»Morgen?«
»Hundeschule.«
»Ah ja«, erwidere ich, denn das hatte ich tatsächlich vergessen. Dann schnappe ich Sputnik und gehe los, ohne mich noch einmal umzusehen. Mit jedem Schritt wächst meine Erleichterung.
Daheim angekommen, betrete ich das Haus zu Sputniks Irritation nicht, sondern gehe mit ihm zum Auto.
»Lass uns noch in den Wald fahren«, sage ich wie zur Erklärung zu Sputnik und frage mich, wann ich einer von den Menschen geworden bin, die sich auf offener Straße mit ihren Hunden unterhalten, als würden sie erwarten, dass diese antworten.
Sputnik jedenfalls antwortet nicht, hüpft aber begeistert ins Auto, als ich ihm die Tür öffne. Nachdem ich ihn angeschnallt habe, setze ich mich auf den Fahrersitz und fahre los. Ein konkretes Ziel habe ich nicht vor Augen. Ich weiß nur, ich brauche Bewegung und will nirgends sein, wo ich versehentlich Hanno und Jana über den Weg laufen könnte.
Auf gut Glück fahre ich los. Ich merke, dass ich meine Standardroute Richtung Wald nehme – nicht weiter verwunderlich, für Varianten bin ich gerade zu verworren. Außerdem mag ich diese Strecke. Man kommt rasch im Wald an, fährt auf kurvigen Straßen zwischen dunklen Bäumen, die perfekt zu meiner aktuellen Stimmung passen. Weil ich dennoch das Gefühl habe, etwas Neues zu brauchen, fahre ich die Straße ein Stück weiter entlang, als ich es sonst tue. Nach einiger Zeit komme ich an einem Rastplatz an, wo ich parke. Eine Wiese liegt vor mir, darauf ein hölzerner Rasttisch mit Bank. Hinter mir beginnt der Wald.
»Hier ist es doch ganz schön, hm?«, frage ich Sputnik, der sich wieder mit seiner Antwort zurückhält. Als er dann jedoch begeistert gen Wald zieht, sobald ich ihn aus dem Auto gelassen habe, weiß ich, dass auch Sputnik zufrieden ist.
Wir finden einen Forstweg, dem wir in den Wald hinein folgen. Zum Glück hat es irgendwann in der Nacht aufgehört zu regnen. Immer noch hängen schwere dunkle Wolken über dem Schwarzwald und es ist empfindlich kalt. Es riecht nach feuchten Nadeln und nassem Waldboden.
Erst jetzt wird mir bewusst, dass meine Kleidung und meine Schuhe noch genau so wenig outdoortauglich sind, wie sie es gestern waren. Zum Glück sind letztere wenigstens über Nacht getrocknet. Ich reibe mir die Hände und schlage ein etwas flotteres Tempo an. Sputnik hüpft begeistert neben mir her, läuft mal ein Stück vor und kehrt dann wieder zu mir zurück.
Meine Gedanken wandern zurück zur letzten Nacht. Ich kenne mich gut genug um zu wissen, dass mir Sex ohne Gefühle keine wirkliche Befriedigung gibt. Den schlimmsten körperlichen Hunger stillt er, doch das viel größere seelische Verlangen tritt nur umso deutlicher hervor. Obwohl ich das weiß, habe ich mit Hanno geschlafen. Weil ich mich so sehr nach Nähe sehne und dachte, dass meine Zuneigung zu ihm ausreicht, um diese Sehnsucht zumindest ein bisschen zum Schweigen zu bringen. Tat sie nicht. Ich fühle mich jetzt nur noch viel einsamer. Und so verkorkst. Weil er da ist und ich ihn haben könnte und er toll ist und ich ihn doch nicht will.
Meine Augen brennen, ich weiß gar nicht, wie lange schon, und in meinem Hals lauert ein unheilvolles Kratzen. Meine Hände sind klamm geworden, obwohl ich sie in den Jackentaschen vergraben habe. Ich habe das Gefühl, ich kann spüren, wie meine Magensäure gegen die Magenwände ätzt.
»Verdammt, Sputnik, wieso?«, frage ich und meine Stimme klingt wie ein Winseln.
Und dann renne ich los. Als wäre jemand hinter mir her, rase ich den Forstweg entlang. Mit jedem Schritt werde ich schneller, bis ich das Gefühl habe, ich würde halb fliegen. Meine Schritte sind groß und werden vom Waldboden gedämpft, sodass sie kaum zu hören sind. Laut hingegen ist mein Atem. Ein rhythmisches Keuchen und Schnaufen im Wald. Wenigstens kein Schluchzen.
Sputnik springt erst um mich herum, an mir hoch, hält meinen Sprint für ein Spiel. Doch es dauert nicht lange, dann passt er sich meinem Tempo an. Er läuft an meiner Seite, genau neben mir. Immer wieder wirft er mir dabei einen Blick zu, ist bei mir und achtsam. Es ist, als würde er nur mich wahrnehmen und nicht die Bäume und Sträucher, die Vögel und Mäuse um uns herum. Gemeinsam laufen wir durch den Wald. Ich möchte weinen und lachen gleichzeitig.
Ich renne, bis mir die Lungen brennen. Und noch länger.
Irgendwann werden meine Schritte langsamer. Sputnik passt sich auch meinem neuen Tempo an. Eine Weile joggen wir noch den Weg entlang, bis ich schließlich wieder zum Gehen komme und letztlich stehen bleibe. Mein Atem geht schnell und abgehackt. Kalt und klamm ist mir definitiv nicht mehr.
Sputnik setzt sich neben mich und sieht mich aufmerksam an. Ich sinke auf die Knie und streichle meinen Hund dankbar, was er mit einem kleinen Freudentanz quittiert. Kraul mich hier, nein da, ja hier, genau da, so ist es gut!, sagt Sputnik mit seinem ganzen Körper.
»Du Schatz, du«, murmle ich und vergrabe mein Gesicht in Sputniks borstigem Fell. »Ich bin so froh, dass ich dich habe.«
Sputnik leckt mir über das Gesicht und scheint mir zuzustimmen.
»Was hältst du davon, wenn wir uns ein Plätzchen suchen, um Pause zu machen?«
Sputnik wedelt mit dem Schwanz und auch das werte ich als Zustimmung. Ich stehe also ächzend und immer noch schwer atmend auf und sehe mich um. Keine Ahnung, wie tief wir im Wald sind. Es fühlt sich ziemlich tief an. Menschen sind wir auf dem ganzen Weg keinen begegnet. Das liegt wahrscheinlich am Wetter. Es sieht immer noch nach Regen aus und da ist nur den wenigsten nach Spaziergängen und Wanderungen.
»Wo wollen wir denn hin?«
Ich sehe mich um und entdecke auf den ersten Blick nichts, wo ich mich niederlassen möchte – zumal der Boden noch reichlich feucht ist von den Niederschlägen der vergangenen Nacht. Also gehe ich wieder los, langsam dieses Mal, in der Hoffnung, dass mich bald ein hübsches Plätzchen anspringt. Ich würde mich nur ungern mitten auf den Weg setzen.
Sputnik und ich haben Glück. Es dauert nicht lange und wir kommen an einen schmalen Pfad, der vom Forstweg wegführt. Er ist zu Beginn recht steil und besteht überwiegend aus Wurzeln, die quasi Treppen formen. Auch wenn meine Schuhe nicht für solche Wege geeignet sind, erklimme ich mit Sputnik diesen Pfad. Ihm scheint es jedenfalls zu gefallen. Er klettert munter voran.
Besonders weit sind wir noch nicht vorgedrungen, da hält Sputnik an.
»Was siehst du denn?«, will ich wissen und hoffe inständig, dass es kein Reh ist. Wenn Sputnik mir jetzt wieder abhaut, würde ich nicht gut damit klarkommen.
Ich komme näher und stelle fest, dass kein Reh Sputniks Aufmerksamkeit fesselt, sondern ein großer Baum. Eine Buche, wenn mich nicht alles täuscht. Knorrig und mit zerklüftetem Stamm steht sie da, das ausladende Blätterdach mit dem goldgelben Laub zwingt die anderen Bäume zu respektvollem Abstand.
»Das hast du fein gemacht«, lobe ich meinen Hund und werfe ihm auch gleich ein Leckerli zu, das er aus der Luft schnappt.
Ich gehe auf die Buche zu und lege eine Hand auf den silbrigen Stamm. Dick wie er ist, muss der Baum schon ziemlich alt sein. Mit einem Seufzen lasse ich mich den Stamm hinabgleiten und lehne mich mit dem Rücken dagegen. Ein bisschen ruckle ich hin und her, um meine Regenjacke unter meinen Hintern zu ziehen. Auch wenn der Boden hier halbwegs trocken wirkt, ich habe keine Lust auf Flecken auf der Hose und auf einen nassen Allerwertesten.
Sputnik setzt sich neben mich und sieht sich zufrieden um. Sicherheitshalber leine ich ihn an – ich will einfach nicht riskieren, dass ihm unsere Rast zu langweilig wird und er sich auf und davon macht. Momentan sieht er jedoch nicht danach aus. Er sitzt neben mir und lässt sich die Ohren kraulen.
Ich versuche, auf die Geräusche des Waldes zu achten, auf das Rascheln im Laub, das Zwitschern der Vögel, das Hecheln meines Hundes, und meine Gedanken auszuschalten. Doch es gelingt mir nicht. Jetzt, wo ich hier sitze, kehrt mit aller Macht das zurück, wovor ich vorhin so erfolgreich davongelaufen bin. Ich sehe Hanno vor mir, sein Lachen und seine Lust und diesen Ausdruck in seinem Blick. Je präsenter er mir wird, desto stärker nagt meine Einsamkeit an mir. Wieso bin ich nicht in ihn verliebt, noch nicht einmal ein bisschen verknallt? Ich mag Hanno. Hanno wäre perfekt. Aber da ist nichts. Nur Leere.
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