes,“ raunte er. „Der Gelbe Wolf warnt Wi-ju-jon!“
Das Herz des Trappers schlug schneller. Er wollte den Zufall für nichtsbedeutend, für gleichgültig halten, aber die indianische Erziehung, welche er genossen, machte sich doch in diesem Augenblick sehr stark geltend, er verbarg hastig das Vögelchen in der Jagdtasche. „Haben es die Bleichgesichter bemerkt?“ fragte er gepresst.
„Der Gelbe Wolf ist kein Weib, dass er hingehen und schwatzen sollte. Aber er warnt dich, Wi-ju-jon! Du hast Unglück auf diesem Wege.“
Der Trapper raffte sich auf, gewaltsam, wie es schien. Die indianische Furcht vor übernatürlichen Dingen rang sichtlich in seiner Seele mit dem Urteil des klaren Verstandes, das in der bei einer stärkeren körperlichen Anstrengung gerissenen Sehne und dem Herabfallen des Medizinbeutels nur ein ganz gewöhnliches Ereignis erblicken konnte, keinesfalls aber eine schlimme Vorbedeutung. „Was der Grosse Geist sendet, das müssen wir ruhig ertragen, Sagamore,“ versetzte er endlich. „Ich gehe mit den Weissen! Du wirst nicht verlangen, Sagamore, dass sich der Bruder deines Vaters wie ein Weib verkriecht, wenn die Gefahr im Anzuge ist.“
„Hugh!“ rief der Indianer. „Die Familie der Fliegenden Pfeilspitze ist eine Familie von Häuptlingen. Keiner ihrer Angehörigen hat jemals sein Wort gebrochen. Aber Wi-ju-jon braucht nicht selbst zu gehen, der Gelbe Wolf wird die Weissen zu den Wasserfällen des Missouri führen und ihnen die Verstecke des Trappers zeigen. Seine jungen Krieger sollen ihn begleiten.“
Der Jäger drückte heimlich voll Rührung die Hand des Häuptlings. „Wir gehen miteinander, Sagamore,“ versetzte er dann.
„Ich höre das Stampfen der Pferde,“ rief der Indianer.
„Unser Volk!“ setzte nach einem sekundenlangen Horchen der alte Trapper hinzu. „Sie sind es, Sagamore!“
„Hugo!“ rief er dann dem Knaben zu, „jetzt pass aus, wir kommen in das Lager der Schwarzfüsse.“
Der Knabe hob sich im Sattel, so gut es Everetts Pelzrock erlaubte, und sah vor Verlangen bebend in die angedeutete Richtung hinaus. Wieviel war ihm nicht auf der Farm von den gefürchteten Wilden erzählt worden, wie lange und wie sehnlich hatte er nicht gewünscht, einmal von Angesicht zu Angesicht die Rothäute kennenzulernen, mit denen sein verstorbener Vater vor Jahren so harte und blutige Kämpfe bestanden! — Jetzt nahten sie, das Bellen ihrer zahllosen Hunde klang schon herüber, und bald zeigten sich auch in den Gebüschen zur rechten und linken Seite des Weges die funkelnden Augen versteckter Krieger, später sogar ganzer Scharen derselben, aber die Weissen bemerkten es nicht, und weder der Häuptling noch der Trapper nahmen von ihnen die mindeste Notiz. Es wäre nach ihren Begriffen höchst unpassend gewesen, sich auf offener Heerstrasse zu begrüssen.
Und jetzt zog es über die grüne sonnenglänzende Prärie heran mit mehr als tausend Pferden und wenigstens ebensovielen, ja geradezu unzählbaren Hunden. Zu beiden Seiten eines seltsam malerischen, aus Frauen und Kindern bestehenden kleinen Heeres schwärmten auf flinken, durchaus vortrefflich dressierten Pferden etwa sechshundert Indianer, alle mit Büchsen oder Pfeilen und Bogen bewaffnet, alle in Hirschleder gekleidet, mit einer grösseren oder geringeren Anzahl von Skalplocken an der überreich verzierten Kleidung. Sie bildeten die Schutzwache der Frauen und Kinder, welche sämtlich zu Fuss gingen, nur begleitet von jenen Hundescharen, die hier auf das sinnreichste zum Nutzen der Haushaltung verwendet wurden. Jede einzelne Squaw mit ihrem faltigen Rock aus Hirsch- oder Antilopenfell, ihren Perlen und Schnüren, ihren sonderbaren Gesichtsmalereien, führte am Zügel ein Pferd, auf dessen Rücken die Zeltstangen, durch Querhölzer verbunden, das Gerät der Hütte und ihre Fellbedachung trugen. Oben auf diesem schwankenden Bau sassen die Alten und Schwachen, sowie diejenigen Kinder, welche zum Gehen noch zu klein waren, so dass bei einzelnen besonders zahlreichen Familien das Pferd drei bis vier Personen neben der ganzen beweglichen Habe seines Eigentümers zu tragen hatte. Neben dem Pferde gingen die grösseren stärkeren Hunde.
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